Ein Arzt setzt eine Spritze in den Arm eines Mannes. © Photocase Foto: David Pereiras
Ein Arzt setzt eine Spritze in den Arm eines Mannes. © Photocase Foto: David Pereiras
Ein Arzt setzt eine Spritze in den Arm eines Mannes. © Photocase Foto: David Pereiras
AUDIO: "340.000 Verdachtsfälle auf Corona-Impfschäden an RKI gemeldet" (5 Min)

Mögliche Corona-Impfschäden: Prozesse gegen Hersteller beginnen

Stand: 03.07.2023 13:46 Uhr

In diesen Tagen beginnen verschiedene Prozesse, in denen Menschen die Hersteller der Corona-Impfstoffe auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagen. In jedem Einzelfall muss geklärt werden, ob die Impfung tatsächlich hinter ihren Beschwerden steckt. Doch das ist gar nicht so einfach.

von Joachim Budde

Ein Blutgerinnsel ist der Grund dafür, dass Joachim Cäsar-Prellers Mandant auf einem Auge blind ist. Der Rechtsanwalt aus Wiesbaden vertritt den Mann vor dem Landgericht Rottweil. Er fordert 150.000 Euro Schadenersatz vom Impfstoffhersteller Biontech, denn das Gerinnsel ist relativ kurz nach der Corona-Impfung mit dem Vakzin Comirnaty aufgetreten.

Hunderte Klagen werden verhandelt

In den nächsten Wochen und Monaten werden mehr als 200 Klagen von Menschen verhandelt, die in der Impfung die Ursache für alle möglichen Beschwerden sehen. Eine Frage ist dabei immer entscheidend, sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: "Kommt das Ganze jetzt von der Impfung oder ist es ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen?"

Zwei Fläschen mit Covid-19-Impfstoff und Spritzen liegen auf einem Glastisch. © PantherMedia Foto: Ridofranz
AUDIO: Klagen gegen Corona-Impfstoffhersteller (8 Min)

Beschwerden können andere Ursachen haben

Denn all diese Beschwerden können auch nur zufällig nach der Impfung aufgetreten sein und ganz andere Ursachen haben – Virusinfektionen etwa, allen voran mit Sars-CoV-2. Auch wenn Betroffene eine Infektion symptomlos durchgemacht haben, können sie zum Beispiel an Long Covid erkrankt sein. "Zu sagen, dass eine Erkrankung oder eine Komplikation wirklich ursächlich durch die Impfung stattgefunden hat, ist für den Einzelnen fast unmöglich", erklärt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Paul-Ehrlich-Institut sammelt Verdachtsmeldungen

Vor diesem Problem stehen auch die Arzneimittelüberwachungsbehörden. Das Paul-Ehrlich-Institut sammelt deshalb Verdachtsmeldungen schwerwiegender Impfnebenwirkungen und vergleicht die Zahl der gemeldeten Beschwerden damit, wie häufig sie in Zeiten vor der Impfung vorgekommen sind. Übersteigen die Meldungen diese sogenannte Hintergrundinzidenz, schlagen die Arzneimittelüberwacher Alarm.

Weitere Informationen
Nahaufnahme einer Injektionsnadel, im Hintergrund das Logo von Biontech. © picture alliance / CHROMORANGE | Udo Herrmann

Hamburg: Biontech-Prozess um mutmaßlichen Impfschaden verschoben

Der Anwalt der Klägerin hat kurz vor dem geplanten Prozessauftakt einen Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt. mehr

Mögliche Nebenwirkungen bei AstraZeneca

Das hat sehr gut im Frühjahr 2021 funktioniert: Den Behörden war aufgefallen, dass nach Impfungen mit dem Präparat von AstraZeneca häufiger als zu erwarten sogenannte Thrombozytopenien auftraten. Das bekannteste Symptom sind die Sinusvenenthrombosen, die den Blutabfluss aus dem Hirn blockieren können. "Wenn wir das Krankheitsbild kennen, können wir früh etwas unternehmen, um zu verhindern, dass diese Patienten lebensgefährliche Thrombosen bekommen", sagt Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

