Sendedatum: 12.03.2020 12:55 Uhr

(12) Coronavirus-Update: Schulen schließen und Gemeinden unterstützen

Immer mehr Länder haben sich dem Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn angeschlossen und verbieten Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern.

Außerdem gibt es immer mehr Reiseeinschränkungen. Die neueste: Europäer dürfen nicht mehr in die USA reisen. Das sind seit gestern Abend die neuesten Entwicklungen in Sachen Corona.

Über diese und andere Themen reden wir auch heute wieder mit Christian Drosten, dem Leiter der Virologie an der Berliner Charité.

Der Virologe Prof. Christian Drosten © picture alliance/Christophe Gateau/dpa Foto: Christophe Gateau

(12) Schulen schließen und Gemeinden unterstützen

Sendung: Das Coronavirus-Update von NDR Info | 12.03.2020 | 13:55 Uhr | von Anja Martini
32 Min

Eine Studie lässt Christian Drosten umdenken: Auch Schulschließungen könnten die Epidemie verlangsamen. Außerdem: mehr Unterstützung für kleine Kliniken, neue Labortests

Die zentralen Fragen der Folge im Überblick

Heute sitzen die deutschen Kultusminister zusammen. Es soll beraten werden, Schulen im großen Stil zu schließen. Was raten Sie den Ministern?

Würden Sie in der aktuellen Situation raten, auf Partys, Clubs und Geburtstagsfeiern zu verzichten?

Schauen wir auf die kleinen Kliniken auf dem Land. Die haben oft keine Labore mehr. Ihr Vorschlag, das Personal täglich zu testen, könnte dort schwieriger werden. Wie können sie dieses Problem, was da auf uns zukommt, wuppen?

Großveranstaltungen meiden, die Kinder nicht zu Oma und Opa bringen. Einschränkung dieser Art für zwei bis drei Wochen sind okay, das kann man schaffen. Aber wie lange wird es denn in Wirklichkeit dauern? Gibt es da eine Prognose?

 

Podcast: Coronavirus-Update
Der Virologe Prof. Christian Drosten und die Virologin Prof. Sandra Ciesek (Montage) © picture alliance/dpa, Universitätsklinikum Frankfurt Foto: Christophe Gateau,

Coronavirus-Update: Der Podcast mit Drosten & Ciesek

Hier finden Sie alle bisher gesendeten Folgen zum Nachlesen und Nachhören sowie ein wissenschaftliches Glossar und vieles mehr. mehr

Anja Martini: Herr Drosten, ist das Einreiseverbot die richtige Entscheidung von US-Präsident Trump, um sein Land zu schützen?

Christian Drosten: Na ja, was er da macht, ist natürlich eine Art von Informationspolitik, die keiner Grundlage entspricht. Es ist ja klar, dass die Vereinigten Staaten viel zu spät angefangen haben zu testen und deswegen jetzt nicht wissen, wie viele Fälle sie im Land haben. Kollegen, die ich in den USA kenne, sagen mir, das Virus ist schon längst überall. Aber man kann das im Moment nicht in breiter Fläche nachweisen. Das liegt daran, dass es da regulative Hürden gegeben hat in den USA, im Aufbau von Testkapazitäten. Und so kann er jetzt natürlich leicht mit dem Finger auf die Europäer zeigen, die zum Teil recht hohe Fallzahlen durch konsequente Testung jetzt schon herausgestellt haben.

Anja Martini: Ist es der richtige Weg oder ist es ein bisschen übertrieben?

Christian Drosten: Was die Vereinigten Staaten da mit der Einreisebeschränkung aus Europa machen, ist nicht zielführend. Wir haben sicherlich in Europa nicht mehr Fälle als in den USA. Wenn man richtig testen würde, dann würde man sehen, dass die USA schon längst sehr viele Fälle haben. Das ist auch logisch, denn in die USA war die Einreise aus China im Januar viel stärker als nach Europa.

Anja Martini: Warten wir ab, wie sich dieses Szenario entwickelt. Schauen wir nach Deutschland, zu unseren Kultusministern, die heute zusammensitzen. Es soll darum gehen, Schulen zu schließen, und zwar wirklich in großem Stil. Das soll da heute beraten werden. Was raten Sie denen?

