VIDEO: Verkehrsministerkonferenz beschließt das 49-Euro-Ticket (1 Min)

Kommentar: Neues 49-Euro-Ticket muss eine Probezeit bekommen

Stand: 16.10.2022 00:00 Uhr

Dem 9-Euro-Ticket soll ein deutschlandweit gültiges 49-Euro-Ticket für den Nahverkehr folgen - vorausgesetzt, Bund und Länder einigen sich auf die Finanzierung. Wird es mehr Menschen zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn bewegen? Und sind die Voraussetzungen gegeben, dass es ein Erfolg wird?

Ein Kommentar von Heike Göbel, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"

Der sommerliche Großversuch mit dem 9-Euro-Monatsticket hat ungeahnte Bewegung ins Land und in die deutsche Verkehrspolitik gebracht. Millionen Reisende nahmen Wartezeiten, Enge und andere Unbequemlichkeiten im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr in Kauf, um freudig spontan fast zum Nulltarif die Republik per Bus und Bahn zu erkunden. Das befürchtete Chaos hielt sich zumeist in Grenzen.

"Geht doch", lautete die Bilanz. Nach drei Monaten war das Bedauern über das Ende des Experiments entsprechend groß - und die Erwartung an ein ebenso günstiges und einfaches dauerhaftes Nachfolge-Ticket hoch. Der öffentliche Blick galt seither den Treffen der  Verkehrsminister von Bund und Ländern, die sonst nur wenig Aufmerksamkeit erregen. Am vergangenen Donnerstag war es soweit: Geht es nach den Verkehrsministern, dann soll ein Einheitsticket für 49 Euro im Monat freie Fahrt quer durchs ganze Land gewähren, bloß die schnellen Fernverkehrszüge sind (wie im Sommer) weiterhin ausgenommen. 

Bürokratische Hürden sollten so niedrig wie möglich sein

Heike Göbel, Redakteurin der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". © FAZ / Frank Röth Foto: Frank Röth
Ein öffentliches Mobilitäts-Schlaraffenland sei nicht bezahlbar, meint Heike Göbel.

Das ist ein höchst verlockendes Angebot, auch wenn sich der Preis damit mehr als verfünffacht gegenüber dem 9-Euro-Schnäppchen. Denn die wichtigste Neuerung wird ja beibehalten: Das Ticket bleibt fast so unkompliziert wie gehabt. Es lichtet den Tarifdschungel, erspart Preisvergleiche und das unerträgliche Rätselraten, welcher Tarif an welchem Ort wohl gilt.

Allerdings soll das neue Einheitsticket nicht mehr am Automaten und bloß noch im Abonnement zu haben sein, wenn auch monatlich kündbar. Das sind unnötige bürokratische Hürden vor allem für Menschen, die weniger digital unterwegs sind. Zumindest in der Anfangsphase sollte auch beim 49-Euro-Modell aber nicht das Verwaltungsinteresse den Ausschlag geben, sondern der bequeme Zugang zur neuen Mobilitätswelt für jede und jeden.

Weitere Informationen
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Maike Schaefer (Grüne), Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz und Senatorin in Bremen, geben eine Pressekonferenz zur Verkehrsministerkonferenz. © picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Verkehrsminister von Bund und Ländern schlagen 49-Euro-Ticket vor

Der Nachfolger des 9-Euro-Tickets soll bundesweit als monatlich kündbares Abonnement im Nahverkehr gültig sein und "möglichst schnell" eingeführt werden. mehr

Staatlicher Zuschussbedarf zum Nahverkehr wird sich stark erhöhen

Bevor es um solche Details geht, muss jedoch noch die Finanzierung stehen. Die Einigung der Verkehrsminister auf ein 49-Euro-Ticket ist nichts wert, wenn die Finanzminister von Bund und Ländern die nötigen Zuschüsse für den Öffentlichen Personennahverkehr nicht leisten. Allen sollte klar sein: Auch 49 Euro sind nicht annähernd kostendeckend. Das Einheitsticket ist ein bundesweiter Preisdeckel, der den staatlichen Zuschussbedarf zum Nahverkehr stark erhöhen wird.

