Überlastung in der Notaufnahme
Innerhalb von nur fünf Jahren hat sich in der Notaufnahme des Hamburger Marienkrankenhauses die Zahl der Patienten verdoppelt: Rund 120 bis 140 Menschen suchen hier jeden Tag medizinische Hilfe. Nicht alle sind im engeren Sinne ein Notfall. Dennoch sitzen sie im Wartebereich: der Schnupfen, die Magenbeschwerden, der seit Wochen schmerzende Rücken oder die Blasenentzündung.
Einige warten dort, weil der Hausarzt bereits geschlossen hat, andere, weil sie gar keinen Hausarzt mehr haben: "Die Hausärzte haben Aufnahme-Stopp, vielen Patienten wird schon am Telefon nahegelegt, sich doch gleich in die Notaufnahme zu bewegen", berichtet Pflegedienstleiterin Claudia Piper. Sie und ihr Team müssen von Fall zu Fall entscheiden, wer jetzt am dringendsten ihre Hilfe benötigt, alle anderen müssen eben warten.
Der Ton in der Notaufnahme hat sich verschärft
In einem Zimmer liegt eine junge Frau, sie ist hochschwanger, klagt über Atemnot und Schwindel. Gemeinsam mit ihrem Freund wartet sie auf einen Arzt - seit mehr als drei Stunden: "Gut, es ist kein Notfall", gesteht sie zu, "ich blute nicht, ich bin nicht mit dem Krankenwagen gekommen, aber mir geht es nicht gut, und ich liege hier und bekomme keine Luft. Es wäre schön wenn doch jemand kommt, wir haben lange genug gewartet."
So geduldig sind längst nicht alle Patienten, der Ton in der Notaufnahme hat sich verschärft, berichtet Schwester Simone: "Manche treten sehr aggressiv auf und kommen einem dann auch sehr nah. Sie werden lauter, und dadurch dass sie lauter werden kommen Sie einem automatisch näher. Und dann rufe ich den Security-Mann, dass er einfach einen Moment bei mir bleibt." Körperliche Übergriffe seien aber die Ausnahme. Beschimpfungen und ein rauer Ton sowie die Anspruchshaltung, sofort einen Arzt zu sehen, kämen dagegen häufiger vor.
Hausarztpraxis in der Notaufnahme
Dr. Michael Wünning ist leitender Arzt am Zentrum für Notfall- und Akutmedizin im Marienkrankenhaus. Auch wenn seine Station oft voll belegt ist, schickt er niemanden weg. "Wir behandeln hier jeden Patienten auch wenn wir das Gefühl haben er könnte genauso gut beim Hausarzt behandelt werden. Da stellen wir nicht die Frage, warum er keinen Termin beim Hausarzt bekommen hat. Das ist nicht unsere Aufgabe."
Das katholische Marienkrankenhaus betreibt seit rund zehn Jahren eine Hausarzt-Praxis in den Räumen der Notaufnahme. Hier kümmert sich ein Arzt um all jene Fälle, die eigentlich ein Hausarzt behandeln könnte. Und schafft so ein wenig Entlastung für die Kollegen in der Notaufnahme. Das Konstrukt mit einem Hausarzt in der Notaufnahme sieht Dr. Michael Wünning als zukunftsträchtig: "Wir machen keinen Vorwurf an die Hausärzte oder an die Fachärzte, sondern wir sagen jeder Patient der zu uns kommen will, der kann zu uns kommen und wird anhand der von uns festgelegten Dringlichkeitsressourcen gerecht und bedarfsgerecht behandelt. Der eine braucht mehr der andere braucht weniger".
Viele können erst nach Feierabend zum Arzt
Der Run auf die Notaufnahmen wird vermutlich dennoch nicht nachlassen. Das liege auch am gesellschaftlichen Wandel. Die Gesellschaft sei mobiler geworden. Viele Menschen blieben beruflich nur eine gewisse Zeit in der Stadt, einen richtigen Hausarzt hätten viele Menschen gar nicht mehr. Hinzu kommen lange Arbeitszeiten und auch Ängste vor einem Jobverlust. Da könne er es durchaus verstehen, wenn Menschen erst nach Feierabend Zeit hätten, sich um sich selbst zu kümmern.