Kerths Austritt verunsichert Landes-SPD

Stand: 07.11.2023 09:13 Uhr

Die Landes-SPD hat schmallippig auf den Parteiaustritt des Landrats von Vorpommern-Rügen, Stefan Kerth, reagiert. Man bedauere den Schritt, hieß es aus der Parteizentrale in Schwerin. Mehr gab es dazu nicht.

eine Analyse von Stefan Ludmann

Erst am vergangenen Donnerstag feierte die SPD-Landesvorsitzende, Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, mit Getreuen und vielen Ehemaligen das 25-jährige Regierungsjubiläum ihrer SPD. Zum Vierteljahrhundert SPD-Regentschaft servierte die Parteichefin eigenhändig Torte. Der Konditor hatte auftragsgemäß das Motto "Verantwortung für MV - Verpflichtung für die Zukunft" in Zuckerguss-Schrift gegossen. Landrat Stefan Kerth wollte seiner SPD die süße Feierlaune offenbar nicht verderben. Er wartete die Jubiläumsfeier ab und schickte erst am Wochenende danach sein Parteibuch zurück nach Schwerin.

Schritt kommt nicht überraschend

Der Schritt ist ein Paukenschlag, auch wenn er für Eingeweihte nicht überraschend kam. Kerth, der mal Mitarbeiter in der Landtagsfraktion war, hat sich in den letzten Jahren immer mehr von der SPD entfremdet. Er forderte von seiner Partei immer wieder einen härteren Kurs in der Flüchtlingspolitik und eckte damit auch im Landesverband an. Der 50-Jährige beklagte wiederholt einen abgehobenen und wirklichkeitsfremden Kurs in der SPD, er kritisierte, dass Kritiker zu oft in die rechte Ecke gestellt würden. Am Ende fühlte er sich offenbar nicht ge- und erhört und ging.

Berufliche Perspektive besser ohne SPD?

Vielleicht hat sein Parteiaustritt auch mit seiner beruflichen Perspektive zu tun. In weniger als zwei Jahren wird ein neuer Landrat gewählt. Kerths Chancen, mit einem SPD-Parteibuch in Vorpommern-Rügen, einem lange CDU-geführten Landkreis, wieder Chef der Verwaltung zu werden, scheinen übersichtlich. Vielleicht, so sein Kalkül, könnte es auf eigene Rechnung und als Parteiloser besser klappen. Oder es kommt ganz anders. Kerth könnte sich der angekündigten Wagenknecht-Partei anschließen - die national-soziale Kritik an der Flüchtlingspolitik eint beide. Einer Frage des Nordmagazin-Moderators Thilo Tautz, ob er denn mit dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" liebäugele, wich Kerth am Montagabend in einem Live-Interview allerdings aus.

Mikrofon erneut unbeabsichtigt offen

Spekulationen über seine parteipolitische Zukunft befeuerte er kurz zuvor ungewollt in einer internen Schalte der Landräte mit dem Innenministerium - es ging um Details zur Flüchtlingsunterbringung. Teilnehmer berichteten danach übereinstimmend, dass Kerth wieder einmal sein Mikrofon unbeabsichtigt offen hatte, als er ein Telefonat annahm. Darin ging es offenbar um seinen Parteiaustritt. Kerth soll seinem Gesprächspartner sinngemäß gesagt haben, für ihn komme ohnehin nur eine CDU-geführte Regierung infrage. Erst auf Hinweise aus der Schalte, stellte Kerth sein Mikro stumm.

Würdisch: "Austritt Kerths sehr schade"

Für die auch in Umfragen gebeutelte SPD kommt Kerths Schritt auch ohne ein schnelles Überlaufen zur CDU zur Unzeit. Er hatte den Landkreis 2018 für die SPD geholt - als erster SPD-Landrat in Vorpommern. Jetzt muss die SPD um ihre kommunalpolitische Verankerung fürchten. Der SPD-Kreisvorsitzende in Vorpommern-Rügen, der Landtagsabgeordnete Thomas Würdisch, spricht auch deshalb von "schwierigen Zeiten". Sehr schade sei der Austritt Kerths, er habe den Rat des Landrats immer geschätzt - auch seine Kritik, so Würdisch. Er bedauerte, dass Kerth seinen Schritt nicht vorher persönlich mit ihm besprochen habe.

Diskussion um Einwanderung

Der SPD-Kreisvorsitzende im Landkreis Rostock, Thomas Salzmann, sagte, die Landes-SPD verliere einen der wenigen, der noch authentisch gewesen sei. Kerth sei jemand, der nicht inszeniere, der sich für seine Region verantwortlich fühle und der herzlich auf Menschen zugehen könne. Jetzt werde es für die SPD noch schwerer, Menschen zu erreichen. Salzmann gehört zu denen in der Landes-SPD, die sich einen Kurs der Parteispitze auf Kerth-Linie wünschen. CDU-Generalsekretär Daniel Peters spannt einen weiteren Bogen. Er sah das "System Schwesig" schon oft in Bedrängnis, vor allem bei Kritik von außen und innen. Jetzt gerate dieses System ins Wanken, schreibt Peters als Reaktion auf Kerths Austritt. Der Landrat habe erkannt, dass "diese SPD die unkontrollierte Einwanderung nicht stoppen will".

Weiterer "Wackelkandidat"

Aus der SPD heißt es dagegen, Kerth habe in der Vergangenheit immer kontroverse Interviews gegeben und öffentlich einen anderen Kurs verlangt. Bei wichtigen Entscheidungsrunden habe er sich dann aber nicht eingebracht und sei abgetaucht. Ängstlich schielt die SPD-Spitze jetzt auf den Rostocker SPD-Landrat Sebastian Constien. Auch der gilt als Wackelkandidat. Als Genosse wird der Verwaltungschef in den eigenen Reihen kaum wahrgenommen. Die einstige kommunalpolitische SPD-Dominanz mit vier von sechs Landräten wäre dann geschmolzen auf nur noch einen: auf den Verwaltungschef in Ludwigslust-Parchim, Stefan Sternberg.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 07.11.2023 | 06:00 Uhr

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