Ukrainerinnen im Radio-Studio von Radio UVoice in Hamburg. © NDR
Ukrainerinnen im Radio-Studio von Radio UVoice in Hamburg. © NDR
Ukrainerinnen im Radio-Studio von Radio UVoice in Hamburg. © NDR
AUDIO: Wie blicken Ukrainerinnen auf die Friedenskonferenz? (4 Min)

Ukrainerinnen in Hamburg: Zwischen Weltpolitik und Alltagssorgen

Stand: 15.06.2024 07:30 Uhr

Staats- und Regierungschefs wollen am Wochenende in der Schweiz über einen Friedensplan für die Ukraine beraten. Während Kiew große Hoffnung in die Konferenz setzt, spielt diese für zwei Ukrainerinnen in Hamburg eher eine Nebenrolle.

von Caroline Schmidt und Marvin Weber

"Heute dreht sich alles um Therapie. Quasi Musik und Psychologie. Musik unterstützt uns eigentlich die ganze Zeit", erklärt Valentyna in der deutsch-ukrainischen Radio-Sendung "UVoice". Neben aktuellen ukrainischen Liedern laufen auch deutsche Songs, unter anderem ein Titel von Rammstein. Aufgezeichnet wird das Programm in einem Radio-Studio in Hamburg-Uhlenhorst. Es wird Deutsch und Ukrainisch gesprochen.

Die Ukrainerin Valentyna spricht im Radio-Studio von Radio UVoice in Hamburg. © NDR
Valentyna arbeitet seit rund einem halben Jahr in ihrer Freizeit für Radio "UVoice".

Der Radiosender will den geflüchteten Ukrainern in den schweren Zeiten ein Stück Heimat nach Norddeutschland bringen. Aber auch deutsche Hörer sollen angesprochen werden - ein kultureller Austausch auf musikalischer Ebene. Das deutsch-ukrainische Radioprogramm wurde im Januar 2023 von Radio Tide, den Ukrainischen Tagen in Hamburg und der Norddeutschen Ukrainehilfe gegründet. Radio Tide hat Anfang der 2000er-Jahre den offenen Kanal in der Hansestadt ersetzt und geht seitdem als gemeinnütziger Bürger- und Ausbildungskanal auf Sendung.

Den Krieg für ein paar Sendeminuten vergessen

Wenige Tage vor der Friedenskonferenz in der Schweiz stehen neben Valentyna auch Vladyslava und zwei weitere Ukrainerinnen im Radio-Studio. Politik und aktuelle Entwicklungen an der Kriegsfront in ihrem Heimatland spielen in den Sendeminuten des Radios meist eher eine Nebenrolle. Die Sendung soll eher Raum bieten, um auf andere Gedanken abseits des Kriegs zu kommen. Das gelingt natürlich nicht immer. Den Spagat zwischen Weltpolitik und Wirklichkeit im Alltag erleben Valentyna und Vladyslava nahezu täglich. Auch die beiden Ukrainerinnen werden ganz genau beobachten, was auf der Friedenskonferenz entschieden wird. Zu viel Nachrichten und Krieg wollen sie jedoch auch nicht in ihr tägliches Leben lassen, vor allem aus Selbstschutz.

160 Delegationen für Ukraine-Friedenskonferenz eingeladen

Für die Friedenskonferenz zur Ukraine in der Schweiz am 15. und 16. Juni hat das Gastgeberland 160 Delegationen zahlreicher Länder und internationaler Organisationen eingeladen. Teilnehmen werden unter anderem Bundeskanzler Scholz, Frankreichs Präsident Macron, US-Vizepräsidentin Harris und Japans Ministerpräsident Fumio Kishida.

Das Treffen wurde auf Initiative der Ukraine organisiert. Kiew erhofft sich eine breite internationale Unterstützung. Ziel des Gipfels ist, dass ein Fahrplan für einen möglichen Friedensprozess entsteht. Russische Vertreter nehmen nicht teil.

"Die Leute fühlen sich hier leider allein, obwohl wir eine große Community in Hamburg haben. Aber jeder Zweite fühlt sich allein und will nach Hause", berichtet Valentyna. Im Gegensatz zu vielen ihrer Landsleute wohnt sie bereits seit 13 Jahren in Deutschland. Ihre Familie stammt aus Riwne im Nordwesten der Ukraine. Im Alter von 13 Jahren verliebte sich Valentyna bei einem Austauschprogramm der Johanniter in Deutschland. Seitdem stand für sie fest: Hier will ich später einmal leben. Nach ihrem Marketing-Studium arbeitete sie als Au-pair in Deutschland und kehrte seitdem nicht mehr zurück in ihr Heimatland. Mittlerweile arbeitet sie in Hamburg in der Marktforschung, spielt Gitarre und singt in einer Band.

Alltag zwischen Kriegsnachrichten und kleinen Freuden

Valentyna will nicht, dass der Krieg ihr Leben bestimmt. In Gesprächen mit ihren Verwandten in der Ukraine oder Landsleuten, die ebenfalls in Hamburg untergekommen sind, ist dieser ohnehin nach wie vor sehr präsent. Abschalten kann sie jedoch trotzdem: "Wenn ich meinen Sport mache, arbeiten gehe oder mit meinen Freunden ausgehe, dann gelingt mir das. 24/7 über den Krieg nachzudenken, Nachrichten zu lesen, das kann ich nicht, das kann keiner, dann wird man verrückt."

