Suchtberatung in MV: Der erste Schritt in ein Leben ohne Drogen
Ob Alkohol, Amphetamine oder Cannabis: In Mecklenburg-Vorpommern steigt die Tendenz zu Abhängigkeiten. Suchtberatungsstellen können das Leben von Betroffenen verändern - doch ihre Finanzierung ist prekär. An einem Aktionstag informieren die Einrichtungen über ihre Arbeit.
In seinem Job als Berufskraftfahrer ist Michael Meyer nie auffällig geworden. Zuverlässig befördert er viele Jahre lang Pakete und Päckchen zwischen Berlin und Schwerin hin und her. Bis er eines Tages in eine Verkehrskontrolle gerät. Zufällig. Eine Routine-Maßnahme. Die Beamten stellen fest: der Schweriner hat mehr als zwei Promille Alkohol im Blut. "Es war in dem Moment ein Schock", erzählt Meyer. Nie hätte er damit gerechnet. Alkohol habe für ihn einfach dazu gehört. "Wenn ich nach Hause gekommen bin, gab es das Feierabendbier oder am Wochenende Schnaps. Das hat man sich dann gegönnt", sagt Meyer rückblickend. Er habe nicht bemerkt, dass er regelmäßig getrunken habe und, dass auch die Menge immer mehr geworden sei. Das sei eine schwierige Zeit gewesen.
Alkohol größtes Suchtproblem in MV
Michael Meyer ist kein Einzelfall. Alkohol das Suchtmittel Nummer eins im Land. Nirgendwo in Deutschland trinken die Menschen mehr und nirgendwo sind sie jünger, wenn sie das erste Mal Alkohol probieren: und zwar schon mit 14 Jahren. So steht es im aktuellen Suchthilfebericht für Mecklenburg-Vorpommern.
Druck auf Suchtberater wird immer größer
"Die Tendenz zu mehr Abhängigen ist da", sagt Birgit Grämke. Das zeigten auch Auswertungen der Krankenkassen. Grämke leitet die Landeskoordinierungsstelle für Suchtthemen in Mecklenburg-Vorpommern und steht in Kontakt mit den etwa 30 Suchtberatungsstellen im Land. Diese könnten mit ihren derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln zusammengerechnet nie mehr als 10.000 Menschen pro Jahr erreichen. Und es sei zu merken, so Grämke, dass der Druck auf die Suchtberater immer größer werde, und dass dort versucht werde, in kürzerer Zeit mehr Klienten zu nehmen, um den Bedarf abzudecken.
Betroffene aus allen Berufsgruppen
Das Klientel sei unterschiedlich, berichtet Ivonne Martensen, Leiterin der Suchtberatungsstelle in Schwerin. Die Betroffenen kämen aus fast allen Berufsgruppen, viele Pädagogen seien dabei, Polizisten, Soldaten, Verkäufer und auch Rechtsanwälte. Viele von ihnen hätten nicht nur das Suchtproblem, sondern auch soziale, rechtliche und finanzielle Schwierigkeiten, bei denen sie Beratung oder Hilfe bräuchten. Auch wenn ein Klient eine Therapie gemacht habe und wieder zurückkomme, seien sie weiter für ihn da, oder wenn jemand rückfällig werde. "Wir sind anonym und vorurteilsfrei, hier kann man alles erzählen, wir sind an die Schweigepflicht gebunden", sagt Martensen.
Finanzierung der Suchtberatungsstellen prekär
"Die Situation der Suchtberatungsstellen und deren Finanzierung ist prekär, die Versorgung der Einwohner defizitär", erklärt Katrin Kuphal, Geschäftsführerin der Evangelischen Suchtkrankenhilfe Mecklenburg-Vorpommern. Landkreise und Kommunen seien für das Vorhalten von Drogenberatungsstellen zuständig, aber das Dilemma sei, dass die Landkreise und Kommunen finanziell sehr schlecht aufgestellt seien und vom Land nicht ausreichend unterstützt würden. Die hohen Finanzierungslücken müssten die Träger der Suchtberatungen aufbringen, das wären schon mal 50.000 Euro pro Jahr pro Beratungsstelle sein, für nur zwei Fachkräfte.
Jedes Jahr müsse aufs Neue für die Budgetierung gekämpft werden, moniert Katrin Kuphal. Sie und ihre Kollegen werben deshalb für eine institutionelle Förderung, was bedeuten würde, dass Drogenberatung eine Pflichtaufgabe wäre und die Mittel dafür im Haushalt fest eingestellt und damit gesichert wären.
Suchtberatung hilft 90 Prozent der Klienten
Nur durch eine verlässliche Finanzierung könnten suchtkranke Menschen die Hilfe erhalten, die sie suchen und die sie dringend brauchen. "Wir haben einen hohen Zulauf und eine hohe Effizienz", sagt Kuphal. "Wir möchten niemanden abweisen, sondern sehen, dass wir ihm weiterhelfen." 90 Prozent der Menschen, die sie beraten würden, schafften es dadurch mit ihrer Suchtkrankheit anders umzugehen und ihre Lebenssituation zu verbessern. Das sei enorm hoch. Nur etwa zehn Prozent ihrer Klienten würden in eine Reha oder andere Einrichtung vermittelt. Hinzu komme, dass sich die Kommunen volkswirtschaftlich und gesundheits- und sozialpolitisch gesehen viel Geld sparen. "Weil jeder, der nicht beraten oder versorgt wird, in der Arbeits- oder Obdachlosigkeit landen kann", sagt Kuphal. Die Folgeerkrankungen seien viel schlimmer.
"Es gibt nichts Effizienteres als die Suchtberatung. Alle anderen Angebote sind teurer. Und es wird noch teurer, wenn ein Suchtkranker nicht behandelt, beraten oder therapiert wird weil er dann der Volkswirtschaft und der Sozialwirtschaft viel teurer auf die Füße fällt. Ganz unabhängig davon, dass das Wohlbefinden eines Betroffenen auch ein ganz anderes ist." Katrin Kuphal, Geschäftsführerin der Evangelischen Suchtkrankenhilfe Mecklenburg-Vorpommern
Michael Meyer: Suchtberatung war Rettungsanker
Für den ehemaligen Kraftfahrer Michael Meyer ist die Suchtberatung in Schwerin eine Art Rettungsanker gewesen, sagt er. "Ich fühle mich hier geborgen. Es ist ein Ort, an dem ich über mich berichten kann. In jeder Lebensphase. Natürlich würde das ein Einbruch sein, wenn ich nicht mehr hierher kommen dürfte oder könnte, weil es sie nicht mehr gibt, für mich, um mir Hilfe zu holen", so Meyer weiter.