Christian Drosten: Wir haben ja gestern auch schon kurz darüber gesprochen. Auch in den in vergangenen Folgen haben wir das Thema schon angesprochen. Es ist eben so, dass wir hier ganz unterschiedliche Effekte haben, die gegeneinander spielen. Wir wollen alle, dass sich die Infektionswelle abflacht und in die Länge zieht. Wir wollen andererseits aber die Arbeitskraft im Land nicht schädigen. Das ist hier der Kompromiss. Aus dieser Überlegung hatten wir gestern zum Beispiel darüber gesprochen, dass man mit Schulschließungen ja nur eine kleine Alterskohorte erreicht und dass man sich gut überlegen muss, was man damit ansonsten macht. Denn viele Eltern sind dann davon betroffen und können nicht zur Arbeit gehen. Das wirkt noch stärker in dem Bereich von Kindergärten und Kitas.

Eltern müssen weiter arbeiten

Um das noch mal zu sagen: Gerade in den wichtigsten Bereichen der Medizin, also auf der Intensivstation, in der Kindermedizin, in der Neonatologie, aber auch im Ambulanzbereich haben wir einen erheblichen Frauenüberschuss. Und das sind vielfach junge Frauen. Die haben als Mütter häufig keine Wahl. Wenn die Kitabetreuung wegfällt, können die nicht zur Arbeit gehen. Da hätten wir also einen großen Folgeschaden angerichtet, wenn wir einfach so von heute auf morgen Kitas schließen würden – ohne weitere Bestimmungen oder ohne weitere Maßnahmen. Das ist auch in der Charité eine ganz große Sorge, wenn wir mit Planungsgremien zusammensitzen. Was machen wir denn, wenn die Kitas nicht mehr aufmachen? Wir überlegen, was wir tun können. Wir überlegen, ob wir vielleicht innerhalb der Charité eine Kita erweitern. Es gibt natürlich Kitas in der Charité, aber die Kapazität reicht dann natürlich nicht aus. Die Charité ist jetzt noch eine besonders sensible Firma, denn das ist Medizin, und das gilt für alle Kliniken. Aber andere Firmen im Wirtschaftsleben werden sich die gleichen Gedanken machen. Das Problem ist natürlich umso größer, je jünger die Kinder sind. Kita, Kindergarten und Grundschule sind da sicherlich vulnerabler als die älteren Schuljahrgänge. Auf der anderen Seite ist die Überlegung: Die Schulen sind nicht nur ein kleiner Ausschnitt aus der Bevölkerung, sondern das ist auch ein besonders vernetzter Ausschnitt.

Neue Bewertung des Themas Schulschließung

Es gibt eine Kollegin aus den USA, die ist deutschstämmig, Anna Kaiser. Die hat mir gestern Abend einen sehr wertvollen wissenschaftlichen Artikel zugeschickt, den ich nicht kannte. Da geht es um die Spanische Grippe und um eine Analyse von Maßnahmen nicht-pharmazeutischer Art in 43 amerikanischen Städten. Das ist eine Literaturauswertung. Da geht es darum, was in diesen Städten eigentlich passiert ist, in Form von Sterblichkeit, nachdem man unterschiedliche Maßnahmen gemacht hat.

Die Konsequenz des Papers ist: Es nützt extrem viel, zwei oder mehr Maßnahmen zu kombinieren. Veranstaltungsstopp und Schulschließungen in Kombinationen sind extrem effizient – vor allem, wenn man das mehr als vier Wochen durchhält. Und dann je früher, desto besser. Man kann also sagen: Amerikanische Städte zur Zeit der Spanischen Grippe haben am meisten davon profitiert, wenn der Bürgermeister schnell gesagt hat: „Alle Schulen zu, keine Veranstaltungen mehr, und zwar sofort!“ Das müssen wir sehr ernstnehmen.

