Lebertransplantations-Zentrum in Rostock steht vor dem Aus
Vom "Ausverkauf unserer medizinischen Kompetenz" spricht Professor Sebastian Hinz. Der Leiter der Transplantationschirurgie an der Uniklinik Rostock rechnet jeden Tag damit, dass sein Lebertransplantationszentrum geschlossen wird. Mit weitreichenden Folgen – auch für andere Fachbereiche.
Christel Matzik nimmt gut gelaunt den Lichtflur auf dem Weg zur Nachsorge. Die 68-jährige Rostockerin hat vor neun Monaten eine neue Spenderleber bekommen. Über 18 Monate hat sie darauf gewartet, das alte Organ hatte ihr Körper abgestoßen. "Eine Autoimmunkrankheit vermuten die Ärzte", so die Patientin. "Jetzt bin ich ein neuer Mensch, ich könnte mir sogar vorstellen, mal wieder eine Busreise mit meinen Freunden zu machen."
Das bespricht sie jetzt mit Dr. Theresia Blattmann. Die Gastroenterologin hat Frau Matzik die ganze Zeit betreut – bei der Vor- und Nachsorge. "Das waren allein 18 Sitzungen davor und jetzt sind es 10 danach", stellt die Fachärztin beim Blick in den Kalender fest. "Wenn unser Transplantationszentrum schließt, müssen Patientinnen wie Frau Matzik nach Berlin oder Hamburg ausweichen. Uns wird es dann nicht mehr geben", sagt sie. Für die Patientin schwer vorstellbar: Sie ist zweifache Witwe, hat kein Auto und eine kleine Rente. "Und mir ging es die meiste Zeit sehr schlecht. Lange Transporte wären für mich die reine Qual gewesen."
Das Lebertransplantationszentrum soll schließen – der Grund: eine Fallzahl
Doch die Schließung des einzigen Lebertransplantationszentrums in Mecklenburg-Vorpommern scheint festzustehen. Die Uniklinik Rostock hat die Fallzahl von 20 nicht erreicht. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Zusammenschluss aus Krankenkassen und Vertragsärzten, hat das so festgelegt. In Rostock haben die Ärzte 2023 nur zehn Leberorgane verpflanzt. Zu wenig, so der G-BA. Auf Anfrage des NDR erklärt er: "Nur wenn die Mindestmenge im Jahresdurchschnitt voraussichtlich erreicht wird, darf diese spezielle Leistung [...] erbracht werden. Ein Krankenhaus, das die medizinische Leistung dennoch durchführt, verstößt somit […] gegen das Gesetz."
Professor Hinz versteht das nicht. Er ist Leiter der Transplantationschirurgie an der Uniklinik. Die Wände vor und in seinem Büro sind voll mit Auszeichnungen, Zertifikaten und Qualitätsprüfungen. "Wohlgemerkt: Der G-BA will mit der Schließung kein Geld sparen, sondern spricht uns die Kompetenz ab. Weil er meint, dass ein Arzt, der zwanzigmal eine Leber verpflanzt, es besser macht als einer der zehnmal operiert."
Der Chirurg behält im Zahlendschungel den Überblick, obwohl manches unklar bleibt. So gibt der G-BA für Herztransplantationen andere Fallzahlen vor. Bei den höchst komplizierten Eingriffen reichen bereits 15 Operationen, um die Existenz eines Transplantationszentrums zu sichern. "Bei Leber 20, bei Herz 15? Was ist die wissenschaftliche Grundlage für diese Fallzahlen?“, fragt Professor Hinz. Es gibt weitere Fragen bei der Fallzahl-Betrachtung. Nach NDR Recherchen sollen die Lebertransplantationszentren in Köln und Bonn erhalten bleiben, ebenso in Würzburg. Obwohl auch dort die Zahl von 20 Operationen nicht erreicht wurde.
Die Landesregierung ist gegen die Schließung, aber...
Grund hierfür sind Sonderregelungen. Denn spricht sich der G-BA für eine Schließung aus, kann die Landesregierung in Gesprächen mit den örtlichen Krankenkassen eine einjährige Ausnahmeregelung treffen – und sie anschließend verlängern. Das versucht zur Zeit die Rot-Rote Koalition in Schwerin. Von dieser heißt es: "Eine gute Erreichbarkeit des Lebertransplantationszentrums ist daher entscheidend für den langfristigen Erfolg einer Lebertransplantation […] Dafür setzen wir uns ein und sind weiterhin im Gespräch mit den Krankenkassen als unseren Ansprechpartnern." Nach NDR Erkenntnissen geht die Uniklinik jedoch davon aus, dass der Bescheid zur Schließung verschickt wird. Mit weitreichenden Folgen für andere Abteilungen.
Dominoeffekt für die Behandlung anderer Krebsarten
Transplantationschirurg Hinz rechnet dann damit, dass Artverwandtes, wie die Behandlung von Leberkrebs, Speiseröhrenerkrankungen und Nierenkrebs auf kurze Sicht ebenfalls betroffen ist: "Das Know-how und der wissenschaftliche Nachwuchs, die werden abwandern. Das betrifft dann Rostock, Schwerin und Neubrandenburg. Egal, ob es sich um ein privat geführtes Krankenhaus oder eine Uniklinik handelt. Insgesamt ist es ein Ausverkauf unserer medizinischen Kompetenz."
Was passiert jetzt mit dem Transplantationszentrum?
Die endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen. Selbst wenn das Transplantationszentrum den Bescheid zur Schließung zugestellt bekommt, bleibt immer noch der Klageweg. Die Tendenz geht tatsächlich dahin, dass die Landesregierung gemeinsam mit der Uniklinik vor Gericht zieht. Währenddessen droht jedoch der Stillstand am OP-Tisch. Seit dem 1. Januar 2024 haben die Rostocker Ärzte keine Leber mehr verpflanzt. Auf Grund der Entscheidung des G-BA zur Schließung. Würden sie eine Operation trotzdem durchführen, müsste das Uniklinikum sie quasi aus eigener Tasche bezahlen. Eine Nierentransplantation kostet im Schnitt 103.000 Euro.
So geht es Christel Matzik mit ihrer Tauschleber
Dr. Theresia Blattmann hat nach 20 Minuten den Ultraschall und die Blutentnahme an der Spenderleber beendet. Bei Christel Matzik ist alles so weit in Ordnung. Sie nimmt zur Zeit 17 Medikamente, damit das Organ komplikationsfrei arbeitet und nicht abgestoßen wird. Sie ist froh, dass die Ärzte den Eingriff im regionalen Transplantationszentrum durchführen konnten. In drei Wochen muss sie erneut zur Kontrolle. Und hofft, dass das dann weiterhin Rostock sein wird.