DDR-Doping: Rostocker Studie belegt Langzeitfolgen bei Opfern
Viele ehemalige DDR-Sportlerinnen und -Sportler leiden unter massiven körperlichen und seelischen Spätfolgen, verursacht durch das Leistungssportsystem der SED. Das belegt ein Team der Universitätsmedizin Rostock. Betroffene hoffen derzeit auf eine Gesetzesnovelle des Bundes - ihre wohl letzte Chance auf langfristige Hilfe.
Viele ehemalige DDR-Sportlerinnen und -Sportler haben in den vergangenen 30 Jahren ihre Geschichte erzählt. Seitdem hoffen sie auch auf mehr Unterstützung. Für eine Studie der Rostocker Universitätsmedizin haben 101 Betroffene nun teils erneut, teils zum ersten Mal über ihre Erfahrungen im DDR-Leistungssportsystem gesprochen. Alle berichteten dabei laut Psychologin Diana Krogmann von harten Trainingsmethoden und "Vitaminen", die sie im Vertrauen zu ihren Trainern genommen haben. Was es war, erfahren sie erst Jahrzehnte später - wenn überhaupt, erklärt Diana Krogmann: "Es wurde Minderjährigen unwissentlich Doping verabreicht und sie haben Trainingsmethoden erfahren, die sich weit unserer Vorstellungskraft entziehen - und das hat für die Betroffenen bis heute Folgen."
98 Prozent der Betroffenen haben psychische Erkrankungen
Die Studienteilnehmer sind zwischen 42 und 72 Jahren alt - ihre Karrieren liegen Jahrzehnte zurück. Die Mehrheit (56 Prozent) berichtete über emotionalen Missbrauch im Sportkontext, gefolgt von körperlichem (48 Prozent) und sexuellem Missbrauch (23 Prozent). Bei 98 Prozent wurde mindestens eine psychische Störung diagnostiziert. Betroffene leiden häufig unter Depressionen oder Angstzuständen und haben gleichzeitig massive körperliche Schäden wie Arthrose oder Osteoporose. Viele mussten sich zahlreichen Operationen unterziehen, brauchen dauerhaft Schmerzmittel. Die Doping- und Sportschäden seien so tiefgreifend, das normale Therapieansätze häufig nicht ausreichen, sagt Diana Krogmann: "Viele Betroffene werden bis ans Ende ihres Lebens Behandlung benötigen - entweder medizinisch oder therapeutisch."
Beweislast liegt bei Betroffenen
Was viele DDR-Sportgeschädigte deshalb bräuchten, wäre eine langfristige, finanzielle Sicherheit - zum Beispiel in Form einer Opferrente, die ihren Lebensunterhalt und notwendige Behandlungen mit absichert. Doch daran sind hunderte Betroffene in den vergangenen Jahren vor Gerichten, Krankenkassen und Versorgungsämtern gescheitert. Die verlangen einen Beweis für den Zusammenhang von verabreichten Dopingmitteln und den Gesundheitsschäden. Die Betroffenen müssten belegen, welche Mittel sie wann bekommen haben. Doch das ist nahezu unmöglich, erklärt Diana Krogmann, denn die Geheimhaltung des Zwangsdopings war Teil des Systems: "Die Betroffenen sollten damals nicht wissen, was sie da bekommen, also können sie es auch heute nicht wissen. Ihre Schäden und Schmerzen sind aber trotzdem da." Ein Beweis liege darin, dass ausnahmslos alle Studienteilnehmer angaben, Präparate bekommen zu haben und alle sich an drastische körperliche Veränderungen erinnern, die damit eingesetzt hätten. Doch selbst ärztliche Gutachten, die Doping und Schäden in Verbindung bringen, reichen bisher nicht aus, um staatliche Hilfen zu bekommen.
DDR-Sportgeschädigte hoffen auf Gesetzesnovelle
Im Büro des Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Burkhard Bley, werden derzeit 338 ehemalige DDR-Athletinnen und Athleten betreut. Nur in einem einzigen Fall wurde bisher eine finanzielle Leistung in Form einer Grundrente bewilligt. Aus seiner Sicht kann das jetzt nur der Bundesgesetzgeber ändern. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampelregierung im November 2021 angekündigt, die Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen für SED-Opfer zu vereinfachen. Der aktuelle Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums berücksichtigt die DDR-Sportgeschädigten allerdings mit keinem Wort.
Bley sieht Schieflage
Für Burkard Bley ist es offensichtlich, dass dabei nach Finanzlage entschieden wurde. Damit herrsche eine Schieflage: "Ehemalige Stasi-Offiziere haben bisher alle Rentenerhöhungen mitbekommen und wenn jetzt gesagt wird, 'Unser Haushalt gibt das nicht her', für die wenigen Geschädigten, die das jetzt wirklich betrifft, dann ist das nicht hinzunehmen."
Erleichterung bei Beweisen gefordert
Rund 15.000 Sportlerinnen und Sportler trainierten im DDR-Spitzensport ab 1974. Da startete nachweislich auch das staatlich gelenkte Dopingprogramm. Experten rechnen, dass etwa 20 Prozent der Athletinnen und Athleten geschädigt wurden. Burkhard Bley fordert, auch diese Opfergruppe explizit in die Gesetzesnovelle zu schreiben und ihnen die Beweise für ihre Gesundheitsschäden zu erleichtern. Ansonsten hätten Betroffene keine Chance mehr auf eine langfristige Unterstützung. Bis zum 21. Juni konnten Länder und Verbände ihre Meinung zum Gesetz abgeben. Nun geht es ins Bundeskabinett und soll noch in diesem Jahr im Bundestag beschlossen werden.
Krogmann: "Bewusstsein in der Medizin muss sich verändern"
Auch Diana Krogmann hofft auf Verbesserungen für DDR-Sportgeschädigte, vor allem auch bei deren Behandlung. Wünschenswert sei eine engere Zusammenarbeit verschiedener Medizin- und Therapiezweige. Doch meistens fehle es überhaupt an Bewusstsein für das Thema. Viele Studienteilnehmer berichteten, bisher von Ärztinnen und Ärzten nicht ernst genommen worden zu sein, sagt Diana Krogmann: "Das Wichtigste ist, dass diese Opfergruppe gesehen wird, denn das Thema ist sehr schambehaftet. Aber die Betroffenen leiden und dieses Leid wurde ihnen zugefügt und das darf nicht vergessen werden."