Schilder, Chöre, Parolen: Sprache auf Demos in MV
Regelmäßig hallen derzeit auf Demonstrationen Sprechchöre durch Städte in Mecklenburg-Vorpommern: "Rechtsextreme Ampelregierung" oder "Fuck Nazis". Eine Sprachwissenschaftlerin ordnet diese Äußerungen ein.
Seit Wochen demonstrieren Menschen in Rostock gegen Rechtsextremismus. Zu hören sind Rufe wie "Ganz Rostock hasst die AfD" oder "Nazis raus". Während sie mit ihren Slogans ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen wollen und die Demokratie bedroht sehen, versammeln sich beispielsweise andere Menschen seit Juni 2020 regelmäßig montags auf dem Neuen Markt in Rostock. Sie wiederum gehen gegen die "rechtsextreme Ampel-Regierung" oder die "faschistischen Grünen" auf die Straße. Die Bezeichnung "Montagsdemonstrationen" knüpft an die historischen Ereignisse von 1989 an. Damals allerdings demonstrierten DDR-Bürger massenhaft gegen die SED-Diktatur. Sie forderten Meinungs-, Reise- und Pressefreiheit sowie Demokratie und freie Wahlen.
Umdeutungen und ihre Bedeutung
Martha Kuhnhenn von der Universität Greifswald hat über Glaubwürdigkeit in der politischen Kommunikation ihre Doktorarbeit geschrieben. Die Politolinguistin sieht in politischen Aussagen wie "rechtsextreme Ampelregierung" eine Vernebelung durch Sprache: "In den genannten Beispielen wird das Bezugsobjekt (hier: die Ampelregierung) mit Attributen und Bedeutungen versehen, die faktisch nicht auf sie zutreffen." Dabei handele es sich um eine strategische Bedeutungsumkehr. Die ursprüngliche Bedeutung eines Begriffes werde mit neuen, womöglich entgegengesetzten Bedeutungen belegt, um gezielt zu diffamieren.
Bedeutungsumkehr ist eines von vielen Mitteln populistischer Rhetorik. Bestimmte Begriffe wie "Lügenpresse" oder "Systemmedien", die einen konkreten geschichtlichen Hintergrund haben, sind als rechtspopulistisch einzuordnen, so Martha Kuhnhenn: "So wurde der Begriff 'Lügenpresse' gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebraucht, um solche Presseerzeugnisse zu diffamieren, die der eigenen politischen oder gesellschaftlichen Position widersprechen würden", erläutert Kuhnhenn. "Vor allem wurde der Begriff aber im Nationalsozialismus gebraucht, um unabhängige Medien pauschal herabzuwürdigen."
Botschaften und Begriffe
In der Rostocker Südstadt finden regelmäßig Proteste in Form sogenannter Schilderdemos statt, bei denen alle Teilnehmer Schilder mit politischen Slogans zeigen. Dort ist beispielsweise zu lesen: "Marionetten ruinieren unser Land". Laut Kuhnhenn ebenfalls ein typisches Muster populistischer Rhetorik. Die Regierung werde als Marionette einer nicht näher definierten, im Hintergrund agierenden Macht dargestellt, während die Sprecherinnen und Sprecher sich als das "echte" Volk präsentieren. Da mit dem Begriff "unser Land" ein Besitzanspruch suggeriert wird, werde klar, wer aus Sicht der Demonstrierenden die "wahren" Volksvertreter seien, erläutert die Sprachwissenschaftlerin. Eine ähnliche Strategie in der politischen Kommunikation verfolge auch Ex-US-Präsident Donald Trump mit seinem Slogan "Make America great again" und die AfD mit "Unser Land zuerst". Dabei werde mit der populistischen Behauptung gearbeitet, es gäbe ein "echtes" Volk, erklärt Kuhnhenn.
Verallgemeinerung und Verkürzung
"Ganz Rostock hasst die AfD" - auch eine Verallgemeinerung. Jedoch keine, die sich mit dem Schlagwort "faschistische Grüne" gleichsetzen ließe, meint Martha Kuhnhenn. "Unterstützen die Sprecherinnen und Sprecher eine Partei oder Gruppierungen, die (in Teilen) gesichert rechtsextrem sind, die die BRD als demokratischen Staat ablehnen und menschenverachtende Einstellungen haben oder geht es den Sprecherinnen darum ebensolche Gruppen zu kritisieren", fragt sie.
Meinungsführer und Mitläufer
Insofern sei es besonders wichtig, genau zu unterscheiden, wer bei unterschiedlichen politischen Protesten als Meinungsführer auftrete oder nur Mitläufer sei: "Es kann angenommen werden, dass einige Personen diese Vernebelungsstrategie bewusst anwenden, weil sie beispielsweise demokratiefeindlich eingestellt sind. Andere Personen schließen sich diesen populistischen bis rechtsextremen Aussagen an, weil sie womöglich von der Politik enttäuscht sind."
"Fakten gehen oft unter"
Vereinfachung und Emotionalisierung - beides Merkmale rechtspopulistischer Sprache. Martha Kuhnhenn gibt jedoch zu bedenken: Generell handele es sich bei knappen Slogans, die zum Beispiel auf Protest-Schildern stehen, um verkürzte und emotionale Formulierungen, die komplexe Themen vereinfachen und vor allem Gleichgesinnte ansprechen. Zudem griffen Medien markante Aussagen eher auf, erklärt Kuhnhenn. "Im aktuellen öffentlichen Diskurs 'auf der Straße' lässt sich deutlich eine hochgradig emotional aufgeladene Debatte sehen: Fakten gehen oft unter."