Bundeswehr testet neues Raumgleiter-Modell in Peenemünde
Die Bundeswehr hat auf dem Flugplatz in Peenemünde auf Usedom das Modell eines Raumflugzeugs getestet. Der sogenannte Demonstrator "Athena" könnte eines Tages zu einem 30 Meter langen Raumgleiter werden, der zur Aufklärung genutzt wird oder Satelliten ins All bringt.
Knapp 80 Jahre nach den letzten Teststarts von Raketen der Nazis sind in Peenemünde am Nordzipfel Usedoms wieder Versuche mit innovativen Flugkörpern durchgeführt worden. Wie die Bundeswehr mitteilte, fanden im Herbst 2022 erste Testflüge eines sogenannten Raumflugzeug-Demonstrators "Athena" von dem privat betriebenen Flugplatz in Peenemünde statt. Bei dem Fluggerät des Bremer Unternehmens Polaris handelt es sich um ein ungefähr 3,5 Meter langes und 120 Kilogramm schweres Modell.
Neuartiges Aufklärungssystem und Satellitentransport
Bei diesem Projekt arbeiten die Bundeswehr und das Bremer Unternehmen zusammen. Die Bundeswehr sieht in der neuen Technik vor allem Möglichkeiten für ein neuartiges Aufklärungssystem sowie zum Transport von Satelliten ins All. Der Vorteil gegenüber Raketen liegt auf der Hand. Der Nurflügler kann nämlich von normalen Flughäfen starten und braucht keine Startrampen. "Insgesamt eröffnet das Projekt für die Bundeswehr dadurch viele neue Möglichkeiten", teilte die Bundeswehr mit.
Bis 2026 soll ein 28 Meter langer Raumgleiter entstehen
Die Pläne sehen vor, dass der Demonstrator bis Ende 2023 zu einem fortgeschrittenen etwa sechs bis sieben Meter langen Modell mitsamt Raketentriebwerk weiterentwickelt wird. 2026 könnte dann, wenn alles klappt, erstmals der nach Polaris-Angaben etwa 28 Meter lange Prototyp abheben. Die ersten Experimentalflüge in Peenemünde wurden im vergangenen Herbst begonnen.
Wahl auf Peenemünde fiel wegen der abgeschiedenen Lage
Wie lange die Flüge dauerten und wie hoch das neue "Athena"-Modell aufstieg, wurde nicht mitgeteilt. Allerdings wurden laut Bundeswehr während der Tests zeitlich begrenzte Flugbeschränkungsgebiete (sogenannte NOTAMs) eingerichtet, um die zivile Luftfahrt nicht zu gefährden. "Der Standort ist einzig aufgrund der einzigartigen geografischen Lage des Flugplatzes gewählt worden", sagte ein Polaris-Sprecher dem NDR in MV. "Wir wollen nicht in der Tradition früherer Arbeiten in Peenemünde gesehen werden, die unter einem ganz anderen Stern standen." Die Bundeswehr betonte, dass es dort die einzige Landebahn im Bundesgebiet gibt, die mit 2.400 Metern einerseits lang genug ist und andererseits direkt auf die Ostsee - also unbewohntes Gebiet - führt. "Sicherheit hat immer oberste Priorität", hieß es von der Bundeswehr.
Schauplatz mit dunkler Geschichte
"Von diesem Test-Flugplatz aus wurden ab 1937 kleinere raketenbetriebene Flugkörper gestartet und getestet", sagte der Kurator des Historisch-Technischen Museums Peenemünde, Philipp Aumann, NDR.de. Das Museum befindet sich im ehemaligen Kraftwerk der Versuchsanstalt - rund zwei Kilometer von dem Flugplatz entfernt. Es dokumentiert die dunkle Geschichte dieses Schauplatzes. Ab Mitte der 1930er-Jahre wurde auf einem rund 25 Quadratkilometer großen Areal rund um das ehemalige Fischerdorf Peenemünde eine Versuchsstelle des Heeres und der Luftwaffe gebaut. Die Wahl der Nazis auf Peenemünde sei seinerzeit aus zwei Gründen gefallen: "Es ging darum, von der Nordspitze der Insel Raketen und andere Fluggeräte in die Ostsee reinzuschießen, um die Ostsee als sicheres Zielfeld zu nutzen", so Aumann. Außerdem seien die Nazis davon ausgegangen, dass der abgelegene Ort von alliierten Aufklärungsflugzeugen unentdeckt bleiben würde.
1944 fliegt eine Rakete von Peenemünde an den Rand des Weltalls
In Peenemünde wurden von Ingenieuren um Wernher von Braun auch sogenannte Vergeltungswaffen wie der Marschflugkörper "V1" und die Rakete "V2" entwickelt und getestet. Eine solche "V2" erreichte am 3. Oktober 1942 erstmals eine Höhe von 80 Kilometern. Sie gilt als das erste menschengemachte Objekt, das den Rand des Weltalls erreichte.
Zehntausende Menschen bezahlten mit ihrem Leben
Die Nutzung dieser neuartigen Technologie brachte allerdings Zehntausenden Menschen den Tod - Zivilisten in Städten in England und Belgien, auf die die "V"-Waffen abgeschossen wurden und Zwangsarbeitern, die bei der Produktion der Waffen unter menschenunwürdigen Bedingungen rücksichtslos eingesetzt wurden. Nach der Entdeckung und späteren Bombardierung Peenemündes durch die Alliierten im August 1943 wurde die Produktion unterirdisch nach Mittelbau-Dora im Harz verlagert. Nach 1945 wurde der Flugplatz in Peenemünde von der NVA genutzt.