Von Lucke zur Vertrauensfrage: "Ampel war Misstrauenskoalition"
Heute stimmt der Bundestag über die Vertrauensfrage von Kanzler Olaf Scholz ab. Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke geht nicht davon aus, dass der Kanzler sich in seiner Rede für das Ende der Ampel entschuldigen wird.
Bundeskanzler Scholz (SPD) stellt heute im Bundestag die Vertrauensfrage. Gut drei Jahre nach seinem Amtsantritt will er damit nach dem Bruch der Ampel-Koalition den Weg für vorgezogene Bundestagswahlen freimachen. Über diesen Schritt und den bereits eingeläuteten Wahlkampf hat NDR Info mit dem Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke gesprochen.
Dieses vermutlich letzte Kapitel in der Kanzlerschaft von Olaf Scholz - wie würden Sie das überschreiben?
Albrecht von Lucke: Ein Novum der deutschen Geschichte ist, dass die Vertrauensfrage aus einer Minderheiten-Koalition gestellt wird. Das kam bei den bisherigen sechs Vertrauensfragen noch nie vor. Insofern drückt die jetzige Vertrauensfrage aus, dass eine Koalition nach drei Jahren gescheitert ist, die von Anfang an, spätestens aber mit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, keinen richtigen Tritt gefunden hat und eine Misstrauenskoalition in sich war. Denn eine Partei, vor allem die FDP, hat meistens Opposition gegen die anderen beiden gespielt. Insofern geht das heute mit einer gescheiterten Vertrauensfrage stimmig zu Ende.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten die Vertrauensfrage eingebracht, damit ein Kanzler sich das Vertrauen aussprechen lassen kann. Scholz will aber jetzt verlieren. Sollte die Vertrauensfrage dazu dienen, das Parlament aufzulösen?
Von Lucke: Die Vertrauensfrage war so nie von den Müttern und Vätern gedacht, aber wir müssen einsehen, dass es diese Situationen gibt. In der Geschichte der Bundesrepublik kam es mehrfach vor, dass Parteien, die als Koalition nicht mehr funktionierten, diesen Weg brauchten, um ein Ende zu finden. In diesem Fall ist es fast zwingend, denn hier sind zwei von drei Parteien übrig geblieben, die gar keine Mehrheit haben, um Gesetze zustande zu bringen. Es muss also die Möglichkeit eines Endes geben. Insofern ist diese Unterscheidung in "echte" Vertrauensfrage und "unechte" Vertrauensfrage in der Sache zwar wichtig. Aber es braucht dieses Instrument, um danach wieder eine starke Regierung zu haben und dann wieder mit Vertrauen weiterzumachen.
Kann es auch eine Überraschung geben bei der Abstimmung im Bundestag?
Von Lucke: Mit der AfD haben wir es mit einer Partei zu tun, die bei derartigen Vertrauensfragen immer für Überraschungen gut ist. Da hat die Rest-Koalition aber vorgearbeitet: Die Grünen werden sich enthalten, falls die AfD für Scholz und die Fortsetzung der Koalition stimmen sollte. Dann hätte sie die Stimmen der FDP ersetzt und es könnte weitergehen. Da sich die Grünen aber enthalten werden, wird das Vertrauen nicht ausgesprochen.
Scholz wird auch eine Rede halten im Parlament. Er wird das Scheitern der Ampel sicher noch mal erklären, was auch sein Scheitern als Kanzler ist. Oder wird es ihm eher darum gehen, sich für den Wahlkampf ins rechte Licht zu rücken?
Von Lucke: Letzteres wird der Fall sein. Scholz ist nicht dafür bekannt, dass er sich schuldig bekennt. Er wird sicher in einem anderen Ton reden als beim Rausschmiss der FDP. Damals machte er die FDP zum Hauptverantwortlichen. Das wird er heute staatstragender halten. Aber er wird noch einmal deutlich machen, dass diese Koalition keine Zukunft hatte, das historische und auch weltpolitische Situationen einen Neuanfang forderten.
Im Wahlkampfmodus sind auch schon die anderen Parteien. Wie werden die die Debatte heute im Bundestag nutzen?
Von Lucke: Mit dem Ende der Koalition hat der Wahlkampf begonnen. Die Union muss versuchen, wieder vom Gejagten zum Jäger zu werden. CDU/CSU hatten innere Schwierigkeiten wie den Streit zwischen Söder und Merz oder die Unklarheit, wie man es mit den Grünen hält. Heute muss die CDU einen starken Aufschlag finden, damit Friedrich Merz in Stärke auf Scholz reagieren kann. Bemerkenswerterweise hat Scholz nach dem Streit, ob nicht Pistorius der bessere Kandidat sein könnte, eine geschlossene Partei hinter sich. Wir haben einen erstaunlichen Rollentausch erlebt: Die SPD ist Jäger einer Union, die ein Stück weit an Boden verliert. Heute wird es also sehr auf den Kanzlerkandidaten Merz ankommen, ob die CDU Boden gewinnen kann.
Wird sich die Wahl im Februar an Themen oder an Personen entscheiden?
Von Lucke: Wir erleben gerade, dass das Vertrauen der Menschen ganz stark von Personen abhängig ist. Die Ironie der Geschichte ist aber, dass die gleichen Personen der gescheiterten Ampel-Parteien zur Wahl stehen. Alle drei Spitzenkandidaten sind die starken Figuren der letzten Legislatur. Sie müssen wieder das Vertrauen zurückgewinnen, was sie verloren haben. Trotzdem wird es einen stark themenorientierten Wahlkampf geben. Die Probleme sind gewaltig, die Wirtschaftskrise dramatisch. Und mit dem 20. Januar wird mit Donald Trump ein Mann an der Macht sein, der eine völlige Neuorientierung der US-amerikanischen Politik bedeutet. Nach dem 23. Februar wird es hoffentlich eine Koalition geben, die geschlossener agiert und damit Vertrauen zurückholt, was in den letzten drei Jahren massiv zurückgegangen ist und damit auch den rechtsradikalen Rand gestärkt hat.
Das Interview führte Liane Koßmann.