Bundesregierung sah Gründung der Klimaschutzstiftung MV kritisch
Der damalige Energieminister Christian Pegel (SPD) hat das Bundeswirtschaftsministerium Ende November 2020 in einem Telefonat über die Pläne zur Gründung einer Stiftung in Mecklenburg-Vorpommern informiert. Berlin reagierte damals zurückhaltend. Das zeigen Unterlagen des Ministeriums, die der Rechercheplattform "FragDenStaat“ vorliegen.
Am 27. November 2020 erreicht eine E-Mail mit einer dringenden Bitte des Energieministeriums in Schwerin das Bundeswirtschaftsministerium: "Herr Minister Pegel wünscht heute sehr dringlich mit Herrn Bundesminister Altmaier zur aktuellen Entwicklung zum Weiterbau von Nord Stream 2 vor dem Hintergrund der Sanktionen zu telefonieren." Gemeint waren die US-Sanktionen gegen die Gaspipeline. Es seien auch weitere Mitglieder der Bundesregierung informiert worden, so Pegels Büroleiter. Öffentlich wurde dieser Schriftverkehr jetzt durch eine Anfrage von "FragDenStaat", wobei sich die Plattform auf das Informationsfreiheitsgesetz berief.
Bundeswirtschaftsministerium war skeptisch
Obwohl in der E-Mail aus dem Büro Pegels von einer Stiftung noch keine Rede ist, ist das Ministerium über den Plan anscheinend bereits informiert. Staatssekretär Andreas Feicht (CDU) schreibt zwei Stunden danach an den Leiter der Abteilung Energiepolitik im Bundeswirtschaftsministerium, Thorsten Herdan: "Nach meinem Verständnis ist diese Maßnahme (…) sowohl außenpolitisch gegenüber den USA brisant und auch innenpolitisch schwierig", denn die Bundesregierung vertrete ja die Linie, dass der Staat sich nicht bei Nord Stream 2 einmische.
"Frag den Staat" wirft Minister Intransparenz vor
Das Thema wurde also offensichtlich als heißes Eisen eingestuft, jedenfalls bittet schließlich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) seinen Staatssekretär Feicht, das Gespräch mit dem Energieminister von Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen - offiziell aus Termingründen. Altmaier selbst fordert von seinen Mitarbeitern ein "Nonpaper" zum Stiftungskonstrukt an, also ein nicht-offizielles Papier inklusive Bewertung. Für die Investigativjournalistin Vera Deleja-Hotko von "FragDenStaat" ist das ein Zeichen dafür, dass die Bundesregierung von Anfang an mit dem Thema intransparent umgegangen ist: "Alles, was für einen Vorgang wesentlich ist - und das ist hier sicher der Fall - muss grundsätzlich veraktet werden. Die Beauftragung eines Nonpapers verstößt gegen das im Grundgesetz verankerte Rechtsstaatsprinzip."
Von Klimaschutz zunächst keine Rede
Am 1. Dezember 2020 fragt das Auswärtige Amt in Berlin unter der Betreffzeile "mögliche N2-Stiftung" (also Nord-Stream-2-Stiftung) beim Bundeswirtschaftsministerium nach, ob bereits Unterlagen oder Beschlussentwürfe zur "MV-Stiftung" übermittelt wurden. Auffällig ist, dass bei dem ganzen Schriftverkehr Ende November/Anfang Dezember 2020 nirgendwo die Worte Klima- oder Umweltschutz fallen, wenn von der Stiftung die Rede ist - dabei sollte das ja später der Öffentlichkeit als Hauptzweck vermittelt werden. Es ging stattdessen immer wieder in den Vorgängen ausschließlich um den Weiterbau von Nord Stream 2 und die US-Sanktionen dagegen.
Auch Auswärtige Amt hatte Bedenken
So war es auch in einer Einschätzung des Auswärtigen Amtes vom 8. Januar 2021, also einen Tag nach Gründung der Klimaschutzstiftung MV. Dort hieß es, dass die Landesregierung davon ausgehe, dass die Stiftung Bauteile und Maschinen kaufen könne, die für die Fertigstellung von Nord Stream 2 unerlässlich seien. So hoffe man, dass die am Bau der Pipeline beteiligten Unternehmen aus dem US-Sanktionsfokus genommen werden können. Das Auswärtige Amt schätzte das kritisch ein: "Im Fokus der US-Sanktionen stehen nicht Gazprom oder die N2 AG, sondern deren Zulieferer und Dienstleister." Die Stiftung bedeute nur eine Verlagerung des Problems, die privaten Unternehmen stünden weiter unter erheblichem US-Sanktions-Druck. Das Auswärtige Amt wollte wie folgt gegenüber der Presse Stellung beziehen: Man nehme die Entscheidung des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Kenntnis. Vera Deleja-Hotko vermutet, dass es in der Bundesregierung von Beginn an massive Zweifel an dem gesamten Konstrukt der Klimaschutzstiftung gab - und deshalb auch eine Distanz zum Projekt beibehalten wurde: "Wenn die Gründung der Stiftung 'zur Kenntnis' genommen wird, dann erscheint mir das als Billigung und davon hat Peter Altmaier ja auch selbst gesprochen." Mehr aber eben auch nicht.
Arbeiteten Bundesregierung und die Nord Stream 2 AG zusammen?
Vielleicht kam der Bundesregierung die Idee aus Mecklenburg-Vorpommern auch gerade recht. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel und Co. hielten ja am Ziel der Fertigstellung von Nord Stream 2 fest - und die Sanktionen der USA wurden ebenso weiter abgelehnt. Wie eng die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Nord Stream 2 AG tatsächlich war, geht aus den Unterlagen, die "FragDenStaat" vorliegen, nicht hervor. Auffällig ist allerdings ein Vorgang: Ein Mitarbeiter von Nord Stream 2 leitet am 19. Mai 2021 eine Pressemitteilung der Klimaschutzstiftung an das Bundeswirtschaftsministerium weiter, das diese E-Mail wiederum an das Auswärtige Amt schickt. Darin geht es um eine Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die juristische Anerkennung der Klimaschutzstiftung, die von Stiftungschef Erwin Sellering zurückgewiesen wird.
Sellering: Nord Stream 2 hat nicht Aufgaben der Stiftung übernommen
Auf eine aktuelle Anfrage des NDR bestreitet Sellering, dass Nord Stream 2 Schriftverkehr mit Behörden für die Stiftung übernommen habe. Das sei auch in diesem Fall nicht so gewesen. "Frag den Staat" findet den Vorgang aber bemerkenswert: "Es ist schon erstaunlich, dass die Nord Stream 2 AG zwar nicht für die Klimastiftung spricht, aber trotzdem die Weiterleitung einer Pressemitteilung macht", meint Vera Deleja-Hotko. Im Bundeswirtschaftsministerium scheint das aber niemanden gewundert zu haben. Die E-Mail wurde ohne weiteren Kommentar in den Akten abgelegt.