Free Media Awards: Preise für mutigen Journalismus in Osteuropa übergeben
Die Hamburger Zeit-Stiftung Bucerius und die norwegische Stiftung Fritt Ord wollen mit den Free Media Awards den Blick auf Journalistinnen und Journalisten in Osteuropa lenken, die unter größten Schwierigkeiten und Gefahren arbeiten. In Oslo sind die Preise nun überreicht worden.
Im Nobel-Institut in Oslo wurden am Dienstag sechs Journalistinnen und Journalisten sowie Redaktionen mit dem Free Media Award 2024 für ihre investigative und unabhängige Berichterstattung und ihren Kampf um Pressefreiheit geehrt. Zwei der Journalist:innen sind derzeit in Russland und Belarus inhaftiert. Zu der Zeremonie in Norwegens Hauptstadt konnten deshalb nur vier der sechs Preisträger:innen persönlich anreisen.
"Unabhängiger Journalismus ist die Grundlage der Demokratie"
"Die Verleihung der Free Media Awards bekräftigt die Wertschätzung und Anerkennung derjenigen, die sich jeden Tag unermüdlich für die Informationsfreiheit und die Wahrheit einsetzen", sagte Manuel Hartung, Vorstandsvorsitzender der Zeit-Stiftung Bucerius. "Unabhängiger Journalismus ist die Grundlage der Demokratie. Demokratische Gesellschaften beruhen auf einem gemeinsamen Verständnis dessen, was richtig und was falsch ist, was Fakt ist und was Fiktion."
Die Geehrten recherchieren investigativ und decken Korruption auf, sie lassen sich in der Berichterstattung nicht von ihren Regierungen einschüchtern und halten kritische Distanz. Wir stellen die Preisträger und Preisträgerinnen hier vor.
Mikhail Afanasiev aus Russland - in Haft
Mikhail Afanasiev wurde kurz nach Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine verhaftet: Der Journalist hatte einen Bericht über Mitglieder der russischen Nationalgarde veröffentlicht, die sich weigerten, in der Ukraine zu kämpfen. Nach dem kurz zuvor im März 2022 von Präsident Wladimir Putin erlassenen, verschärften Mediengesetz galt das als "Falschinformation über die russische Armee" - eine strafbare Handlung.
Afanasiev saß lange Zeit ohne Prozess in Haft. Erst im Herbst 2023 verurteilte ihn ein russisches Gericht zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis. Der Gründer des russischen Online-Magazins "Novy Fokus" (Neuer Fokus) war den Behörden wohl schon länger ein Dorn im Auge. Seit 25 Jahren kämpft der Investigativ-Journalist für freie Berichterstattung in Russland. Mit seinen Recherchen deckte er Korruption, organisierte Kriminalität und Behörden-Willkür auf. Wegen seiner Enthüllungen über kriminelle Banden und der Untätigkeit der Behörden, diese zu verfolgen, wurde der Journalist häufig massiv bedroht und mit Gerichtsverfahren überzogen.
Mit dem Gerichtsurteil untersagte das Gericht Afanasiev nach seiner Haftentlassung für mindestens zweieinhalb Jahre die Arbeit als Journalist. Während er in Haft sitzt, schloss die russische Medienaufsicht 2023 sein Online-Magazin wegen "zahlreicher Verstöße". 2004 bekam Mikhail Afanasiev den russischen Andrej-Sacharow-Preises für "Journalismus als Akt des Gewissens".
Die Redaktion von Bihus.info aus der Ukraine
Das gemeinnützige Recherche-Kollektiv Bihus.info recherchiert und berichtet über Korruption in der Ukraine, darunter eine Serie von Enthüllungen über Verträge der ukrainischen Regierung mit dubiosen Firmen, die in Verbindung mit hochrangigen Politikern stehen. Seit der russischen Invasion recherchiert die Redaktion zu Kriegsverbrechen an der Front und dokumentiert diese. Auch dafür bekommt Bihus.Info einen Free Media Award.
2013 gründete der Ukrainer Deny Bihus das TV-Programm zur Veröffentlichung von Recherchen um Dokumente, die der ehemalige Präsident Viktor Janukowitsch und seine "Freunde" nach der "Orangenen Revolution" in der Ukraine vernichtet hatten. Deny Bihus versteht es als seine Mission, bedrohte Pressefreiheit in der Ukraine zu benennen. Sein Team hat eine Suchmaschine entwickelt, die offene Register und Datenbanken in der Ukraine kombiniert und so Informationen für eine breite Öffentlichkeit zugänglich macht.
Bihus.info wurde immer wieder mit Klagen überzogen, um die Rechercheure mundtot zu machen, konnte das aber bisher immer wieder abwehren und bietet inzwischen auch anderen Journalisten in solchen Fällen juristischen Beistand an.
Szabolcs Panyi aus Ungarn
Szabolcs Panyi ist Investigativ-Journalist in der ungarischen Nachrichtenredaktion Direkt36. Er recherchiert und berichtet über Korruption und Themen, die Behörden gern verstecken. Panyi war am "Pegasus-Projekt" beteiligt, das die Überwachung von Journalisten und Regierungskritikern in Ungarn aufdeckte. Dabei war der Journalist selbst Opfer staatlicher Überwachung.
Die Situation von Journalisten in Ungarn kommentiert Panyi so: "Als ich geboren wurde, war der Kommunismus noch allgegenwärtig. Bürger:innen wurden bespitzelt, Journalismus in Propaganda verwandelt und Andersdenkende zum Schweigen gebracht. Ich hatte das Glück, Journalist zu werden, als diese Ära schon ein Kapitel der Vergangenheit war. Aber diese Schatten kommen schleichend zurück. Und es ist unsere Pflicht, sie zu beleuchten, bevor sie wieder um sich greifen."
