Bundesregierung macht Zugeständnisse an Bauherren
Weil die Baubranche kriselt und der Wohnungsbau stockt, haben sich Politiker und Verbände zum Bau-Gipfel in Berlin getroffen. Die Bundesregierung präsentierte Zugeständnisse, um der Branche zu helfen.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Bauministerin Klara Geywitz (beide SPD) haben auf einem Treffen mit Vertretern der Immobilienbranche im Berliner Kanzleramt Vorhaben präsentiert, mit denen der Wohnungsbau in Deutschland angekurbelt werden soll. Das Bauen soll einfacher und Familien und Bedürftige sollen besonders gestützt werden. So nimmt die Bundesregierung unter anderem vorerst Abstand vom sogenannten EH-40-Energiesparstandard, der ab 2025 für Neubauten vorgesehen war und der für Bauherren mit deutlichen Kosten verbunden ist. Auch auf ihren Einsatz für eine Sanierungspflicht auf EU-Ebene verzichtet die Bundesregierung.
Baukredite für mehr Familien
Weiterhin will der Bund die Einkommensgrenze für jene anheben, die aus dem KfW-Förderprogramm "Wohneigentum für Familien" gefördert werden können. Das Limit soll von 60.000 Euro auf 90.000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen steigen. Auch an die im Zuge des Heizungsgesetzes geplanten Fördersätze für den Heizungstausch will die Bundesregierung noch einmal rangehen: Der maximale Fördersatz soll von 70 auf 75 Prozent steigen. Der sogenannte Speed-Bonus, der gewährt wird, wenn Heizungen vorzeitig klimafreundlich ersetzt werden, steigt für die Jahre 2024 und 2025 von 20 auf 25 Prozent und soll nicht nur Eigentümern im Eigenheim, sondern auch Wohnungsunternehmen und Vermietern zustehen.
Umbau von Gewerbeimmobilien zu Wohnraum
Unterstützen will die Ampelkoalition zudem Käufer von sanierungsbedürftigen Bestandsgebäuden sowie den Umbau von Gerwerbeimmobilien zu Wohnraum. Außerdem soll in Städten und Kommunen "mit angespannten Wohnungsmärkten" der Bau von bezahlbarem Wohnraum vereinfacht und beschleunigt werden. Dafür soll zum Beispiel das Baugesetzbuch um eine bis Ende 2026 befristete Sonderregelung ergänzt werden.
Serielles Bauen als "Schlüsselinstrument"
Bundeskanzler Scholz sagte zudem kurz vor dem Beginn des Treffens, serielles Bauen könne ein Schlüsselinstrument sein, um den Wohnungsbau anzukurbeln. Dabei könnte ein in Grundzügen einmal genehmigtes Haus ohne neue bürokratische Verfahren auch in anderen Landkreisen gebaut werden. Das mache das Bauen billiger und schneller, betonte Scholz. Die Voraussetzungen sollten in Zusammenarbeit mit den Ländern geschaffen werden.
Zustimmung aus der Baubranche
Die Baubranche begrüßten die Pläne der Ampelkoalition: "Es werden viele wichtige Punkte aufgegriffen, die die Bauindustrie gefordert hat, und es ist umfangreicher als erwartet", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller. Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe (ZDB), Felix Pakleppa, lobte die Aussetzung des neuen Energiestandards.
Kritik von Gewerkschaften und Sozialverbänden
Von Gewerkschaftsseite und Sozialverbänden kam hingegen Kritik. "Die Bundesregierung verliert kein Wort zu besserem Mieterschutz, gibt keine zusätzlichen Impulse für den sozialen Wohnungsbau und es fehlen verbindliche Zusagen für die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit", bemängelte Stefan Körzell vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Für die Arbeiter Wohlfahrt (AWO) konzentriert sich die Bundesregierung zu sehr auf den Neubau von Wohnungen. Caritas und Diakonie betonten, dass ärmere Menschen von Sanierungen besonders profitieren, weil sie häufig in energetisch schlechten Gebäuden wohnten. Auch die Grünen betonten, dass der Neubau nur ein Teil der Lösung sein könne. Parteichefin Ricarda Lang forderte eine Stärkung der Mieterrechte. Auch in Schleswig-Holstein und Hamburg fielen die Reaktionen auf die Ergebnisse des Baugipfels unterschiedlich aus.
Zu wenig Neubauten
Das größte Problem der Baubranche ist derzeit, dass zu wenig gebaut wird. Stark gestiegene Finanzierungs- und Baukosten haben den Neubau in Deutschland ausgebremst. In der gesamten Branche wurde dem Statistischen Bundesamt zufolge im Juli 2023 der Bau von 21.000 Wohnungen genehmigt. Das entspricht einem Einbruch von 31,5 Prozent oder 9.600 gegenüber dem Vorjahreswert. Nach Einschätzung des Eduard-Pestel-Instituts für Systemforschung ist die Wohnungsnot in Deutschland so groß wie seit 20 Jahren nicht. Laut einer Studie des Instituts fehlen in der Bundesrepublik mehr als 700.000 Wohnungen - besonders im preisgünstigen Bereich. Bei Einfamilienhäusern ist die Lage ähnlich: Die Baugenehmigungen gingen laut Statistischem Bundesamt in den ersten sieben Monaten um 36,5 Prozent auf 30.800 zurück
Mieten steigen auch in MV
Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben die Behörden von Januar bis Juli 2023 den Bau von "nur" 2.988 Wohnungen genehmigt. Nach Angaben des Statistischen Amtes waren das 20,7 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2022. Der Rückgang betrifft sowohl Ein- und Zweifamilienhäuser als auch Mehrfamilienhäuser. Dabei fehlen auch im Nordosten nach Angaben des Bauverbandes Mecklenburg-Vorpommerns rund 50.000 Wohnungen. Die verminderte Bautätigkeit hat nicht nur einen Wohnungsmangel, sondern auch höhere Mieten zur Folge. Rostock zum Beispiel liegt inzwischen bundesweit auf Platz vier der Städte mit dem höchsten Mietanstieg. In der Hansestadt zahlen Mieter derzeit etwas über zehn Euro pro Quadratmeter. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 9,83 Euro. Die Lage in der Baubranche wirkt sich inzwischen spürbar auf die wirtschaftliche Gesamtsituation aus. Laut Statistischem Amt war sie die wichtigste Ursache für den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in MV. Es sank im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 preisbereinigt um 0,2 Prozent.