Das liegt zum einen daran, dass die regionalen oder örtlichen Verkehrsverbünde - anders als bisher - künftig nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Preise flexibel zu gestalten. Der 49-Euro-Deckel verhindert, dass man Nutzern etwa in wohlhabenderen Gegenden und Metropolen weiterhin höhere Monatspreise abverlangt - im Gegenzug vielleicht auch für ein dichteres und breiteres Angebot. Vielerorts dürfte es Einnahmeverluste geben. Offen ist, inwieweit sie durch neue Kundschaft ausgeglichen werden.

Sorgsamer Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln bleibt wichtig

Mehr Kunden sind politisch erwünscht, bedeuten aber auch, dass mehr Busse und Bahnen fahren müssen. Zumal der günstige Einheitspreis einer Übernutzung des örtlichen Verkehrsangebots erheblich Vorschub leisten wird: Je mehr ich öffentlich fahre, desto günstiger wird der gefahrene Kilometer für mich.

Wer das mit Verweis auf Klimaschutz kritiklos begrüßt, springt viel zu kurz. Im Interesse des Klima- und Umweltschutzes liegt auch ein sorgsamer Umgang mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die ja ebenfalls knappe Ressourcen verbrauchen. Und zwar selbst dann, wenn irgendwann alle elektrisch fahren sollten. Es bedarf auch in einer grünen Verkehrswelt angemessener Preissignale, die die Nutzer zur Abwägung der Mobilitätskosten zwingen: Pendeln sie lieber oder arbeiten sie im Homeoffice? Unternehmen sie den weiten Wochenendtrip nach Sylt oder Garmisch? Erledigen sie in der Stadt gleich mehrere Dinge auf einmal? Ein öffentliches Mobilitäts-Schlaraffenland ist nicht bezahlbar.

Einheitsticket ist und bleibt vorerst ein politisches Groß-Experiment

Das Einheitsticket bleibt also auch für 49 Euro ein politisches Groß-Experiment und sollte daher von den Bundes- und Landesregierungen auch so behandelt werden. Wenn sich die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler in den nächsten Tagen treffen, müssen sie zweierlei sicherstellen: Die Finanzrisiken dürfen nicht noch stärker auf den Bund abgewälzt werden, sondern müssen - wie es die Verfassung vorsieht - auch von den Ländern geschultert werden. Nur so haben die Landeshauptstädte ein starkes Interesse, auf die Kosten zu achten.

Dem Schutz vor Fehlentwicklungen dient auch der zweite Punkt: Das 49-Euro-Ticket sollte vorerst nur auf ein Jahr befristet eingeführt werden und dann automatisch auslaufen. Das zwingt zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme und erlaubt allen Beteiligten eine gesichtswahrende Korrektur, sollte das neue Ticket die Hoffnungen nicht erfüllen.  

 

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

Weitere Informationen
Ein Fahrkartenautomat steht in einem Hauptbahnhof. © picture alliance/dpa/Robert Michael Foto: Robert Michael

49-Euro-Ticket: Schleswig-Holstein fordert mehr Geld vom Bund

Trotz Einigung der Länder auf ein Ticket für den Nahverkehr bleibt die Frage der Finanzierung noch offen. mehr

Zahlreiche Menschen steigen am Hauptbahnhof in einen Regionalzug der Linie RE5 nach Rostock. © dpa Foto: Monika Skolimowska

49-Euro-Ticket: MV-Verkehrsminister Meyer sieht offene Fragen

Der Lösungsvorschlag stehe unter dem Vorbehalt, dass es eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel gibt, so Reinhard Meyer (SPD) auf NDR 1 Radio MV-Nachfrage. mehr

Fahrgäste verlassen und besteigen an der Hamburger Haltestelle Landungsbrücken die U-Bahn. © picture alliance / dpa Foto: Markus Scholz

49-Euro-Ticket: Hamburger CDU und Linke sind unzufrieden

Verkehrssenator Tjarks begrüßt, dass die Inhalte des Tickets feststehen und will sich aktiv bei der Umsetzung einsetzen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 16.10.2022 | 09:25 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bahnverkehr

Öffentlicher Nahverkehr