Pipeline und Propaganda? Ein Faktencheck
Ein russischer Fernsehsender hat bedrohliche Bilder von der Baustelle der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 gezeigt. Aber die sind offenbar nicht so aktuell wie behauptet.
Es sind Bilder, wie aus der Hochphase des Kalten Krieges: niedrig fliegende Flugzeuge, unvermittelt auftauchende U-Boote und andere Kriegsschiffe, gefährliche Manöver und Beinahe-Kollisionen. Eine Grafik zeigt den Kurs von polnischen Kriegsschiffen, die die Nord-Stream-2-Baustelle gefährlich dicht umrunden. Die Bilder werden mit aufgeregtem Funkverkehr unterlegt. Das alles berichtete der russische Sender Kanal1 kurz vor Ostern von der Baustelle der Ostseepipeline Nord Stream 2 in der Ostsee zwischen Rügen und Bornholm.
Fischtrawler auf Rammkurs
Polnische Fischtrawler sollen demnach mehrfach versucht haben, russische Nord-Stream-2-Schiffe zu rammen. Gerade noch rechtzeitig kann der Eisbrecher "Wladislaw Strizhoff" abdrehen und so die Kollision verhindern, berichtet Nord- Stream-2-Direktor Andrej Minin. Im halbstaatlichen Sender Kanal1 klagt Minin an: "Das sind unverantwortliche und provokative Aktionen, die unserer Meinung nach genau geplant worden sind." Polen hat diese Vorwürfe prompt zurückgewiesen. Gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) erklärte das Verteidigungsministerium in Warschau: Am 29. März sei ein Schiff der Marine seiner gesetzlichen Aufgabe nachgegangen. Dabei sei der Sicherheitsabstand zum russischen Schiffsverband eingehalten worden. Zudem absolvierten Flugzeuge der polnischen Marine regelmäßig Patrouillenflüge.
Nicht identifizierbare feindliche Schiffe
Die Vorwürfe des Managers Andrej Minin wiegen schwer. Nord Stream 2 verfügt über eine gültige Baugenehmigung. Die Arbeiten finden in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Dänemarks statt. Und die dänische Seefahrtsbehörde hat eine Sicherheitszone von 1,5 Seemeilen um die Verlegeschiffe "Fortuna" und "Akademik Tscherski" festgelegt. Dennoch wirft der Bericht von Kanal1 Fragen auf. Auf den Fernsehbildern ist nicht zu erkennen, um welche "feindlichen Schiffe" es sich genau handelt. Fakt ist: das mehrfach gezeigte Verlegeschiff ist weder die aktuell im Einsatz befindliche russische "Fortuna" noch die "Akademik Tscherski". Es handelt sich vielmehr um die "Solitaire", die für eine Schweizer Firma unter Panama-Flagge fährt. Das Schiff ist seit Ende 2019 nicht mehr am Bau von Nord Stream 2 beteiligt. Kanal1 unterlässt es, die Bilder als Archivmaterial zu kennzeichnen.
Der NDR hat den deutschen Pressesprecher von Nord Stream 2 gebeten, die Herkunft der Bilder zu klären. Steffen Ebert: "Direktor Minin wollte die Notwendigkeit der Einhaltung von maritimen Sicherheitsvorschriften unterstreichen. Uns ist nicht bekannt, woher russische Medien ergänzenden Informationen sowie das aktuelle Bildmaterial bezogen haben."
Erkenntnislose Dänen
Im Kanal1-Bericht kommt der russische Sicherheitsexperte Dimitry Suslow zu Wort. Er stellt fest: "Es geht um die Verlegung eines Abschnitts der Pipeline in offenen internationalen Gewässern. Solche Provokationen in Friedenszeiten gegen wirtschaftliche Einrichtungen anderer Staaten stellen einen noch nie dagewesenen Fall dar." Die Gasleitung verläuft durch die dänische AWZ. Nachfrage beim dänischen Verteidigungsministerium, ob die im Beitrag gezeigten Zwischenfälle aktenkundig sind. Lars Skjoldan vom Kommando in Karup: "Wir überwachen routinemäßig Teile der dänischen Wirtschaftszone, unter anderem um sicherzustellen, dass dänisches Hoheitsgebiet nicht verletzt wird. Diese Überwachung hat keine Erkenntnisse dazu erbracht, was sich im vorliegenden Fall abgespielt haben könnte."
Fazit: Niemand mag die präsentierten Fakten von Kanal1 bestätigen. Vieles bleibt unklar. Und: Kanal1 geht in diesem Fall auf fragwürdige Weise mit Bildmaterial um.