Beschwerden durch Vektor- und mRNA-Impfstoffe

Inzwischen sind Sinusvenenthrombosen auch bei anderen vektorbasierten Impfstoffen aufgefallen. Bei dieser Gruppe Impfstoffe haben die Arzneimittelüberwacher in seltenen Fällen auch die aufsteigenden Lähmungen des Guillain-Barré-Syndroms beobachtet. Nach Impfungen mit den mRNA-Impfstoffen fiel vor allem bei jungen Männern auf, dass diese Vakzine sehr selten Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen auslösen können - so wie das Virus selbst. Nach einer Virusinfektion treten die Beschwerden jedoch deutlich häufiger auf.

Ideologisch aufgeladen

So schnell diese schweren unerwünschten Impfreaktionen auch dank weltweiter Zusammenarbeit auffielen - in Deutschland ist die Kommunikation darüber schon lange ideologisch aufgeheizt. Das kann nicht nur zu einer Überschätzung des Problems führen. Es ist auch möglich, dass Ärztinnen und Ärzte Verdachtsfälle auf Impfnebenwirkungen zu wenig erfasst haben.

Weitere Informationen
Kinder schlucken mit Impfstoff gegen Polio präparierte Zuckerwürfel, aufgenommen im November 1962 in Baden-Württemberg. © picture-alliance / dpa

Die Geschichte des Impfens und seiner Gegner

1796 entwickelt Edward Jenner gegen Pocken den ersten Impfstoff. Seitdem ist auch die Zahl der Impfgegner immer wieder groß. mehr

Komplikationen auch bei anderen Impfstoffen bekannt

Dabei sind solche Effekte auch bei Impfstoffen gegen andere Erreger bekannt. Beispiel Herzmuskelentzündung: Ein Team der Nationalen Universität von Singapur hat 22 Studien zu Impfnebenwirkungen ausgewertet. Für die Corona-Impfstoffe fanden sie 33 Fälle von Myokarditis auf eine Million Impfdosen. Auch bei Menschen, die sich gegen andere Erreger hatten impfen lassen, lagen die Zahlen in dieser Größenordnung - bei der Pockenimpfung fanden sie sogar ein höheres Risiko für diese Komplikation.

"Impfung bleibt das kleinere Risiko"

Schwere Impfreaktionen bekommen schon seit den ersten Tagen der Impfkampagne große Aufmerksamkeit, zumal sie besonders deshalb auffallen, weil so viele Menschen gleichzeitig geimpft wurden. "Es darf jetzt nicht der Eindruck entstehen, dass die Impfung nicht sicher ist. Wir reden über sehr seltene Ereignisse. Aber weil wir 60 Millionen Menschen geimpft haben, sind das natürlich Tausende Fälle. Es ist so, dass der Impfstoff im Vergleich zum Risiko der Infektion das kleinere Risiko darstellt", erklärt Carsten Watzl von der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Forschung macht Fortschritte bei Biomarkern

Zumal die Forschung Fortschritte bei der Suche nach Spuren im Körper der Betroffenen macht, nach sogenannten Biomarkern. Etwa bei den Sinusvenenthrombosen oder bei den Herzmuskelentzündungen ist das gelungen. Ein großer Fortschritt, findet Neurologe Peter Berlit: "Wenn wir Biomarker haben, also Laborbefunde, bildgebende Befunde, die zeigen, das Beschwerden mit der Impfung in Zusammenhang stehen, erleichtert es die Einordnung als Impffolge. Es hilft uns bei der Wahl einer geeigneten Therapie und auch bei etwaigen juristischen oder versicherungstechnischen Ansprüchen, die Betroffene eventuell stellen."

Weitere Informationen
Ein Pflaster klebt auf dem Arm einer jungen Frau. © Colourbox Foto: Csaba Deli

Corona: Seltenen Impfschäden dank Biomarkern auf der Spur

Steht eine Erkrankung im Zusammenhang mit einer kurz zuvor erhaltenen Corona-Impfung? In den meisten Fällen nein, sagen Studien. mehr

Post-Vac-Syndrom sei durch Impfung möglich

Eine Zeit lang gab es die Vermutung, Corona-Impfungen könnten in seltenen Fällen eine Gürtelrose auslösen. Diesen Verdacht haben Studien jedoch widerlegt. 

