Pressefreiheit: Angriffe auf Journalisten im Norden
Deutschlandweit zählte die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen im vergangenen Jahr mindestens 103 Angriffe auf Medienschaffende. Auch im Norden sind Journalistinnen und Journalisten betroffen.
Eigentlich war es ein Routine-Einsatz für NDR Reporter Lars Stuckenberg: Anfang des Jahres sollte er einen Beitrag über Ausschreitungen in der Silvesternacht machen. In Hannover und Umgebung war es zu gefährlichen Körperverletzungen, Sachbeschädigungen an Polizei- und Feuerwehrfahrzeugen und tätlichen Angriffen auf Einsatzkräfte gekommen.
Für die Fernsehsendung "NDR Info 21:45" wollte er sich in Garbsen umhören, auch dort hatte es Böllerwürfe und Raketenabschüsse auf Einsatzkräfte gegeben. Beim Interview mit einer Lokalpolitikerin im Stadtteil Auf der Horst passiert es dann aber: “Ganz plötzlich kam von oben etwas geflogen, es macht Platsch neben uns. Und das waren dann Eier, die auf uns geworfen wurden.”, berichtet Stuckenberg.
Eier fliegen auf das Fernsehteam
Wer die Eier geworfen hat, kann das Team auf dem belebten Marktplatz nicht nachvollziehen und es bleibt nicht bei diesem Zwischenfall. Stuckenberg zeigt erschreckende Bilder auf seinem Smartphone: Eine Fensterscheibe des NDR-Team-Fahrzeugs wurde mit einer Flasche eingeschlagen, das Auto ist ebenfalls mit Eiern beschmiert. "Da hatte ich ein mulmiges Gefühl, wir hatten extra an einer großen Straße geparkt, wo die ganze Zeit Autos fahren und so etwas macht ja auch Lärm."
Außerdem geht das Kopfkino bei dem Journalisten los: Was wäre passiert, wenn jemand einen Stein anstelle der Eier geworfen hätte?
Auch zurück in der Redaktion wirkt der Vorfall nach, der Adrenalinspiegel ist hoch. Die Redaktion fällt die Entscheidung, darüber zu berichten: "Es fiel mir schwer, Distanz zum Thema zu behalten. Es hat einige Atemzüge und Gespräche mit Kollegen gekosten, einen sendbaren Beitrag zu machen.", reflektiert Stuckenberg.
"Latente Bedrohung hat zugenommen"
Seit sieben Jahren arbeitet er als Reporter für den NDR, die latente Bedrohung auf manchen Einsätzen hat seinem Gefühl zufolge zugenommen. Vor einem Abendeinsatz am Hauptbahnhof in Hannover etwa würde er die Bundespolizei informieren, zu Querdenker-Demos fahre er meistens nur noch in Begleitung eines Sicherheitsdienstes.
Mindestens 103 Angriffe auf Medienschaffende
Das NDR Team ist mit dieser Erfahrung nicht allein. Deutschlandweit zählte die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen im vergangenen Jahr mindestens 103 Angriffe auf Medienschaffende. So viele wie nie seit Beginn der Zählungen.
Auch Corinna Pfaff kennt Berichte von solchen Übergiffen, etwa von zerstochenen Reifen. Beim Deutschen Journalistenverband in Schwerin berät sie betroffene Reporterinnen und Reporter: “Es ging hin bis zu gezielten persönlichen Angriffen, um Kollegen einfach einzuschüchtern." Es gäbe sogar Fälle, in denen Kollegen sich eine Auszeit nehmen würden oder den Job direkt an den Nagel hängen, so Pfaff: "Und das ist, finde ich, schon sehr bedenklich für die Pressefreiheit."
Gerade im Lokaljournalismus gibt es immer wieder Vorfälle. Michael Seidel von der "Schweriner Volkszeitung" hat Sorge um seine Lokalreporter. Sie werden mitunter bei Demos angespuckt oder bis vor das eigene Haus verfolgt: "Andererseits erwarte ich natürlich von Journalisten, dass sie da hingehen, wo es weh tut. Dass sie den kommunikativen Nahkampf suchen, also möglichst nah ran an das Ereignis gehen, um ein authentisches eigenes Bild zu gewinnen."
Die schwierige Herausforderung der Redaktionen - in diesem Spannungsgefüge die richtige Balance zu finden. Auch wenn es solche Vorfälle zum Glück noch nicht täglich gibt, haben sie den Alltag der Berichterstatter verändert.