Jemand hält auf einer Demonstration für den Klimaschutz ein Schild mit der Aufschrift "There is no planet B" hoch. © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld Foto: Kay Nietfeld

Kommentar: Deutsche Klimapolitik hat keine rosigen Perspektiven

Stand: 07.05.2023 00:00 Uhr

Auch wenn der Klimaschutz ganz oben auf der Agenda der Ampel-Koalition in Berlin steht: Große Schritte in Richtung Klimaneutralität sind derzeit nicht zu verzeichnen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mangelt es ein wenig an Glaubwürdigkeit, die FDP bremst mehr als dass sie durch politische Initiativen auffällt - und für die Grünen ist es fast schon ein Drama, dass sie in dieser Konstellation in Regierungsverantwortung sind.

Jemand hält auf einer Demonstration für den Klimaschutz ein Schild mit der Aufschrift "There is no planet B" hoch. © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld Foto: Kay Nietfeld
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Der NDR Info Wochenkommentar von Gordon Repinski, stellv. Chefredakteur von "The Pioneer"

Wer erinnert sich nicht noch an den Sommer 2021: In Deutschland wurden großflächig Plakate aufgehängt, auf denen Olaf Scholz in Schwarz-Weiß auf rotem Grund versprach, dass er "Kanzler für Klimaschutz und sichere Arbeit" werden würde. Kaum zwei Jahre später würde sich wahrscheinlich auch in der SPD niemand mehr trauen, diese Plakate noch einmal aufzuhängen. Im Rennen zwischen sicheren Wirtschaftsbedingungen und dem Schutz des Planeten hat der Mikrokosmos zwischen Haustür und Heizung gegen die Jahrhundertaufgabe der Menschheit klar gewonnen.

Klimaschutz ist out. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Mehrheit der Bevölkerung mit den farbenfrohen Demonstrationen von "Fridays for Future" solidarisierte und die Parteien, jede für sich, Lösungen entwickeln musste, wie der Ausstoß von CO2 in Deutschland historisch verringert werden könnte.

Thema Klimaschutz nicht mehr so populär wie noch 2019

Gordon Repinski stellv. Chefredakteur und Leiter d. Hauptstadtbüros vom RND RedaktionsNetzwerk Deutschland © RND RedaktionsNetzwerk Deutschland Berlin GmbH Foto: Maurice Weiss
Die Perspektiven für die Klimapolitik in Deutschland seien nicht rosig, meint Gordon Repinski.

Deutschland im Jahr 2023: Da kann ein FDP-Chef durch sein Team auf Twitter verbreiten lassen, dass Klimaschutz ja schön und gut sei, aber erst einmal "die wirtschaftlichen Grundlagen" gesichert sein müssten.

Der Abschwung der Popularität beim Thema Klimaschutz hat nicht nur etwas mit den neuen wirtschaftlichen Nöten durch die Verteuerung der Energiepreise zu tun. Er hat auch etwas damit zu tun, wie ein Thema in die Öffentlichkeit getragen wird. Denn so farbenfroh und gewinnend, wie Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter 2019 für den Klimaschutz auf die Straße gingen, so stupide und trotzig bringt im Jahr 2023 die "Letzte Generation" selbst diejenigen in der Bevölkerung gegen sich auf, die eigentlich schon für die Sache des Umweltschutzes gewonnen waren.

Klimabewegung ist fundamental gespalten

Und damit ergibt sich in diesem Jahr eine bemerkenswerte Konstellation: Die Klimabewegung ist fundamental gespalten zwischen einer radikalisierten, irrationalen Straßenbewegung und einer hyperrationalen Grünen-Partei, die in der Bundesregierung eine fast unlösbare Aufgabe zu erfüllen hat: Auf der einen Seite muss es mit dem Klimaschutz ohnehin schneller gehen, wenn man die sich gesetzten Ziele in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erreichen will. Auf der anderen Seite geht es aber erst einmal langsamer beim Klimaschutz, weil auf einmal schmutziges Fracking-Gas und noch schmutzigere Kohle verbrannt werden müssen, damit in Deutschland Energie gesichert ist.

Die Grünen haben derzeit nichts zu gewinnen

Es ist eine Situation, in der die Grünen nichts zu gewinnen haben - und tatsächlich geht es bergab. Weit entfernt ist die Partei vom Traum vom Kanzleramt, den sowohl Robert Habeck als auch Annalena Baerbock auch in gegenseitiger Konkurrenz noch in sich tragen.

Um die 16 Prozent der Bevölkerung würden den Grünen aktuell noch die Stimme geben. Das ist zwar kaum weniger als der SPD, aber es reicht noch für eine Erzählung, die im Kanzleramt aktuell gerne gesponnen wird: Auf der einen Seite stehen demnach die Grünen, die mit ihren Partikular-Interessen abgerundete 15 Prozent der Bevölkerung erreichen - und auf der anderen Seite der Bundeskanzler, der den Anspruch der Volkspartei mit der SPD nie aufgegeben hat und somit 50 Prozent der Bevölkerung erreichen muss.

Ehrgeizige Klima-Ziele sind in den Hintergrund gerückt

Es ist weit von der Realität entfernt, aber es gibt einen Aufschluss darüber, welche Perspektiven die Klimapolitik in Deutschland in den nächsten Jahren hat: Sie sind nicht besonders rosig. Die ehrgeizigen Ziele der Klimaneutralität in der Mitte dieses Jahrhunderts zu erreichen, die Erwärmung der Erde zu begrenzen, eine Basis für eine lebenswerte Zukunft für mehr als die eigene Generation zu schaffen - das alles ist in den Hintergrund gerückt. Es ist nicht ohne Tragik, dass die Grünen gerade jetzt in der Regierung Verantwortung tragen.

Rechnung für Kanzler Scholz könnte am Ende nicht aufgehen ...

Die FDP dagegen kann sich freuen: Nie stand sie der SPD näher als mit Bundeskanzler Scholz. Nie war auch innerhalb der Ampel-Regierung die Perspektive freundlicher, dass sich auch die Umfragen bessern könnten. Und für die Grünen bleibt womöglich eine Erkenntnis: Es ist gar nicht so gut, in einem Dreier-Bündnis mit scheinbaren Freunden wie der SPD zu regieren. Denn die Dynamik von Politik macht es zuweilen leichter für den Außenseiter, weil gerade auf seine Themen geachtet werden muss.

Und so könnte am Ende die Rechnung für Kanzler Scholz doch nicht aufgehen. Auch ihm könnten die Grünen nach der nächsten Wahl abhanden kommen, sie könnten sich einen neuen Partner suchen. Für die Sache des Klimaschutzes wäre es womöglich noch nicht einmal das Schlechteste.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 07.05.2023 | 09:25 Uhr

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