Fachleute sind allerdings überzeugt davon, dass die Impfung in sehr seltenen Fällen das sogenannte Post-Vac-Syndrom nach sich ziehen kann, also anhaltende schwere Erschöpfung, wie sie von Post- und Long Covid bekannt ist. Der Immunologe Carsten Watzl fasst den Stand so zusammen: "Bei dem Post-Vac-Syndrom haben wir im Moment das Problem, dass das Paul-Ehrlich-Institut zwar Meldungen bekommen hat, aber wenn ich mir anschaue, wie häufig Menschen auch generell unter chronischen Erschöpfungssyndromen leiden, ausgelöst zum Beispiel durch Infektionen und andere immunologische Ereignissen, dann sehen wir hier noch kein Signal."

Schwierig für Gutachter Zusammenhang nachzuweisen

Daher ist es auch für Gutachter vor Gericht schwierig, einen Zusammenhang wirklich nachzuweisen. Das Gesetz sieht vor, dass sie sich nach dem "aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft" richten. Dazu schauen sie sich die Krankengeschichte der Klägerinnen und Kläger an, ob die Beschwerden zu dem passen, was von der Impfung bereits bekannt ist.

Biontech hält Klage für unbegründet

Beim Impfstoffhersteller Biontech hat sich die Fachabteilung der Arzneimittelsicherheit mit dem Rottweiler Fall befasst. Auf Anfrage teilte eine Sprecherin des Unternehmens mit: "Wir haben die vom Kläger dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf der Grundlage aller zur Verfügung gestellten Informationen sorgfältig geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage unbegründet ist."

Carsten Watzl wirbt darum, die Betroffenen im Blick zu behalten: "Wir hatten eine Notsituation und sind bei den Impfungen relativ zügig vorangeschritten und haben sie sehr propagiert. Dann sollten jetzt die Fälle vor Gericht, auch wenn es nicht hundertprozentig bewiesen ist, dass die Beschwerden direkt von der Impfung kommen, zumindest relativ großzügig entschieden werden."

Weitere Informationen
Ein Mann liegt in Hamburg krank auf einem Sofa. © picture alliance / dpa-tmn Foto: Christin Klose

Mögliche Impfschäden: Selbsthilfegruppe für Post-Vac-Betroffene

In Hamburg wird die erste Selbsthilfegruppe für Post-Vac-Betroffene gegründet. Sie leiden unter Langzeitfolgen einer Corona-Impfung. mehr

Eine Frau mit medizinischer Maske lehnt sich erschöpft an eine Glasscheibe. © picture alliance/Zoonar Foto: Robert Kneschke
8 Min

Long Covid: Mit gezielter Behandlung zurück ins Leben

Mit 40 Jahren geht bei Jenny Wagner plötzlich nichts mehr: Sie leidet unter Long Covid. Als Teilnehmerin einer Studie kämpft sie sich zurück ins Leben. 8 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 03.07.2023 | 07:37 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Coronavirus

Eine junge Frau hält ein Tablett-PC auf dem man den NDR-Info Newsletter sieht. © NDR Foto: Christian Spielmann

Abonnieren Sie den NDR Newsletter - die Nord-News kompakt

Mit dem NDR Newsletter sind Sie immer gut informiert über die Ereignisse im Norden. Das Wichtigste aus Politik, Sport, Kultur, dazu nützliche Verbraucher-Tipps. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Ein Riesenrad dreht sich bei der Kieler Woche 2024. Im Hintergrund fährt das Kreuzfahrtschiff "Mein Schiff 7". © picture alliance/dpa Foto: Daniel Bockwoldt

3,5 Millionen Menschen feiern friedlich auf Kieler Woche

Nur 38 Straftaten zählte die Bundespolizei bis Sonntagmittag. Kiels Oberbürgermeister Kämpfer sprach von einem friedlichen Fest. mehr