Ein klarer Fall von Doppelmoral
Die Weltbank investiert jährlich 65 Milliarden Dollar in die Bekämpfung der Armut. Doch viele Menschen, die davon profitieren sollten, werden Opfer. Durch Weltbank-Projekte sind in den vergangenen zehn Jahren etwa 3,4 Millionen Menschen umgesiedelt worden oder haben teilweise ihre Lebensgrundlage verloren. Das geht aus Recherchen eines internationalen Journalistenteams hervor, zu dem auch NDR, WDR und die "Süddeutsche Zeitung" gehören. Die Bundesregierung sieht diese Ergebnisse mit großer Sorge. Gleichzeitig ist sie aber selbst an umstrittenen Projekten beteiligt - und nutzt ihren Einfluss in der Weltbank unzureichend.
Es geht um die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, um den Unterschied zwischen Sagen und Tun, und es geht um einen klaren Fall von Doppelmoral.
Deutschland erhebt oft seine mahnende Stimme. Die Bundesregierung gibt sich gerne als Vorkämpferin für Menschenrechte, auch und gerade in der Diskussion um die Ausrichtung der weltgrößten Entwicklungsorganisation, der Weltbank. Berlin setzt sich dort wortreich für die Rechte indigener Völker ein, verlangt die Berücksichtigung des Klimawandels, den Schutz von Landrechten bei Projekten der UN-Sonderorganisation, an der sie selbst schließlich den viertgrößten Anteil aller 188 Mitgliedsstaaten hält.
Der Einsatz der Bundesregierung für Menschenrechte wird international geschätzt - von Menschenrechtlern in Nichtregierungsorganisationen, von Experten und Politikern aller Couleur. Bei der Weltbank nehme Deutschland eine "herausgehobene Stellung" ein, freut sich die Bundesregierung selbst, die deutsche Stimme habe großes Gewicht bei Projektentscheidungen. Doch sie macht viel zu wenig daraus.
Deutschland passt sich den Gepflogenheiten auf dem diplomatischen Parkett der Weltbank an: Dort mag man offenen Streit nicht, versucht eher hinter den Kulissen zu schlichten. Kampfabstimmungen gibt es nie. Projekte werden vom Aufsichtsrat weitestgehend reibungslos genehmigt. Die deutsche Direktorin dort fügt sich dem.
Dadurch ist die Bundesregierung mitverantwortlich für Projekte, die oft von vorneherein hohe Risiken bergen, etwa von Vertreibung oder Landkonflikten. Nur in Einzelfällen verfolgen die Direktoren später, was aus den Projekten geworden ist, was schiefgelaufen sein könnte.
Und für viele Projekte gibt Deutschland sogar über seine Entwicklungsbanken selbst Kredite. Die Banken behaupten, dafür strenge Regeln einzuhalten und Risiken vor Ort zu prüfen. Kontrollieren kann das im Regelfall weder die Öffentlichkeit noch der Deutsche Bundestag. Denn die Projektdetails sind vertraulich, bleiben verborgen.
Ein Unding! Und ein krasser Widerspruch zur forsch vorgetragenen Forderung der Bundesregierung an die Weltbank, diese müsse alle Beurteilungen und Prüfberichte ihrer Projekte zügig veröffentlichen. Anderen sagen, was sie tun sollen, und es selbst nicht einhalten - das ist Doppelmoral.
Die Weltbank indes geht in Sack und Asche. Präsident Kim wiederholte nach der Veröffentlichung der Recherchen jetzt, man werde es künftig besser machen, die Umsiedlungspolitik verändern, Reformen einleiten. Das klingt einsichtig und kritikfähig. Und das ist sicherlich ein Anfang. Doch bisher hat immer die Geldmentalität der Banker in der Weltbank gesiegt, der Drang, immer mehr Kredite für immer mehr Projekte zu vergeben - gerade in Konkurrenz zur zunehmenden Entwicklungsfinanzierung aus China und anderen Schwellenländern. Ein irrsinniger Wettlauf - vermeintlich zum Wohl der Ärmsten - oft genug zu ihrem Schaden.