Behandlungsfehler ohne Konsequenzen
Alles beginnt mit einem Arbeitsunfall: Tina Havemeister aus Schleswig-Holstein ist selbstständig, verkauft Geflügel auf dem Wochenmarkt. Eine Schublade in ihrem Wagen springt auf und 80 Kilo Fleisch treffen auf ihren Zeh, zertrümmern das Gelenk. Tina Havemeister hat höllische Schmerzen. Sie geht zum Arzt, der ihr mit einer Operation den Zeh wieder richten will.
Falscher Fuß operiert
Tina Havemeister sieht ihren Arzt allerdings erst nach der OP wieder. Ein anderer Kollege markiert vor der Operation ihr linkes Bein. Eine Sicherheitsmaßnahme, damit die Ärzte den richtigen Fuß operieren. Sie selbst hatte noch ein zusätzliches Kreuz auf ihren Spann gemalt. Und trotzdem kommt nach der OP der Schock: Es wurde der falsche Fuß operiert. Tina Havemeister besteht darauf, dass sie sofort noch einmal operiert wird - am richtigen Zeh. Sie arbeitet freiberuflich, kann nicht noch länger krank sein. Doch es wird noch drei Monate dauern, bis sie wieder arbeiten kann. Der Arzt entschuldigt sich bei ihr, bringt Blumen. Und auch die Klinik bedauert den Vorfall: Man ärgere sich über dieses menschliche Versagen. Darüber hinaus habe man Frau Havemeister umgehend eine Soforthilfe gezahlt.
Fehlerkultur? Fehlanzeige
Fehler sind menschlich. Doch in der Medizin können sie besonders schwere Auswirkungen haben. Deshalb muss es einheitliche Sicherheitsmaßnahmen geben. In anderen Risikoindustrien wie zum Beispiel der Luftfahrt sind diese vorgeschrieben. Nicht so im Krankenhaus: Patientensicherheit hängt hier vom persönlichen Engagement einzelner ab. Doch Ärzte und Pfleger leiden seit Jahren unter einer immer höheren Arbeitsverdichtung. Je hektischer eine Situation desto schneller passieren Fehler. Personalnot, Kostendruck, Zeitnot - alles hemmt eine dringend notwendige Fehlerkultur.
Greifswald: Checkliste gegen Fehler
In der Universitätsklinik Greifswald weiß man, dass Ärzte immer wieder Körperteile verwechseln. Deshalb ist es hier Pflicht, dass der Operateur kurz vor der OP persönlich den Patienten trifft. Gemeinsam wird die zu operierende Stelle markiert. Und in Greifswald wird zudem mit weiteren Sicherheitsmaßnahmen gearbeitet: Jeder Patient wird gescannt, um Verwechslungen zu vermeiden. Außerdem gibt es die so genannte Checkliste. Als erstes muss hier abgehakt werden: Ist die richtige Seite des Körpers markiert? Erst wenn die Checkliste vollständig ist, darf der Patientin in den OP. Fehlt ein Kreuz, stoppt der gesamte Ablauf. "Die Leute müssen das verinnerlichen", sagt Prof. Claus-Dieter Heidecke. Nur so hätten Checklisten einen Sinn. Und trotz Checkliste passieren immer wieder Fehler. Wie häufig ist nicht bekannt.
Fehlermelde-Datenbank könnte Fehler vermeiden helfen
Doch nicht in allen Krankenhäusern wird so gearbeitet wie im Greifswalder Klinikum. Wie man Fehler erkennt und auch behebt, bleibt in Deutschland jedem Krankenhaus selbst überlassen. Bisher gibt es nur einzelne Methoden auf freiwilliger Basis. Es fehlt ein Überblick für alle Krankenhäuser, an welcher Stelle im Ablauf Behandlungsfehler passieren - und wie man sie vermeiden könnte. Dies wäre möglich durch eine übergeordnete Registrierung solcher Fehler in einer zentralen Fehlermelde-Datenbank. Dabei geht es nicht darum, einzelne Ärzte oder Pfleger an den Pranger zu stellen. Es müssten anonym Fehler gesammelt werden, damit alle wissen, wie sie passieren konnten. Denn ein Fehler, der in einem Krankenhaus passiert, muss in einem anderen nicht noch einmal passieren. So hätte man eine Chance, die Strukturen in den Krankenhäusern zu ändern.