Kommentar: Gut wird nichts mehr zwischen Grün und Gelb
Der Graben zwischen FDP und Grünen in der Bundesregierung wird offenbar immer tiefer, die Ampel wirkt wie gelähmt. Wie die Koalitionspartner wieder zu vertrauensvoller Arbeit zusammenfinden können, ist nicht abzusehen.
Wisch und weg! So hat einmal ein namhafter Hersteller von Küchenrollen sein Produkt genannt. Bratensaft über die Küchenkonsole gelaufen? Kein Problem! Ein Lage Papier von der Rolle reißen, aufwischen - und fertig. Am Prinzip "Wisch und weg" hat sich jetzt auch der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki versucht und sich für einen abscheulichen Putin-Vergleich beim grünen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck entschuldigt. Aber es gibt Verfehlungen, die lassen sich mit einer Entschuldigung nicht mehr restlos beseitigen. Da bleibt was kleben. Kubickis hanebüchene Einlassung gehört in diese Kategorie.
Kubicki ist Lindners Dreschflegel
"Na ja, der Kubicki halt", werden jetzt manche sagen und die Angelegenheit damit herunterspielen. Kubicki ist Christian Lindners Dreschflegel vom Dienst, darf jeden Parteitag erst einmal mit einem Schwall an Unflat Richtung politischem Gegner in Stimmung bringen. Aber erstens hat Kubicki als Vizepräsident des Bundestags qua Amt eine herausgehobene Rolle. Und zweitens ist der Kubicki von 2023 ein Geschöpf von Christian Lindner aus früherer Zeit. Als angehender Parteichef arrondierte er seine Macht in der FDP und trennte sich von allen Oldies wie Hermann Otto Solms, bis auf einen, mit dem er einen Nichtangriffspakt schloss: Wolfgang Kubicki. So lange Lindner diesen Pakt mit allen Konsequenzen nicht brechen möchte, hat er eine Mitverantwortung für die Kapriolen seines Blutsbruders.
Das "Friendly Fire" des Wolfgang Kubicki und auch das weinerliche Interview von Robert Habeck in den Tagesthemen markieren einen neuen Tiefpunkt im Verhältnis der beiden Koalitionsgegner Grün und Gelb. Die anderthalb Jahre in der Ampel führen an dem Befund nicht vorbei: Die beiden können nicht miteinander. Aller Zauber des Anfangs, als man sich ganz neu kennen und schätzen geglaubt hatte, ist verflogen. Beide Parteien sind in ihren Weltanschauungen verhaftet, die sich im immer gleichen Muster als unvereinbar erweisen.
Bemerkenswerterweise sind die Liberalen dabei die größeren Ideologen als die Weltverbesserer von den Grünen. Vollgas auf Autobahnen, die ausgebaut werden sollen! Artenschutz für den Verbrenner! Freie Fahrt für freie Bürger! Dabei verheddern sie sich argumentativ im Gestrüpp zwischen dem Glauben an Lösungen durch technologischen Fortschritt und einem seltsamen Festhalten am Gestern.
Die FDP sackt immer tiefer in den Umfragen
Aktuelles Beispiel ist der Streit um die Zukunft des Verbrenner-Autos. Die FDP ist einerseits die Partei, die immer sagt, dass die Probleme etwa beim Klima nicht so schlimm werden, wie sie die Grünen an die Wand malen, weil Technologie, von der wir heute noch keine Ahnung haben, kommen und das Problem mit lösen wird. Und andererseits macht sie sich zum Schutzpatron einer fossilen Verbrennungstechnologie, von der alle wissen, dass sie enden muss. In den Zylindern der Autos ebenso wie in den Kesseln der Heizungen.
"Aber die E-Fuels!", rufen da die Superschlauen. Die Liberalen wollen ja nicht alle Verbrenner in der Europäischen Union über das Jahr 2035 hinaus retten, sondern nur die, die in der Lage sind, mit E-Fuels zu laufen. Das ist aber nur scheinbar modern. Denn der Verbrenner-Motor ist auch bei Verwendung von E-fuels gegenüber dem E-Motor die viel kompliziertere Maschine mit einem viel schlechteren Wirkungsgrad. Der Verbrenner kann das Rennen gegen den E-Motor nicht mehr gewinnen.
Natürlich kann man so kalkulieren, wie es die FDP womöglich tut: Da draußen sind viele, die eine Allergie entwickelt haben gegen die Zwangsbeglückung durch die Grünen, gegen eine Politik, die sagt: Wir wissen besser als Du, was gut für Dich ist. An die müssen wir uns wenden. Für die müssen wir Politik machen. Dann gewinnen wir auch Wahlen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Je tiefer sich die FDP in ihrem Graben einbuddelt, desto tiefer sacken auch ihre Umfragen und Wahlergebnisse. Ihre Wahlniederlagen erfolgen in Serie. Zuletzt sind sie in Berlin aus einem Parlament geflogen.
Kanzlermachtwort als Politikstil
Das setzt eine Spirale in Gang, macht die Liberalen noch nervöser und gereizter. Statt die ganze Strategie zu überdenken, versuchen sie es mit einem "Mehr vom Gleichen". Am heutigen Sonntag kommt auf den Bundeskanzler abermals die undankbare Aufgabe zu, wie ein Familienvater seine beiden zerstrittenen Geschwisterkinder zu befrieden und bei einem Koalitionsausschuss eine Kompromisslösung herbeizuführen.
Das letzte Mal - es ist noch nicht so lange her und der Streit zwischen Grün und Gelb tobte um die längere Laufzeit der verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke - wusste sich Olaf Scholz nicht anders als mit einem Kanzlermachtwort zu helfen. Politik per Post aus dem Kanzleramt. Das ist nicht aus dem Lehrbuch der parlamentarischen Demokratie. Aber angesichts der erwiesenen Unvereinbarkeit von Grün und Gelb werden sich die Beteiligten und das Publikum wohl an diesen Politikstil gewöhnen müssen für die verbleibende Restlaufzeit dieser Regierung von zweieinhalb Jahren. Gut wird nichts mehr zwischen Grün und Gelb.
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