Stand: 24.06.2019 08:08 Uhr

"Jugend debattiert" fördert sachlichen Meinungsaustausch

von Niklas Schenk, NDR Info

Unsere Demokratie lebt von der Debatte. Sie ist in Gefahr, wenn Menschen nicht mehr miteinander reden oder ein friedlicher Austausch von Meinungen abgelehnt wird. Drohungen und Gewalt - unter anderem gegen Politiker - sind ein Tiefpunkt. Wie kann das konstruktive Streiten funktionieren? Das zeigt ein besonderes Projekt, der Wettbewerb "Jugend debattiert", den es inzwischen seit 18 Jahren gibt. Die NDR Info Perspektiven waren beim Bundesfinale in Berlin dabei.

Schüler in einer Diskussion im Rahmen von "Jugend debattiert". © Jugend debattiert/Hertie-Stiftung
Moritz Junge, Anabel Wächter, Emma de Bourdeille und Clemente Vargas (von links) debattieren im Finale miteinander.

Sie streiten auf der Bühne, über ein aktuelles politisches Thema - hochkonzentriert, sachlich und auf den Punkt. Die vier jungen Leute stehen im Finale des Wettbewerbs "Jugend debattiert" in Berlin. In dieser Runde geht es um Partei-Empfehlungen vor der Wahl. "Unsere Maßnahme sieht vor, dass zehn Tage vor der Wahl keine Wahl-Empfehlungen mehr ausgesprochen werden dürfen", sagt die eine Position. Und weiter: "Wo beginnt der Unterschied zwischen einem Kommentar und einer Wahlempfehlung? Ich kann mich trotzdem klar ausdrücken und muss nicht direkt sagen, wählt diese Partei nicht und trotzdem wird klar, dass ich mich gegen die Partei ausspreche." Die Gegenseite vertritt dazu einen anderen Standpunkt: "Wenn jeder seine Wahl-Empfehlung äußern kann und diese begründen kann, dann kann eine politische Debatte meiner Meinung nach erst stattfinden." Ausgangspunkt der Diskussion war das Video des Youtubers Rezo, das vor der Europawahl veröffentlicht wurde - ein aktuelles Thema.

Trainiert wurde vorweg an den Schulen

Schüler in einer Diskussion im Rahmen von "Jugend debattiert". © Jugend debattiert/Hertie-Stiftung
Joshua Steib und Miriam Witt bei der Finaldebatte in ihrer Altersgruppe.

Um hierher zu kommen, mussten die Jugendlichen mehrere Monate in Runden an ihrer Schule, auf regionaler und schließlich auf Landesebene überzeugen. Lena Bickel weiß, wie das ist. Die 18-Jährige aus Scharnebeck in Niedersachsen sitzt im Publikum. Vor drei Jahren hat sie selbst oben auf der Bühne debattiert. "Wir stehen dort vor einem weißen Blatt Papier. Das war für mich auch zunächst mal eine große Herausforderung zu wissen, dass ich alles was ich im Kopf habe, gleich einbringen kann, ohne mich am geschriebenen Wort festzuhalten. Eine sehr gute Übung, spontan und frei vor großen Gruppen zu sprechen."

Sachlich miteinander reden kann man lernen

Schüler in einer Diskussion im Rahmen von "Jugend debattiert". © Jugend debattiert/Hertie-Stiftung
"Jugend debattiert" verbindet ein Training für Lehrende als Vorbereitung auf die Unterrichtsreihe mit einem Training für Schülerinnen und Schüler im Unterricht.

Es brauche für die Debatte in der Demokratie genau dies: Mut, öffentlich das Wort zu ergreifen, so Ansgar Kemmann von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der "Jugend debattiert" entwickelt hat. Und den Mut bekämen die Jugendlichen nach und nach, durch ihre Erfahrungen beim Argumentieren. "Wir möchten junge Leute animieren, Streit nach Regeln zu führen. Das ist gar nicht einfach. Darauf muss man sich vorbereiten. Und Vorbereitung braucht entsprechende sprachliche Fertigkeiten, die aber jeder erwerben kann."

Von Angesicht zu Angesicht statt anonym im Netz

Schüler in einer Diskussion im Rahmen von "Jugend debattiert". © Jugend debattiert/Hertie-Stiftung
Die Finalistinnen und Finalisten verschiedener Altersgruppen wurden von Karin Prien (3.v.l.), Schleswig Holsteins Bildungsministerin, geehrt.

Es beginnt im Unterricht an einer der mehr als 1.200 weiterführenden Schulen, die an dem Debattier-Programm teilnehmen. Die erfolgreichsten Schülerinnen und Schüler aus Region und Land erhalten Trainings, um ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln - um es im besten Fall bis nach Berlin ins Bundesfinale zu schaffen. Die Debatten folgen genauen Regeln. Ob sie pro oder contra argumentieren, wüssten sie nicht lange im Voraus, erklärt die frühere Finalistin aus Niedersachsen Lena Bickel. Das mache es spannend. Es schult auch das Zuhören. Sich direkt miteinander austauschen, um diese Kompetenz gehe es, so Ansgar Kemmann. "Im Internet gibt es die Möglichkeit, sich mit hasserfüllter Rede anzugreifen, ohne dass man einander sieht. Ich glaube, es ist entscheidend, dass man sieht, was man anrichtet mit seinen Worten. Dafür ist es wichtig, die Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht zu lernen."

Das bringe das Programm Jugendlichen über die Schulen bei. Emma de Bourdeille, 16 Jahre alt, die das Finale von "Jugend debattiert" gewonnen hat, erzählt, dass sich für sie schon etwas verändert hat. "Ich merke, dass ich vielmehr auch mit Leuten im Alltag anfange zu debattieren und zu diskutieren und der Punkt, wo Politik in den Alltag integriert wird, ist ein ganz entscheidender, und ich glaube, da wird ein großer Schritt getan, der auch bei mir getan worden ist."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 24.06.2019 | 08:08 Uhr

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