Tod eines jungen Polizisten: Unfall oder Straftat?
Vor anderthalb Jahren ist der damals 24 Jahre alte Polizist Marc-André Horn bei einer Nachtübung in Mecklenburg-Vorpommern gestorben. Seine Familie aus Hamburg erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ausbilder. Die Staatsanwaltschaft hat wieder Ermittlungen aufgenommen.
Die letzten Stunden im Leben des Polizisten Marc-André Horn sind auf Handy-Videos festgehalten. Es ist die Nacht vom 12. auf den 13. Oktober 2021. Insgesamt sind es 39 Sequenzen. Viele zeigen, dass es Marc in dieser Nacht nicht gut geht. Deutlich ist zu hören, dass der junge Mann schwer atmet, hechelt und mehrfach von Kollegen in einem Tragetuch transportiert werden muss. Teilnehmer haben die Videos aufgenommen - in einer Sequenz ist offenbar ein Ausbilder zu hören - mit anfeuernden Rufen: "Marc, komm wieder hoch. Die warten auf dich. Wir wollen alle wieder ins Bett."
Für seinen Vater, den 61 Jahre alten Computerspezialisten Henry Horn, sind diese Bilder nur schwer zu ertragen: "Man hört, dass selbst die Polizisten sagen, dass er nicht mehr kann. Er muss in die Unterkunft. Was ich nicht verstehe ist, wieso da kein Sanitäter geholt worden ist."
Mitglied einer Eliteeinheit
Warum starb ihr Sohn bei dem Übungsnachtmarsch der Polizei? Marc-André Horn war bei einer Spezialeinheit der Hamburger Bereitschaftspolizei, der Beweis- und Festnahmeeinheit (BFE). Das sind jene Einsatzkräfte, die ausgebildet werden, um bei Fußballeinsätzen oder Demonstrationen zum Beispiel gezielt Straftäter aus einer Menge herauszulösen und festzunehmen. Nächtliche Trainingseinheiten mit zum Teil schwerer körperlicher Belastung gehören zum Standard bei der Ausbildung der Bereitschaftspolizei im Nordverbund. Das gilt auch für den Nachtmarsch am 13. Oktober 2021 in der Recknitztal-Kaserne Bad Sülze in Mecklenburg-Vorpommern.
War der Tod vermeidbar?
Die Familie ist überzeugt, dass der Tod des jungen Mannes vermeidbar gewesen wäre: "Aus den Protokollen geht hervor, dass alle Ausbilder gesehen haben, dass es Marc schlecht geht. Und keiner hat etwas unternommen, um ihm zu helfen. Ich vergleiche das mit einer Bushaltestelle: Wenn da jemand umfällt und bewusstlos ist, muss man Erste Hilfe leisten und den Notruf betätigen. Das wurde hier total versäumt", sagt Marcs Schwester Sandrina.
Körperliche Belastungen waren normal
Körperliche Herausforderungen waren für den jungen Polizisten nichts Ungewöhnliches. Er sei durchtrainiert gewesen, sei als Kampfsportler mehrfach ausgezeichnet worden, berichtet sein Vater: "Er ist gesund hingefahren und kannte seine Grenzen. Zwei Tage später war er dann tot." Familie Horn kämpft zwei Kämpfe: Sie verarbeitet die Trauer um ihren Sohn und sie will, dass der Fall juristisch aufgearbeitet wird - auch um andere, die zu solchen Lehrgängen fahren, zu schützen.
Thema auch im Schweriner Landtag
Das zuständige Innenministerium in Schwerin ließ eine Anfrage des NDR unbeantwortet, verweist auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. In einer Antwort der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der CDU-Landtagsfraktion heißt es, Marc-André Horn habe sich in dieser Nacht immer wieder leicht erholt und selbst bejaht, dass er weiter machen könne. Um drei Uhr morgens sei er nach einem Lauf zusammengebrochen. Nach Rückkehr in die Kaserne sei dann um 3.45 Uhr ein Notarzt angerufen worden. Um 5.04 Uhr sei dann der Tod des jungen Mannes festgestellt worden.
Familie: Alarmierung kam zu spät
Aus Sicht von Familie Horn erfolgte die Alarmierung des Notarztes viel zu spät. Marc-André Horns Schwester Sandrina kommt zu dem Schluss: "Die Ausbilder hätten ganz klar den Notruf wählen müssen, 112, sofort. Da ist jemand, der nicht atmen kann, der nicht mehr aufstehen kann. Im Normalfall soll man immer den Notruf wählen. Aber von der Polizei wird das dann nicht erwartet? Das ist doch Schwachsinn. Das muss man von der Polizei erwarten, dass sie 112 wählen kann."
Erneute Ermittlungen durchgesetzt
Die Staatsanwaltschaft Stralsund hatte nach dem Tod in der Kaserne zwar ein Todesermittlungsverfahren ohne konkrete Beschuldigte eingeleitet, aber mangels Tatverdachts im Mai 2022 wieder eingestellt. Jetzt muss sie doch weiter ermitteln. Denn Familie Horn hatte gegen die Einstellung erfolgreich Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Rostock eingelegt. Sie kritisiert unter anderem, dass kein ausgebildeter Rettungssanitäter an der nächtlichen Übung teilgenommen habe, der zu Gunsten von Marc-André Horn hätte einschreiten können.
Todesursache wird untersucht
Auf NDR Anfrage teilt die Staatsanwaltschaft Stralsund jetzt mit, dass bisher nicht gegen konkrete Personen ermittelt werde. Es handle sich um sogenannte "Todesermittlungen", bei denen die Ursachen für den Tod von Marc-André Horn untersucht würden. Eine der entscheidenden Fragen sei, ob die weitere Teilnahme des jungen Kommissars an der Übung trotz der körperlichen Beschwerden auf seiner eigenen Entscheidung beruhte. Vorschriften, die die Teilnahme eines ausgebildeten Rettungssanitäters für verbindlich erklären, seien der Behörde nicht bekannt.
Anwalt hält Straftat für möglich
Der Anwalt der Familie, Mathias Frommann, hat präzise Erwartungen an die weiteren Untersuchungen. Immerhin habe ein medizinisches Gutachten ergeben, dass Marc-André Horn aufgrund mangelnder Sauerstoffversorgung mutmaßlich nicht mehr in der Lage gewesen sei, eigenständig über eine Teilnahme zu entscheiden: "Es müsste zumindest um die Tatbestände 'Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen' bis hin zum 'Totschlag durch Unterlassen' gehen. Das ist schweres Geschütz, aber der Tod eines Beamten im Dienst ist ja auch keine Bagatelle."
Familie Horn: "Fall darf sich nicht wiederholen"
Familie Horn will, dass alle Fakten vor Gericht auf den Tisch kommen. Marcs Schwester sagt: "Es gibt 39 Videos. Diese Videos sind selbsterklärend. Es ist klar, dass Marc Hilfe brauchte. Es ist klar, dass die Ausbilder das erkannt haben. Die sollen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden." Auch wenn es ihren Sohn nicht zurückbringen könne, sei das Verfahren wichtig, sagt seine Mutter Heike Horn: "Ich möchte nicht, dass sich solch ein Fall wiederholen kann."