Wagenknecht auf Wahlkampftour: Am Ende fehlt Zeit für ein Selfie
Die BSW-Namensgeberin und -Gründerin Sahra Wagenknecht hat einen russlandfreundlichen Kurs gefordert. Bei einem Auftritt in Schwerin gut drei Wochen vor der EU-Wahl sagte sie, Deutschland müsse billiges Gas aus Russland beziehen und aufhören, Waffen an die Ukraine zu liefern.
Beifall und Jubel branden auf, als Wagenknecht die Bühne betritt, gefeiert wie ein Polit-Popstar der deutschen Parteilandschaft. In der ersten Zuschauer-Reihe hinter der rot-weißen Absperrkette hält ein begeisterter Anhänger mit einem Teleobjektiv auf die Rednerin. 600 Menschen sind auf den Schweriner Marktplatz gekommen - meist aus der Generation "60 plus". Und die Ex-Linke Wagenknecht liefert das, was aus Talk-Shows bekannt ist: eine Frontalattacke gegen die anderen, gegen die USA, gegen die CDU, gegen die Ampel, vor allem gegen SPD und Grüne.
Düsteres Bild von der Lage im Land gemalt
"Geht nach Hause Leute! Ihr habt's wirklich verbaselt, ihr könnt's nicht lösen, da muss was Neues her, weil so geht's nicht weiter", schimpfte sie. Russland sparte Wagenknecht bei ihren Attacken aus. Dagegen nahm sie sich immer wieder Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor. Der Grüne wisse doch gar nicht mehr, wie es im Land zugehe und überfordere die Leute mit dem Klimaschutz : "Viele Menschen können über Bioladen gar nicht nachdenken, die verzweifeln schon bei Aldi, wenn sie sehen, wie alles immer teurer geworden ist."
Eine halbe Stunde lang malt die Gründerin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) unter blauem Abendhimmel ein düsteres Bild von der Lage im Land. Ein Elend sei das alles, nichts sprühe, nichts blühe. Das Land sei heruntergewirtschaftet, nichts funktioniere mehr, die Bahn komme nicht mehr pünktlich, für das Gesundheitssystem, die Renten und auch die Bildung sei kein Geld mehr da. Und es sei "völlig krank", auf billiges russisches Gas zu verzichten: "Wir schneiden uns von billigen Energien ab und wundern uns dann, wenn die Energiepreise hier explodieren, dass die Wirtschaft den Bach runter geht." Es gehe doch um eine Außenwirtschaftspolitik, "wo wir unsere Interessen sehen".
Keine Vorschläge präsentiert
Wagenknechts Interesse ist ein russlandfreundlicher Kurs. Sie will Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen. Deutsche Politiker, die mehr Unterstützung des Landes gegen Russland fordern, nennt sie "Wahnsinnige". Das alles wolle die "Rüstungslobby, die ein Riesen-Geschäft damit macht". Deutschland, so Wagenknecht, müsse über Frieden verhandeln, wie auch China es wolle. "Frieden statt Krieg, keine Waffen, Abrüstung, das war schon mal im Kalten Krieg die Losung, und das brauchen wir heute wieder ganz dringend." Über die Folgen eines russischen Sieges in der Ukraine sprach Wagenknecht nicht. Sie meinte, Frieden könne es nur durch Verhandlungen geben. Der Begriff "Frieden" taucht acht Mal in ihrer Rede auf, das Wort "Freiheit" erwähnt sie kein einziges Mal. Eine Frau, die sich begeistert von Wagenknecht zeigte, meint nach der Rede aber auch nachdenklich: "Wie kriegt man hin, dass es besser wird? Wie will sie das machen?" Vorschläge hat Wagenknecht in Schwerin nicht präsentiert. Lediglich mit Blick auf die Rentenpolitik meint sie, "alle" müssten einzahlen, auch Selbstständige und Politiker.
Laut Umfrage zehn Prozent für das BSW
Zehn Prozent der Wähler und Wählerinnen in Mecklenburg-Vorpommern würden aktuell das Wagenkencht-Bündnis lauteiner Umfrage des NDRbei einer Landtagswahl wählen, obwohl das BSW erst Ende des Jahres einen eigenen Landesverband gründen will. Der Rostocker Politik-Wissenschaftler Wolfgang Muno hält die Wagenknecht-Partei "im Grunde genommen für eine Neuauflage der SED". Sie kombiniere sozialpolitische Wohltaten, eine geschlossene Gesellschaft mit weniger Flüchtlingen und extreme Russlandfreundlichkeit und Anti-Amerikanismus. Auch deshalb sei sie in Ostdeutschland beliebter als im Westen, so Muno.
Am Ende ihres Auftritts in Schwerin hat Wagenknecht vor der Absperrung noch kurz Zeit für einige Autogramme, Frauen herzen die 54-Jährige, tätscheln ihre Wange. Dann steigt Wagenknecht in eine dunkle Limousine. Es geht weiter nach Rostock. Ein älterer Mann meint noch: Schade, jetzt habe er doch kein Selfie mit Sahra bekommen.