Mehr Teilhabe durch Brain-Computer-Interfaces
Maschinen mit dem Gehirn steuern - das ist in vielen Bereichen schon Realität und könnte Menschen mit Einschränkungen helfen, wieder am Leben teilzuhaben. Auch unsere Arbeitswelt wird sich durch die Technologie verändern.
Die Aktivitäten des eigenen Körpers zu messen, ist für viele von uns längst Alltag. Der Schrittzähler begleitet uns beim Spazierengehen. Sportler kontrollieren Herzfrequenz und Blutwerte. Aber auch die Hirnaktivität gerät zunehmend in den Blick. Noch messen Stirnbänder lediglich die Konzentrationsfähigkeit.
Die Neuroinformatik arbeitet aber bereits an Schnittstellen zwischen Gehirn und Maschine. Seit rund zehn Jahren macht die Wissenschaft beim Brain-Computer-Interface (BCI) große Fortschritte. Dabei werden elektrische Signale aus dem Hirn ausgelesen. Das geschieht über implantierte Sensoren oder auf der Kopfhaut klebende Elektroden. Die so abgefangenen Impulse dienen als Befehle, um Roboterarme oder Sprachprogramme zu steuern.
Einsatzmöglichkeiten noch begrenzt
Hilfreich ist das vor allem für Menschen, die sich nicht bewegen können - zum Beispiel Wachkoma-Patienten oder Querschnittsgelähmte. Für rund 1.500 Hochgelähmte unter ihnen komme die Technologie infrage, so Frank Rainer Abel von der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland. Für viele andere gebe es bereits wesentlich einfachere Möglichkeiten, ihren Rollstuhl zu steuern - zum Beispiel mit dem Kinn oder dem Mund.
Alltagstauglich ist die BCI-Technologie allerdings noch nicht, räumt Rüdiger Rupp vom Universitätsklinikum Heidelberg ein. Implantierte Sensoren funktionieren nach wenigen Jahren nicht mehr. Beim Entfernen werde außerdem Hirngewebe beschädigt. Rupp erforscht stattdessen den Einsatz von Elektroden-Hauben und Neuroprothesen. Grob sei das schon möglich.
Vision: Roboter werden zu Helfern im Alltag
Schon jetzt gibt es frei verkäufliche EEG-Stirnbänder, die die Hirnaktivitäten messen. Sie nennen sich Muse, Emotiv oder NeuroSky und sollen beim Meditieren helfen oder die Schlafqualität verbessern. Für die Neuroinformatikerin Andrea Finke ist vieles davon Spielerei. Die Forschung sei schon weiter. Finke versucht, die Hirnaktivität zu entschlüsseln: "In diesen elektrischen Spannungen sind die Informationen über unsere Gedanken codiert. Diese zu extrahieren ist eine technisch sehr große Herausforderung. Dank immer besserer Sensortechnik gelingt das aber immer mehr."
Die Wissenschaftlerin der Universität Bielefeld untersuchte das sogenannte Brain-Computer-Interface schon seit ihrer Diplomarbeit. "Ich habe auch schon Studien mit humanoiden Robotern gemacht, die menschenähnlich über Arme und Beine verfügen. Das ist zwar noch eine visionäre Sache, aber wir machen dabei gerade entscheidende Schritte." Finke geht davon aus, dass die Hirn-Computer-Schnittstelle in Zukunft nicht nur für den medizinischen Bereich von Interesse sein wird, sondern auch im Alltag gesunder Menschen zur Anwendung kommen wird. Beispielsweise könne man in Pandemie-Zeiten einen Roboter zum Meeting schicken, statt selbst hinzugehen.
Einsatz in Arbeitswelt kritisch hinterfragen
Mit solchen Zukunftsvisionen setzt sich auch der Berliner Verein Cyborgs e.V. auseinander. Der Verein versteht sich als kritischer Begleiter der Verschmelzung von Mensch und Technik. Gründungsmitglied und Anwältin Katrin Kirchert begrüßt die Forschung grundsätzlich: "Wenn Freiwilligkeit und Individualität auch wirklich berücksichtigt werden, bin ich bei Forschung auf der Seite der Befürworter*innen. Nicht jeder Mensch, der querschnittsgelähmt ist, muss sich in Zukunft damit versorgen lassen. Man kann es auch ablehnen."
Diese Freiwilligkeit muss es aus Kircherts Sicht auch künftig zwingend geben. Sonst sieht sie zum Beispiel die Gefahr, dass Firmen nur noch auf technisch aufgerüstetes Personal mit Implantat oder EEG-Haube setzen könnten: "Das würde ja bedeuten, dass alle Menschen, die sich weigern oder bei denen das aus medizinischer Sicht nicht geht, Beschäftigte zweiter Klasse werden oder einfach gar nicht mehr eingestellt werden. Das ist etwas, das wir in unserer Gesellschaft gar nicht wollen."
Große Player wie Facebook-Chef Zuckerberg oder Tesla-Chef Musk investieren bereits in die Technologie. Diese wird die Welt verändern, ist sich Forscherin Andrea Finke sicher: "Sicherlich werden wir da in den nächsten zehn Jahren Erfolge sehen, die wir uns jetzt vielleicht noch gar nicht vorstellen können."