Nord Stream 2: Wurde die Rostocker Bürgerschaft getäuscht?
Die ROKAI GmbH profitierte besonders bei der Fertigstellung von Nord Stream 2. Für Arbeiten an der Pipeline pachtete die Firma ein Grundstück der Stadt Rostock. Wie das Geschäft zwischen Stadt und ROKAI zustande kam, ist heute Thema im Untersuchungsausschuss.
Am 8. Januar 2025 erreichen interne Unterlagen aus Rostock den dritten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages in Schwerin. Es ist der Ausschuss, der sich den Fragen rund um die umstrittene Klimastiftung MV und den Bau von Nord Stream 2 widmet. Die Abgeordneten warten schon seit einem Jahr auf die vollständigen Akten, die jetzt vorliegen. 219 Seiten interne Schriftstücke aus der Verwaltung der Hansestadt Rostock. Darin dreht sich alles um die spätere ROKAI GmbH und ihr Ziel, eine Fläche der Stadt zu mieten. Genauer gesagt: ein Grundstück direkt an der Kaikante neben der Neptun-Werft im Seehafen der Hansestadt. Der FDP-Landtagsabgeordnete René Domke sagt: "Die übersandten Dokumente legen die Vermutung nahe, dass der Hauptausschuss der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock nicht umfassend über den Geschäftszweck der ROKAI GmbH I.G. informiert, wenn nicht gar getäuscht wurde."
Rückblick: Rostocker Ausschuss gibt grünes Licht für ROKAI-Deal
Am 23. Februar 2021 beriet der Hauptausschuss der Rostocker Bürgerschaft im nichtöffentlichen Sitzungsteil über einen vermeintlich unverfänglichen Pachtvertrag. Eine Firma, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in Gründung befand, wollte eine Kaianlage im Rostocker Ortsteil Groß-Klein anmieten. In der Beschlussvorlage für die Hauptausschussmitglieder heißt es, die ROKAI GmbH beabsichtige dort "regelmäßig Versorgungsschiffe für Offshore-Windkraft und andere Anlagen auszurüsten und abzufertigen". Die Stadt Rostock solle dadurch mehrere Millionen Euro einnehmen.
In der Niederschrift zu dieser Sitzung heißt es später, der Ausschuss stimmt dem vorliegenden Pachtvertrag zu – elf Stimmen dafür, keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Von einer Verbindung zu Nord Stream 2 war in der Beschlussvorlage keine Rede. Doch nur zwei Wochen später legte am frisch verpachteten Kai, der erste russische Offshore-Versorger an: Die "Artemis". Sie war eines von einem guten Dutzend Schiffe, die zu dem Zeitpunkt die Ostseepipeline verlegten. Einige Mitglieder des Rostocker Hauptausschusses beteuern, davon nichts gewusst zu haben. Im Gegenteil - wären sie darüber unterrichtet gewesen, dass es sich bei der ROKAI GmbH um einen Dienstleister für Nord Stream 2 handelte, hätten sie nicht zugestimmt, heißt es etwa aus den Reihen der Grünen in Rostock.
Verwaltungsmitarbeitende tauschten sich über Nord Stream-Verbindung aus
Doch was war von all dem in der Rostocker Stadtverwaltung vor Abschluss des Vertrages bekannt? Dem NDR liegen interne Mails vor, in denen es um die Vorbereitungen des Pachtvertrages zwischen der Hansestadt Rostock und der späteren ROKAI GmbH geht. Die Unterlagen legen nahe: Teilen der Stadtverwaltung war offenbar etwa drei Monate vor der Sitzung des Hauptausschusses klar, dass die Pläne der späteren ROKAI GmbH vorsahen, Schiffe am sogenannten MAGEB Kai anlegen zu lassen, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind.
Ende November 2020 schrieb beispielsweise der für den Hafen zuständige Rostocker Abteilungsleiter an den Hafenkapitän eine E-Mail. Darin unterrichtet er ihn darüber, dass es Interessenten für die Kaianlage gibt. Er leitete ihm einen entsprechenden Schriftverkehr weiter und schrieb außerdem: "Ergänzend hierzu kommt noch der lediglich telefonisch mitgeteilte Hinweis, dass die auszurüstenden Schiffe für das Nordstream2 Projekt zum Einsatz kommen sollen und hier wird es wie Sie ja wissen politisch."
Gesucht war offenbar eine "Kaikante für Nordstream II"
In den folgenden Tagen und Wochen vor der Hauptausschusssitzung im Februar 2021 wanderten unzählige weitere Mails über die Schreibtische diverser Mitarbeitenden aus der Rostocker Stadtverwaltung. Darin unter anderem enthalten: Die Daten der Spezialschiffe "Akademik Cherskiy" und "Fortuna", Scans von Zeitungsartikeln über Einsätze der besagten Schiffe beim Bau von Nord Stream 2 oder auch eine Einladung für eine Videokonferenz im Dezember 2020, die den Titel trägt "Nordstream II Kaianlage Mageb". Zu diesem Termin eingeladen ist auch das "Büro S2". Mehrere Quellen erklären dem NDR: S2 wird in Rostock verwaltungsintern als Kürzel für den Senator Chris von Wrycz Rekowski (SPD) verwendet.
Rostocker Senator als Zeuge im Untersuchungsausschuss
Er ist in der Hansestadt zuständig für die Themen Finanzen, Digitalisierung und Ordnung. Der Kommunalpolitiker ist im Dezember 2020, also mehr als zwei Monate vor der Hauptausschusssitzung, auch Empfänger einer E-Mail, in deren Betreff es heißt: "Kaikante für Nordstream II". Der Senator unterschreibt später auch die Vorlage für die Beratung im Hauptausschuss. Aber warum haben Verantwortliche die ihnen bekannte Verbindung zu Nord Stream 2 den Ausschussmitgliedern offenbar nicht mitgeteilt?
Auf NDR Anfrage macht der Sprecher der Stadt klar, die Verwaltung bestreite nicht, dass ihr die Verbindung bekannt war. Es habe jedoch "Missverständnisse" gegeben – bei der Verwaltungsführung und bei einigen Mitgliedern des Hauptausschusses. "Diese Missverständnisse wurden ausgewertet und die Verwaltung bedauert sie", schreibt der Sprecher weiter. Künftig wolle man die Kommunikation noch enger gestalten. Gleichzeitig betont der Sprecher in seinem Statement mit Verweis auf geltendes Recht: "Die im Februar 2021 eingebrachte Beschlussvorlage enthielt dazu (…) alle formal entscheidungsrelevanten Informationen." Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses in Schwerin wollen an dieser Stelle mehr erfahren. Die Obmänner haben den zuständigen Rostocker Senator als Zeugen für heute vorgeladen.