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Der Virologe Prof. Christian Drosten © picture alliance/Christophe Gateau/dpa Foto: Christophe Gateau

(12) Schulen schließen und Gemeinden unterstützen

Themen: Schulschließungen, Risikogruppen schützen, USA, Tests - vor allem in kleinen Kliniken, weitere Maßnahmen Download (98 KB)

Die Kollegin hat mir auch Argumente dazu geschrieben, die ich sehr ernst nehme und sofort verstehe. Wie zum Beispiel, dass in sozialen Netzwerken Schüler Brückenfunktionen ausüben zwischen Altersgruppen. Ältere und Jüngere spielen oder beschäftigen sich mit Schülern. Mein Argument, was ich gestern gebracht habe, dass die Schüler sich sowieso dann zum Daddeln treffen, das hinkt. Denn dieses Daddeln findet zwar statt, aber das sind kleinere und redundante Kontaktkreise, also Kontaktkreise, wo immer wieder derselbe denselben trifft. Und man kann sich ja nur einmal infizieren – wenn man sich einmal infiziert hat, ist Schluss. Und das stimmt. Ich kann dem wirklich nur zustimmen. Ich habe da gestern zu kurz gedacht. Wir müssen das berücksichtigen.

Anja Martini: Würden Sie sagen: Schulschließungen - ja?

Christian Drosten: Wir müssen jetzt auch eine wissenschaftliche Studie aus den USA in den frühen 1920er-Jahren in unsere Zeit übersetzen. Das war damals eine andere Gesellschaft. Man spricht in diesem Paper nur von Schulschließungen, aber nicht von Kitaschließungen, weil es die damals wahrscheinlich nicht gab. Damals war die Frau zu Hause, der Mann ging zur Arbeit. Das Problem ist heute ein anderes. Viele junge Mütter sind sehr schnell wieder berufstätig, und das würde ja dann jetzt zusammenbrechen. Das gilt auch für Krankenschwestern auf der Intensivstation und für Ärztinnen. Und nebenbei gesagt: Das ist kein Frauenproblem. Es ist ganz klar so, ich sehe das bei mir im Institut, und ich sehe es an mir selbst. Ich habe selbst zu Hause einen kleinen Sohn von zweieinhalb Jahren. Die Männer sind da natürlich genauso drin. Ich bringe meinen Sohn auch fast jeden Morgen zur Kita. Natürlich versuche ich, verfügbar zu sein. Und bei meinen noch jüngeren männlichen Mitarbeitern, die so in den Dreißigern sind, ist es inzwischen wirklich vollkommen gleichberechtigt. Die sind genauso davon betroffen.

Anja Martini: Aber wie lösen wir jetzt das Problem? Die Kultusminister sitzen heute zusammen. Wir könnten theoretisch die Kitas schließen, müssten dann aber zusehen, dass wir die Kinder irgendwo unter anders unterbringen. Dann bringt diese Schließung nichts mehr, damit die Mütter und Väter arbeiten gehen können. Schulschließungen sind okay, die älteren Kinder kann man vielleicht alleine zu Hause lassen. Wir stehen eigentlich vor unlösbaren Problemen. Wir stehen vor einem Problem, was in Deutschland unlösbar ist, weil wir diesen Föderalismus haben. Das heißt, in jedem Bundesland wird es anders geregelt werden.

Christian Drosten: Ja, ich glaube, dieses Föderalismusproblem ist eine separate Diskussion. Die können wir vielleicht auch mal ansprechen, obwohl wir hier gestartet sind als wissenschaftlicher Podcast. Wir werden hier erschreckend politisch inzwischen. Aber die Kultusminister sitzen heute zusammen. Das heißt, es gibt eine Chance, dass sie sich einigen. Ich denke auch, dass eine Unterscheidung zwischen Schule und Kita angebracht ist. Dass man wirklich sagen muss, gerade bei den älteren Jahrgängen nach der Grundschule, da ist es vielleicht wirklich so, dass die Eltern das besser organisieren können, dass die nicht deswegen alle zu Hause bleiben müssen. Während es im Kindergartenbereich – und zum Teil auch im Grundschulbereich – wahrscheinlich nicht so ist. Da würde eine Schließung eher zu Buche schlagen. Da ist die Frage: Kann man da irgendwie gegensteuern?

Ältere Schüler sollten zu Hause bleiben

Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie andere Länder das machen. Ich schau auch in die Nachrichten. Österreich hat das einfach so beschlossen, dass Kitas und Schulen geschlossen werden und dass dafür ein Ausgleich stattfindet, den ich so jetzt nicht verstanden habe. Ich weiß auch nicht, was man machen kann, um diesen Ausgleich stattfinden zu lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass man Kitas eben nicht schließt, aber denen gerade eine Personalverstärkung gibt. Wir reden ja über eine Zeit von jetzt bis Osterferien.

