Cannabis am Steuer: "Die Fallzahlen werden drastisch ansteigen"
Im Zuge der geplanten Legalisierung von Cannabis könnte es auch neue Regeln fürs Autofahren geben. Experten streiten darüber, ob ein neuer Grenzwert ähnlich der Promillegrenze bei Alkohol eingeführt werden soll.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sieht die geplante Legalisierung von Cannabis mit Sorge. "Wir rechnen bei der Polizei damit, dass die Fallzahlen drastisch ansteigen werden", sagte Marco Schäler von der DPolG im NDR Info Live zum Thema "Bekifft am Steuer - Null Toleranz für Cannabis?". Schäler schilderte, was Polizisten bei Kontrollen im Straßenverkehr häufig bei Cannabis-Konsumenten feststellen: "Träge Reaktionen, Müdigkeit, verlangsamte Reaktionen auch gegenüber den Polizisten, das erfahren wir immer wieder." Um einen Cannabis-Konsum nachzuweisen, wird bei Kontrollen auf den Wirkstoff THC getestet. "Auch Personen mit einem geringen THC-Wert zeigen erhebliche Auffall-Erscheinungen oder in Teilen sogar Ausfall-Erscheinungen, die mit dem Straßenverkehr nicht vereinbar sind", sagte Schäler. Er machte deutlich, dass die Polizeigewerkschaft eine Anhebung des bislang angewendeten THC-Grenzwerts ablehnt. Dieser liegt aktuell bei 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (ng/ml).
Cannabis wirkt ganz anders als Alkohol
Der Rechtsmediziner Stefan Tönnes vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main erklärt in dem Livestream von NDR Info, dass Cannabis auf jeden anders wirke. Aber festzuhalten sei: Cannabis wirke als Rauschmittel ganz anders im menschlichen Körper als Alkohol. Und: "Die Hauptwirkung von Cannabis findet in den ersten beiden Stunden statt", sagt Tönnes. Er ist Mitglied in einer Experten-Kommission, die im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums einen THC-Grenzwert auf wissenschaftlicher Basis vorschlagen soll. Dies sei aber gar nicht so einfach, so Tönnes. Als Faustregel nannte er: Wer gelegentlicher oder seltener Konsument ist (1 Mal die Woche oder seltener), bleibt bei dem Grenzwert von 1 ng/ml auf der sicheren Seite, wenn er sich eine bestimmte Zeit nicht ans Steuer setzt. "Denn nach 8 bis 10 Stunden liegt die THC-Konzentration sicherlich unter 1 ng/ml", so der Wissenschaftler. Nur wer häufiger Cannabis konsumiere, könnte für längere Zeit über dem Grenzwert liegen.
Die Forderung nach einer Anhebung des Grenzwertes halte er für berechtigt, sagte Tönnes, ohne sich dabei auf einen bestimmten Grenzwert festzulegen. Er sagte aber auch: Wer als Gelegenheits-Konsument bekifft Auto fährt, könne ein erhebliches Risiko für den Straßenverkehr darstellen.
Mindestens 500 Euro Bußgeld
Das Verbot, bekifft Auto zu fahren, ist in Paragraf 24a des Straßenverkehrsgesetzes geregelt. Anders als bei Alkohol sind aber keine Grenzwerte für Cannabis festgelegt. Bereits der Nachweis einer geringen Menge THC reicht also für eine Ordnungswidrigkeit. Aus der regelmäßigen Rechtsprechung lässt sich ableiten: Ab 1,0 ng/ml begeht der Fahrer beziehungsweise die Fahrerin eine Ordnungswidrigkeit. Und das kann teuer werden: Mindestens 500 Euro Bußgeld sind fällig, zudem ein monatelanges Fahrverbot, zwei Punkte in Flensburg und - im schlimmsten Fall - der Entzug der Fahrerlaubnis. Laut Bundesgesundheitsministerium haben zuletzt 8,8 Prozent aller Erwachsenen im Alter von 18 bis 64 Jahren mindestens einmal pro Jahr Cannabis konsumiert. Das sind rund 4,5 Millionen Frauen und Männer.
Verkehrsminister Wissing will klare Grenzwerte für Cannabis
Seit Langem diskutieren Expertinnen und Experten darüber, ob ein Grenzwert eingeführt werden soll. Im Zuge der geplanten Legalisierung von Cannabis ist die Debatte aktueller denn je. Der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf wird im Herbst im Bundestag und im Bundesrat beraten. Das Gesetz könnte Anfang 2024 in Kraft treten.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will nun - ähnlich wie beim Alkohol - klare Grenzwerte für Cannabis festlegen. "Wir prüfen, wie die Grundlage für einen Grenzwert für Cannabis im Rahmen der Ordnungswidrigkeitenvorschrift des § 24a Straßenverkehrsgesetz auf wissenschaftlicher Basis ermittelt und geschaffen werden kann", so eine Sprecherin des Ministers.
Grenzwerte für Cannabis: Wissenschaftler uneins
Doch es ist gar nicht so einfach, einen solchen Grenzwert auf wissenschaftlicher Basis festzulegen. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hat im Jahr 2022 festgestellt: Es werde schwierig bis unmöglich sein, wie beim Alkohol einen Wert festzulegen, der auf nachweisbaren Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit fußt.
ADAC fordert "unzweifelhaften Grenzwert"
Der ADAC begrüßt den Plan der Bundesregierung, Grenzwerte für THC auf wissenschaftlicher Grundlage zu ermitteln. "Wir brauchen wie bei Alkohol einen unzweifelhaften Grenzwert, der sich ausschließlich an den Auswirkungen von Cannabis im Straßenverkehr orientiert", sagt Markus Schäpe, Leiter der ADAC Rechtsabteilung. Bei Fahranfängern spricht sich der ADAC hingegen dafür aus, dass die aktuelle, strengere Regelung mit dem in der Rechtsprechung angewendeten Wert von 1 ng/ml bestehen bleibt. Für alle anderen solle ein Grenzwert gelten, ab dem die Verkehrssicherheit "erwartbar schlechter" wird.
"Cannabis am Steuer gefährdet die Verkehrssicherheit"
Die Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland (VOD) fordert: Das Führen von Kraftfahrzeugen nach dem Konsum von Cannabis müsse verboten bleiben. "Die steigenden Unfallzahlen infolge des Einflusses von berauschenden Mitteln muss ein Weckruf sein", so die VOD-Vorsitzende Silke von Beesten. "Eine Liberalisierung von Cannabis auch am Steuer gefährdet die Verkehrssicherheit und trifft oft Unbeteiligte."
Sonderfall: Wenn der Arzt Cannabis verschreibt
Auch Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen und somit seit 2017 völlig legal zu sich nehmen, dürfen sich nicht ohne Weiteres ans Steuer eines Autos setzen. Sie müssen zunächst eine fachärztliche Untersuchung abschließen. Die Führerscheinstelle prüft zudem die reguläre Fahreignung, sie muss also über die Einnahme von medizinischem Cannabis informiert werden. Geschieht das nicht und bei einer Polizeikontrolle im Straßenverkehr schlägt ein Drogentest an, sind auch Cannabis-Patienten nicht vor einem Bußgeld oder sogar dem Führerschein-Entzug gefeit.