Geplante Wahlrechtsreform: Nicht jeder säße heute im Bundestag
Der Bundestag soll kleiner werden - schon lange wird über eine Reform des Wahlrechts diskutiert. Überhang- und Ausgleichsmandate sollen in Zukunft verhindert und so die Zahl der Abgeordneten auf maximal 598 Abgeordnete begrenzt werden. Derzeit sind es 736. Hätten die geplanten Regelungen schon bei der Bundestagswahl 2021 gegolten, wäre etwa Anna-Katharina Kassautzki (SPD) aus dem Wahlkreis Vorpommern-Rügen/Vorpommern-Greifswald I nicht über ihr Direktmandat in den Bundestag eingezogen.
Dass der Bundestag kleiner werden muss, steht für den Politologen Dr. Klaus Detterbeck vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen fest - aus Kostengründen und weil teils Abläufe aufgrund der Größe verhindert würden. Die Ampel-Koalition hat einen entsprechenden Gesetzesvorschlag in den Bundestag eingebracht. Die neue Regelung sieht vor: Wenn eine Partei mehr Wahlkreise direkt gewinnt als ihr über die Ergebnisse der Zweitstimmen zustehen, dann werden die Wahlkreise mit den prozentual geringsten Stimmenanteilen vernachlässigt und ziehen nicht in den Bundestag ein.
Kassautzki: "Schwer vermittelbar"
In Mecklenburg-Vorpommern wäre die SPD-Politikerin Anna-Katharina Kassautzki aus dem Wahlkreis Vorpommern-Rügen/Vorpommern-Greifswald I betroffen. Nach Angaben des Bundeswahlleiters hat sie ihren Wahlkreis mit 24,3 Prozent der Stimmen direkt gewonnen. Das wäre im Vergleich mit anderen Direktkandidaten zu wenig, sie hätte ihr Mandat nicht bekommen. Kassautzki sieht die geplante Reform kritisch: "Wir beschweren uns immer darüber, dass die Wahlbeteiligung so niedrig ist und Vertrauen in die Politik fehlt. Und wenn dann Leute zur Urne gehen und wählen und jemand gewinnt direkt und zieht dann trotzdem nicht ein, weil woanders im Bundesland mehr Leute für die Partei abgestimmt haben, das halte ich tatsächlich für schwer vermittelbar"
Alternativen: Verhältniswahlrecht oder Wahlkreise vergrößern
Sie befürchtet verwaiste Wahlkreise, wenn die Gewinner im Zweifel nicht einziehen dürften aufgrund von formalen Vorgaben. Dieses Problem sieht auch Politologe Detterbeck. Er schlägt ein anderes Vorgehen vor: Entweder das Verhältniswahlsystem, also die Bedeutung der Zweitstimmen, stärken. Oder aber: Die Wahlkreise vergrößern und somit die Anzahl der Direktkandidaten verringern. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass aus formalen Gründen jemand nicht für seinen Wahlkreis in den Bundestag einziehen darf.
Weniger Zeit für Gespräche mit Bürgern?
Die Abgeordnete Kassautzki allerdings befürchtet, dann weniger Zeit für alle Bürgerinnen und Bürger zu haben: "Ich habe das Glück, dass ich keinen Betreuungswahlkreis habe und noch andere Gebiete abdecken muss, aber selbst ich schaffe es nicht, überall genug zu sein, weil wir eine große Fläche und viele Menschen abzudecken haben." Sie wolle im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern sein, sagt sie.
Detterbeck gibt zu Bedenken, dass dann die anderen Abgeordneten, die über die Landesliste einer Partei in den Bundestag eingezogen sind, den jeweiligen Direktkandidaten unterstützen könnten: "Dass Leute, die über die Liste einziehen, trotzdem vor Ort auch präsent und aktiv sind und sich auch als Vertreter des Wahlkreises sehen. Tatsächlich ist das heute schon so und das kann noch gestärkt werden, gerade wenn die Wahlkreise größer werden müssen."