Kommentar: Deutschland - einig Einwanderungsland?
Deutschland will Einwanderungsland werden, mehr als bisher zumindest. Um das zu erreichen, soll die Einbürgerung erleichtert werden. Bereits nach fünf Jahren sollen Migrantinnen und Migranten einen deutschen Pass erhalten können. Erwartungsgemäß hat sich zum Vorstoß der Ampel-Koalition eine kontroverse Debatte entwickelt.
Ein Kommentar von Harald Likus, Redakteur bei der "Braunschweiger Zeitung"
Deutschland streitet über die Einbürgerung. Und Deutschland feiert im Dezember Weihnachten. Die beiden Aussagen sind ähnlich sensationell. Ohne Jux: Das Thema Einbürgerung war mal wieder dran, oder? Damit meine ich nicht nur, dass es wirklich "dran" ist - im Sinne von reformbedürftig. Sondern auch den eigentümlichen, ja, wohlig schmerzhaften Reiz, den solche Debatten zu entfalten pflegen. Und ist es nicht auch schön, uns endlich mal wieder nicht mit unserer globalen Bedeutungsarmut, sondern mit unserem tollen Land zu befassen, in das viele Leistungsträger kommen wollen, um hier gute Staatsbürger zu werden, wie wir uns gern versichern? Und ist es nicht auch unterhaltsam, wenn politisch auf die Pauke gehauen wird, sei es als "gutbürgernde" Attacke auf altmodisches "Biodeutschtum", sei es als "wutbürgernder" Protest gegen das Verhökern der deutschen Staatsbürgerschaft?
Hinzu kommen historische Schwingungen aus ganz alter Zeit: Ums städtische Bürgerrecht stritten sich schon im Mittelalter die Stadtoberen, die Bürger anlocken wollten, mit den Alteingesessenen, die ihre Privilegien lieber im kleinen Kreis genießen wollten. Und nicht zufällig bildete sich in Deutschland, dem Land besonders unklarer Grenzen, später ein besonders abwehrendes Verständnis von Staatsbürgerschaft heraus.
Bisher weniger Einbürgerungen als in anderen EU-Staaten
Doch nun tut sich was. Fast elf Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit leben in Deutschland. Etwa die Hälfte seit mindestens zehn Jahren. Von denen wurden im Jahr 2021 nicht einmal zweieinhalb Prozent eingebürgert. Das ist wenig. Weniger als in anderen EU-Staaten. Das sollen mehr werden. Die Bundesregierung plant, dass die Menschen nicht mehr acht Jahre vor ihrer Einbürgerung in Deutschland leben müssen, sondern nur fünf. Und sogar nur drei Jahre bei guten Leistungen in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Ehrenamt. Außerdem ist geplant, dass Menschen nicht mehr die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes aufgeben müssen, um die deutsche zu erhalten.
Wir brauchen gute Leute
Nein, bei allem Respekt vor dem Bedürfnis nach identitätspolitischer Keilerei, das ja nun auch nicht mehr durch GroKo-Bremsmanöver und übertriebene AfD-Verklemmungen behindert wird: Gegen diesen Vorstoß ist nichts Substanzielles zu sagen. Es ist hübsch zugespitzt, wenn Thorsten Frei von der CDU davor warnt, dass man "flächendeckend mit dem deutschen Pass um sich wirft". Aber das hat natürlich niemand vor.
Der Plan der Innenministerin ist schlicht und ergreifend vernünftig. Und dass die Chefin der "Wirtschaftsweisen" und der Bundesverband mittelständische Wirtschaft betonen, im Sinne der Attraktivität der deutschen Wirtschaft sei er zu begrüßen, signalisiert ganz klar, worum es überhaupt geht bei alldem: Wir brauchen gute Leute. Und die Leute sollen mitmachen können. Natürlich mit Wahlrecht, natürlich mit "unverwirkbarem" Aufenthaltsrecht, wie es auf Amtsdeutsch so schön heißt, und natürlich ohne unzeitgemäße Schikane.
Einbürgerungsverfahren war "demütigend bürokratisches Gewürge"
Apropos: Auch die Reaktion des Braunschweiger Leserbriefschreibers Wlodzimierz Manowski (ja, mit der Aussprache des Vornamens haben seine Mitmenschen und er es nie leicht gehabt) finde ich in dem Zusammenhang erwähnenswert. Manowski, geboren 1955 als Sohn polnischer Eltern in Deutschland, teilt mit, bei der Lektüre der Ankündigung hätten sich ihm "die Nackenhaare aufgestellt". Der Grund: Er erinnere sich daran, welch ein kostspieliges und demütigendes bürokratisches Gewürge es war, bis er mit 36 Jahren endlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat. "Ach, ich bin wohl zu früh geboren", sagt er mit Blick auf die Erleichterungen - aber er sagt es heiter.
Kluge politische Weichenstellung
Friede, Freude, Eierkuchen also? Natürlich nicht. Mit mehr Pässen und mehr stimmungsvollen Einbürgerungsfeiern ist es nicht getan. Mit Schnelligkeit und Flexibilität, aber auch mit Sorgfalt und Wachsamkeit muss man dem Fachkräftemangel beizukommen versuchen. Und natürlich sollte klar sein, dass die Erleichterung der Einbürgerung keine asylpolitische "Alle können kommen"-Fanfare ist, auch wenn "Gutbürger" und "Wutbürger" das gerne so hätten.
Im "Münchner Merkur" hieß es sogar, die leichtere Vergabe des Passes sei "ein Spiel mit dem Feuer", da die Regierungsparteien "ein neues Einladungssignal in die Welt setzen, das - so wie seinerzeit Merkels Willkommenskultur - nirgendwo überhört werden dürfte". Nein, diese Sorge bestätigt zwar trefflich unser Klischee vom Charakter der schmerzhaft-wohligen, der gern auch mal abdriftenden Einbürgerungsdebatte. Doch mit einer klugen Abwägung der Folgen einer klugen politischen Weichenstellung hat sie nichts zu tun. Zum Glück.
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