AfD-Bundestagsabgeordneter schreibt Brief an Schüler - massive Kritik
Dirk Brandes von der AfD hat einen Brief an Schülervertretungen in Niedersachsen geschrieben. Es geht um Thesen zur AfD-Migrationspolitik. Schulleiter sprechen von parteipolitischer Einflussnahme.
Konkret wendet sich der AfD-Bundestagsabgeordnete Brandes am 24. Januar schriftlich an die Schülervertretungen. Der Brief liegt dem NDR Niedersachsen vor. Laut dem niedersächsischen Kultusministerium ist das Schreiben an einzelne Schulen im Raum Hannover gegangen. Brandes hat seinen Wahlkreis dort. Sein Aufhänger: die Demonstrationen gegen "rechts". Nach den Enthüllungen über ein Treffen von Rechtsextremen in Potsdam, an dem nach Recherchen des Netzwerks Correctiv auch AfD-Abgeordnete teilgenommen haben, war es auch in Hannover zu Demonstrationen gekommen.
Brandes bezieht sich auf Zahl der Demonstrierenden
An den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus hatten zu diesem Zeitpunkt in Hannover bereits mehr als 40.000 Menschen teilgenommen, um gegen die in Potsdam geäußerten Deportationsfantasien zu demonstrieren. Brandes fragt, warum es nicht mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewesen sind angesichts des Migrationsanteils in der Bevölkerung. Er unterstellt, dass die Menschen Zweifel an der Berichterstattung über das Treffen in Potsdam hätten. Und dann erklärt der Bundestagsabgeordnete in seinem Brief die Migrationspolitik seiner in Teilen als rechtsextrem eingestuften Partei.
Brief ging auch an IGS Langenhagen
Brandes Schreiben richtet sich an Schülervertretungen in Hannover. Unter anderem ging der Brief auch an die Schülerinnen und Schüler der IGS Langenhagen. Schulleiter Timo Heiken zeigt sich irritiert über den Versuch der Einflussnahme durch den AfD-Abgeordneten. Die Schülervertretung hatte seinen Angaben zufolge aufgerufen, an einer öffentlichen Kundgebung gegen "rechts" teilzunehmen. "Wir sind als Schule dafür bekannt, dass wir uns für Vielfalt einsetzen. Dieses Schreiben von Herrn Brandes irritiert mich sehr." René Mounajed vom Schulleitungsverband sagt im Gespräch mit dem NDR Niedersachsen: "Schulen sind ein überparteilicher, freiheitlich, demokratischer Ort und der Brief von Dirk Brandes ist ein direkter Angriff darauf." Das Kultusministerium müsse dringend juristische Schritte prüfen. Mounajed sagt: "Das Schreiben hat ein Geschmäckle. Parteipolitik hat in Schulen nichts verloren." Das gilt für alle Bundestagsabgeordneten, wie der Vorsitzende des Schulleitungsverbandes deutlich macht.
Landesschülerrat: "Überschreitung der Grenze"
Auch Louisa Basner vom Landesschülerrat kritisiert den Brief scharf: "Es wird bewusst versucht, Schülerinnen und Schüler für die Politik einzuspannen." Auch sie ist überzeugt: Hier werde eine Grenze überschritten. Das sei nicht akzeptabel. Die AfD versuche so, das Parteiprogramm an junge Menschen zu bringen, so Basner.
Brandes skizziert Forderungen der AfD zu Migrationspolitik
AfD-Politiker Brandes stellt in seinem Brief einen Forderungskatalog zur Migrationspolitik auf und bietet das direkte Gespräch dazu an. Im Wahlprogramm sei unmissverständlich erklärt, was die AfD unter dem in Potsdam diskutierten Begriff der "Remigration" verstehe. "Remigration" sei vielmehr die politische Antwort der AfD auf eine Politik der "unkontrollierten Masseneinwanderung in Deutschland". Diese suche auf dem "gesamten Erdball ihresgleichen", schreibt der AfD-Bundestagsabgeordnete an die Schülerinnen und Schüler. Wer Steuern zahle und sich einbringe, sei so wenig Teil eines solchen Projekts wie "Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund". Und weiter: An den Grenzen müsse deutsches Recht umgesetzt und Nicht-Einreiseberechtigte müssten abgewiesen werden. Die AfD stehe für eine "Grundrechtskonforme Neufassung des Staatsbürgerschafts- und Asylrechts - kein Verschenken der deutschen Staatsbürgerschaft, sondern Einbürgerung erst als Abschluss gelungener Integration".
Kultusministerin spricht von Einschüchterungsversuch
Auch Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) verurteilt das Schreiben: "Ich finde dieses Vorgehen irritierend und sehe es als bedenklichen Einschüchterungsversuch." Der Brief verlasse die bisherigen Parteigepflogenheiten. Es gehöre zum guten Ton der Politik, dass junge Menschen nicht instrumentalisiert werden. Auch der Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban kritisiert Brandes Brief. Der CDU-Mann, der für eine harte Auseinandersetzung mit politischen Gegnern bekannt ist, sagte dem NDR Niedersachsen: "Dieser Vorgang zeigt einmal mehr, dass die AfD demokratische Grundsätze missachtet, indem sie versucht, sogar Jugendliche parteipolitisch für ihren Hass und ihre Propaganda zu instrumentalisieren."
Brandes sieht kein Fehlverhalten
Brandes sieht in dem Brief indes kein Fehlverhalten: "Ich lasse mir von unseren politischen Gegnern nicht vorschreiben, wem ich einen Brief schreiben darf", sagt er dem NDR Niedersachsen. Laut Brandes ging das Schreiben an zwei Schulen in der Region Hannover. Aber wer ist der Mann hinter dem Schreiben? Brandes wird eine Nähe zu Björn Höcke und dem "Flügel" nachgesagt - einer Gruppierung innerhalb der AfD, die bis zu ihrer Auflösung vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Er distanziert sich nicht von dem Treffen in Potsdam. Vielmehr hält er die Berichte über die Deportations-Pläne für ein "Schauermärchen" und spricht dabei von "eigenwilligen Interpretationen" der Recherchenetzwerks Correctiv.
"Gezielter Versuch, junge Menschen für sich zu gewinnen"
Dass ausgerechnet Brandes nun einen Brief an Schülerinnen und Schüler schreibt, bewertet Extremismusforscher Gert Pickel von der Universität Leipzig als gezielten Versuch, junge Menschen für die Partei zu gewinnen. Dafür greife die AfD zu solchen Methoden und sei auch besonders stark auf TikTok aktiv. "Ist mit der Ablehnung der muslimischen Migrantinnen und Migranten der Grundstein gelegt, kann das der Beginn einer Radikalisierungsschleife sein", sagt er. Pickel ist überzeugt, Parteipolitik habe in Schulen nichts verloren. Damit Schülerinnen und Schüler diesen Briefen aber nicht ungefiltert ausgesetzt sind, fordert er auch: "Es muss dringend die Kompetenz in den Schulen geschaffen werden, diese Äußerungen differenziert zu betrachten."