VIDEO: Ukrainisches Radio in Norddeutschland (3 Min)

Besonders in den ersten Tagen des Krieges vor mittlerweile mehr als zwei Jahren war es schlimm für Valentyna. "Ich konnte nicht schlafen und nicht essen", sagt sie. Gefühlt habe sie alle fünf Minuten mit ihrer Mutter telefoniert. Um die macht sie sich auch heute noch die größten Sorgen. Durch schwere körperliche Arbeit kann ihre Mutter als über 50-Jährige mittlerweile nicht mehr arbeiten. Valentyna unterstützt sie mit Geld aus ihrem Einkommen. "Ich mache mir einfach Sorgen, dass irgendwann der Tag kommt, an dem sie einfach nicht mehr auf meine Nachricht morgens antwortet. Und dann weiß ich nicht, was los ist." Versuche, ihre Mutter und weitere Familienmitglieder nach Hamburg zu holen, scheiterten. "Meine Mutter will die Ukraine nicht verlassen, aber das hat nichts mit Deutschland zu tun", sagt Valentyna. Lediglich ihre 16-jährige Cousine nahm ihr Angebot an, kehrte jedoch auch nach drei Monaten wieder zurück in die Ukraine.

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Schwerer Start in der Ferne ohne Familie und Freunde

Ukrainerinnen im Radio-Studio von Radio UVoice in Hamburg. © NDR
Vladyslava (rechts) hat bereits in der Ukraine als Journalistin gearbeitet.

"Ukrainische Musik spricht mir aus der Seele. Das macht mein Leben hier ein wenig einfacher, weil ich mich ein wenig zu Hause fühle", sagt die 23-jährige Vladyslava, die an diesem Nachmittag Mitte Juni bei der Aufzeichnung der Radio-Sendung dabei ist. Mit ihrer Mutter und ihrem Hund flüchtete Vladyslava im März 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges, zu Bekannten in Hamburg. Ihre Familie stammt aus der Nähe von Kiew. Mittlerweile ist Vladyslavas Mutter wieder zurück in der Ukraine. Vladyslava will vorerst hier bleiben. Sie macht bei Radio Tide eine Ausbildung und will unter anderem bei "UVoice" ihren Werdegang als Journalistin fortführen, den sie in der Ukraine begonnen hat. Der Start ohne Freunde und Familie in der Ferne sei für sie nicht immer leicht, erzählt sie. Dennoch will sie weiter Deutsch lernen und sich integrieren.

Im Alltag ihrer Familie in der Ukraine rückt der Krieg währenddessen immer näher. Vladyslavas Vater hat einen Einberufungsbescheid vom Militär bekommen. Vielleicht geht es für ihn nach der kurzen Ausbildungsphase an die Front. Ihre beste Freundin befindet sich aktuell mitten in einer der umkämpften Regionen des Landes. "Das macht mir große Sorgen", sagt Vladyslava. Helfen könne sie aktuell nur wenig, höchstens mit emotionalem Beistand und ein wenig Geld, das sie in die Heimat schickt. Alles, was in ihrer Hand liege, sei, über die aktuelle Lage in ihrem Heimatland zu berichten. Genauso wichtig sei es ihr deshalb auch, dass kein falsches Bild über sie und ihre Landsleute in Deutschland entstehe. "Wir lernen Deutsch, zahlen Steuern, bilden uns weiter", sagt sie.

Hoffnung auf eine gute und kriegsfreie Zukunft

Ukrainerinnen im Radio-Studio von Radio UVoice in Hamburg. © NDR
Der Radiosender soll eine kulturelle Brücke zwischen der deutschen und der ukrainischen Kultur bilden. Gespielt werden Lieder in beiden Sprachen.

Die Nachrichten verfolgen Valentyna und Vladyslava intensiv. Die Weltpolitik habe großen Einfluss auf die Ukraine, auf die Unterstützung für ihr Heimatland, sagt Vladyslava. Sorgen machen den beiden die jüngsten Ergebnisse der Europawahl in Deutschland, vor allem mit Blick auf das gute Abschneiden der AfD. "Ich war ein bisschen überrascht, dass in Deutschland so viele Menschen die AfD gewählt haben. Diese Partei ist nicht gut für Migranten und für die Unterstützung der Ukraine. Ich denke, dass das negativ für die Zukunft der Ukraine sein könnte", sagt Vladyslava. Die Friedenskonferenz in der Schweiz treibt Valentyna und Vladyslava hingegen eher weniger um.

Beide wollen die Hoffnung angesichts der aktuell täglichen Hiobsbotschaften aus ihrer Heimat nicht aufgeben. "Man kann das leider alles nicht so beeinflussen als kleiner Mensch. Aber so ein bisschen habe ich diese Hoffnung ins Universum, dass das Universum das schon regelt", sagt Valentyna. Mit jeder Sendung schicken sie eine gute Portion Optimismus in die Welt - und an ihre Landsleute.

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NDR Info | 14.06.2024 | 06:37 Uhr

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