Im Vorfeld der slowakischen Präsidentschaftswahlen 2024 machte der Investigativ-Journalist auf die russische und ungarische Einmischung in die slowakische Politik aufmerksam.
Bereits 2017 hatte Panyi VSquare.org mitgegründet, eine grenzüberschreitende Initiative für investigativen Journalismus in der Visegrád-Region. Deren Ziel: unabhängigen Journalismus gegen den zunehmenden Einfluss von Regierungen auf Medien in der Region zu stärken. Panyi wird mit einem Free Media Award wegen seiner unerschrockenen Recherchen gegen alle Restriktionen ungarischer Behörden ausgezeichnet.
Larisa Shchyrakova aus Belarus - in Haft
Die belarussische Journalistin ist ehemalige Lehrerin und Quereinsteigerin im Journalismus. Sie arbeitete freiberuflich für eine Reihe unabhängiger Medien und Publikationen, die über die Repressionen der Regierung unter Präsident Alexander Lukaschenko berichteten und drehte Dokumentarfilme unter anderem für Belsat TV, ein kritisches Oppositionsmedium.
Bekannt geworden war Shchyrakova unter anderem mit dem Projekt "Die Ermordeten und Vergessenen", für das sie die Aussagen von Angehörigen unterdrückter Dissident:innen aufzeichnete und veröffentlichte. 2020 berichtete sie kritisch über den Umgang des Regimes mit der Corona-Pandemie, in diesem Zusammenhang auch über unterdrückte Proteste.
2022 wurde sie verhaftet, seitdem sitzt sie im Gefängnis. Der Vorwurf: Sie habe Desinformation im Internet verbreitet und diskreditiere Belarus. Die belarussischen Behörden stufen sie infolgedessen als "extremistisch aktiv" ein. Ein Gericht verurteilte sie zu dreieinhalb Jahren Haft in einer Strafkolonie. Dabei hatte Shchyrakova ihre journalistische Tätigkeit aufgrund von massiven Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen ein Jahr zuvor bereits beendet - auch, um ihren Sohn und die Familie zu schützen.
Nastasia Arabuli aus Georgien
Die georgische Journalistin Nastasia Arabuli erhält einen Free Media Award für furchtlosen, unabhängigen Journalismus. Arabuli hat die Machtstrukturen in ihrem Heimatland wirksam infrage gestellt, indem sie im Programm des Tifliser Senders Radio Free Europe/Radio Liberty Machtmissbrauch aufdeckte. Kürzlich wirkte die Journalistin zudem an einer umfassenden Untersuchung von sexuellem Missbrauch mehrerer junger Frauen in der georgisch-orthodoxen Kirche mit.
Arabuli gilt außerdem als eine der entschiedensten Verfechter:innen der Rechte von LGBTQ+-Menschen in Georgien. Im Zusammenhang mit der Einführung des "Ausländische-Agenten-Gesetzes" und den Protesten dagegen im Frühjahr 2024 berichtete sie ausführlich über von Behörden ausgeübte Ungerechtigkeiten. Derzeit führt Arabuli im Vorfeld der für den 26. Oktober 2024 angesetzten Parlamentswahlen in Georgien eine Reihe von tiefgreifenden Interviews mit führenden Politiker:innen, Aktivist:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft.
In den zurückliegenden Jahren dokumentierte Arabuli darüber hinaus die systematische Verfolgung unabhängiger Stimmen in georgischen Kultureinrichtungen und machte auf die Kontrollstrategien der Behörden durch Propaganda und Diskreditierungskampagnen aufmerksam.
Die frisch ausgezeichnete georgische Preisträgerin wird am 15. Oktober 2024 zu Gast bei der Hamburger Woche der Pressefreiheit sein.
Abzas Media aus Aserbaidschan
Die unabhängige aserbaidschanische Nachrichtenplattform erhält den Free Media Award für ihren entschlossenen und systematischen Investigativ-Journalismus. Im Jahr 2016 von einer Gruppe junger Aktivist:innen und Journalist:innen gegründet, gewann Abzas Media schnell ein großes Publikum über Social Media. Heute ist das Medienunternehmen vor allem für seine Berichterstattung über staatliche Korruption bekannt. So untersuchte das Team beispielsweise die staatliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau zerstörter Dörfer und Städte in der Region Karabach.
Abzas Media deckt außerdem wiederholt Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan auf und verfolgt klare journalistische Grundsätze, wenn es um die Berichterstattung über Gerichtsverfahren oder die Kämpfe von marginalisierten Gruppen und der politischen Opposition geht. Im Herbst 2023 verhafteten die aserbaidschanischen Behörden sechs hochkarätige Journalist:innen und Redakteur:innen aus der Redaktion, die wegen angeblichen Schmuggels und "Verschwörung zur illegalen Einfuhr von Geld" angeklagt wurden. Im August folgten sieben weitere Anklagen gegen die inhaftierten Teammitglieder, denen nun bis zu zwölf Jahre Haft drohen.
Die aserbaidschanische Investigativ-Journalistin Leyla Mustafayeva wurde im Februar 2024 von dem inhaftierten Redaktionsteam zur Interims-Chefredakteurin ernannt. Daraufhin kündigten ein neues Untersuchungsteam aus im Exil lebenden Journalist:innen und Abzas Media an, dass die Plattform ihre Aktivitäten von außerhalb Aserbaidschans fortsetzen wird.