Fliegende Hochleistungssportler: Brieftauben in MV
Das Brieftaubenwesen ist seit 2022 Immaterielles Kulturerbe. Die Tiere fliegen pro Strecke mehrere hundert Kilometer. Brieftauben würden von sich aus weit fliegen wollen, argumentieren Befürworter.
Ulrich Peck aus Pastow (Landkreis Rostock) kann es kaum erwarten. Wie jeden Morgen führt sein erster Gang direkt nach dem Aufstehen zu seinem Taubenschlag im Garten. "Und dann mache ich den Ausflug auf. Und dann fliegen die Tauben mit einer hohen Geschwindigkeit raus, weil sie diesen Freiflug brauchen, weil sie in der Luft sein wollen und bleiben etwa so für eine Stunde". Manchmal lockt er seine Tauben auch mit einem "Komm, komm, komm" zurück in den Taubenschlag.
Züchter aus Leidenschaft
Ulrich Peck ist Chef vom Verein "Schnelle Heimkehr" in Pastow. Bis vor ein paar Wochen war er zudem Präsident des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter. Dieser zählt bundesweit rund 28.000 Mitglieder. Der passionierte Züchter zeigt auf den Schnabel von einer seiner Tauben. Dort ist das Navi eingebaut. "Die Taube orientiert sich am Stand der Sonne. Und es gibt eine Besonderheit im oberen Schnabelbereich, da hat sie eine Konzentration an Eisenerz". Das dient zum Aufbau des Magnetfeldes für die Orientierungskünstler.
Tierrechtsaktivisten verweisen auf "grausames Hobby"
Brieftauben fliegen pro Strecke oft 700/800 km. "Ein grausames Hobby" findet die Tierrechtsorganisation PETA, die einst in den USA gegründet wurde. Deutsche PETA-Aktivistinnen und Aktivisten argumentieren immer wieder, dass Brieftauben von Menschen ausgenutzt und gequält würden. Hunderttausende Tauben würden auf den Wettflügen jedes Jahr sterben, etwa durch Erschöpfung. "Dieser Tod sogenannter Brieftauben ist von Anfang an einkalkuliert", heißt es auf der Internetseite von PETA. Dort steht auch, dass Tauben treue Tiere seien mit ausgeprägtem Familiensinn und deshalb verzweifelt versuchen würden, über tausende Kilometer, zu ihren Familien zurückzufinden.
Taubenexpertin hält dagegen
Dr. Elisabeth Peus ist Vorstandsmitglied der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz mit Sitz in Frankfurt am Main. Die promovierte Tierärztin behandelt vorrangig Brieftauben. "Mittlerweile gibt es genügend Tierrechtsorganisationen, die gar kein Interesse an Tierschutz haben, sondern rein daran, dass sie dem Gedanken anhängen, dass der Mensch nicht berechtigt ist, Tiere zu halten. Und wenn man mit dieser Grundlage daran geht, dann kann ich natürlich jede Art von Leistung kritisieren und sagen, dass es nicht in Ordnung ist". Dr. Elisabeth Peus leitet zudem die einzige Taubenklinik weltweit in Essen. Die Klinik wurde 1972 vom Verband Deutscher Brieftaubenzüchter ins Leben gerufen. Sie weiß, dass Passanten auch immer wieder Tauben melden, die erschöpft aufgefunden werden. Diese Situationen kennt Dr. Elisabeth Peus und ordnet sie so ein. "Wenn etwa Greifvögel junge unerfahrene Brieftauben angreifen, kommt es schon mal vor, dass die Tiere in Panik losfliegen, so lange wie ihre Flügel sie tragen, weil sie Angst haben, dass sie gefressen werden". Diese Tiere würden ohne Training mehrere hundert Kilometer fliegen und völlig k.o. auf dem Boden landen.
Züchter und Tierärzte arbeiten eng zusammen
Auch solche Fälle werden in der Taubenklinik behandelt. Die promovierte Tierärztin hat sich auf Brieftauben spezialisiert. Sie arbeitet eng mit Züchtern deutschlandweit zusammen und das bereits bei der Gesundheitsvorsorge. Ihren Worten nach werden Brieftauben von ihren Haltern das ganze Jahr über sehr intensiv überwacht und betreut, etwa mit Spezialfutter, Impfungen oder Vitaminen. Spezielle Transportboxen, würden vermeiden, dass Tiere gestresst zum Flugstart gebracht werden. "Körperlich können Brieftauben unglaublich weit fliegen, und durchaus lange, selbst ohne Training, weil es sehr sehr sportliche Tiere sind".
Gezüchtet, um weit zu fliegen
Kerstin Lenz, Vorsitzende des Tierschutzvereins Demmin, war ebenfalls über Jahre Landesvorsitzende des Deutschen Tierschutzbundes. Auch jetzt noch engagiert sie sich im Tierschutz. Sie hat sich zudem mit dem Brieftaubensport auseinandergesetzt. Im NDR-Interview verweist sie darauf, dass Brieftauben auf Leistung gezüchtet wurden. Zuchten seien nie gut für Tiere. Kerstin Lenz betont aber auch, dass sich Züchter in der Regel sehr um ihre Tiere kümmern, damit sie nicht irgendwo stranden. "Und deswegen kann man auch dieser Sache Positives abgewinnen, weil die Tiere haben eine Aufgabe, sie sitzen nicht nur im Schlag. Sondern dafür, wofür sie mal gezüchtet worden sind, sind sie auch eingesetzt. Ein Jagdhund, der den ganzen Tag auf dem Sofa liegen soll, der ist viel weniger glücklich, weil er nicht ausgelastet ist". Nicht weit fliegen zu dürfen, wäre in den Augen von Kerstin Lenz für Brieftauben Tierquälerei.
Brieftaubenwesen ist Immaterielles Kulturerbe
Ulrich Peck aus Pastow hat über 60 Jahre Zuchterfahrung. Der 76-Jährige freut sich auf die aktuelle Flugsaison. "Diese Freizeitbeschäftigung macht mir Spaß". In ein paar Tagen brechen seine Tiere nach Kalisz auf. Das liegt knapp 300 km entfernt in Polen. Am Anfang der Flugsaison werden Brieftauben immer auf eine kurze Strecke geschickt, später folgen Langstreckenflüge. Die erste Taube am Ziel gewinnt den Wettkampf. Für Züchter gibt es Preise. Im März 2022 erklärte die Deutsche UNESCO- Kommission das Brieftaubenwesen als Immaterielles Kulturerbe. Es entwickelte sich im 19. Jahrhundert aus der Tradition, Tauben als Nachrichtenüberbringerinnen einzusetzen. Heute wird es ausschließlich als Hobby ausgeführt.