Ich glaube, das ist allen klar, dass wir jetzt was machen müssen. Und dann bis zu den Osterferien – und die Osterferien einschließlich. Da wäre schon viel gewonnen. In dieser Zeit könnte man überlegen, ob man versucht, in diesem Intensivbetreuungsbereich, wo wirklich die Betreuung sein muss, weil sonst viele Bereiche des Arbeitslebens gerade auch in der Medizin zusammenbrechen, ob man da Hilfe leistet und dann aber doch für die Verlangsamung der Ausbreitung sagt: Die Schulen ab einem bestimmten Jahrgang werden geschlossen.

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Anja Martini: Es geht aufs Wochenende zu, und das ist für junge Leute auch die Zeit, wo sie rausgehen, Partys, Clubs besuchen oder den Geburtstag feiern. In der aktuellen Situation, würden Sie sagen: Bleibt besser zu Hause? Oder: Macht nichts, geht raus?

Christian Drosten: In der aktuellen Situation sage ich eindeutig: Bleibt besser zu Hause. Trefft euch im kleinen Kreis und schaut euch eine Serie an. Geht nicht in Clubs, nicht auf Partys. Kein enger Kontakt mit vielen, vielen Leuten. Es ist natürlich auch eine Sache, wo jeder in seinem Privatleben drüber nachdenken muss.

Anja Martini: Wir haben schon viel über die Kliniken gesprochen und darüber, dass die weiter arbeitsfähig bleiben müssen. Wir haben auch schon darüber gesprochen, dass die meisten Kliniken, vor allem die Unikliniken in Deutschland, ganz gut ausgerüstet sind. Wenn wir aber aufs Land gehen und auf die kleinen Kliniken schauen: Wie sind die ausgestattet? Die haben oft keine Labore mehr. Ihr Vorschlag, das Personal täglich zu testen, könnte dort schwieriger werden. Die haben auch vielleicht nicht so extrem viel Personal und jetzt schon Personalmangel. Wie können die dieses Problem, was da auf uns zukommt, wuppen?

Christian Drosten: Ja, also mal vorweggeschickt: Ein Vorschlag, das Personal täglich zu testen, ist kein Vorschlag, das gesamte Personal täglich zu testen. Es geht hier nur um Bereiche, die besonders häufig Kontakt mit noch nicht getesteten Patienten haben, also Ambulanzbereiche. Wo Personen reinkommen, die das Virus haben könnten. Dieser Mitarbeiterkreis würde getestet werden. Was vollkommen undenkbar und nicht zu bewältigen ist: Wenn man anfangen würde zu rechnen, so viele Beschäftigte haben wir. Die müssen wir jetzt jeden Tag im Krankenhaus testen. Das geht nicht. Da können wir gar nicht dran denken, das ist nicht zu bewältigen.

Wir müssen im Bereich von Hochleistungskliniken, die eigene Labore haben, diese Diagnostik als ein Werkzeug einsetzen, das aber auch gezielt. Ich weiß, dass es ein großes Problem mit der Laborverfügbarkeit gibt. Da braucht man ans eigene Personal erst mal gar nicht denken. Da geht es häufig auch um Patienten, die reinkommen. Auf Coronavirus testen in kleineren Krankenhäusern, gerade in ländlicheren Bereichen – es geht dort schlichtweg nicht, weil die Kostenoptimierung in der Medizin dazu geführt hat, dass ganz viele Kreiskrankenhäuser und kommunale Krankenhäuser ihr Labor abgeschafft oder nur ein kleines Präsenzlabor für die ganz häufigen und schnell zu machenden Tests im Haus haben. Aber alles andere ist abgeschafft, und man hat Kooperationsverträge mit Laborketten. Und diese Laborketten haben eine Probenlogistik. Das heißt, da kommt mehrmals am Tag ein Auto vorbeigefahren und nimmt die Proben mit zu einem Verteilungslabor. Dieses Labor macht nichts anderes, als die Proben einzulesen und umzuverpacken und noch mal wieder in Deutschland rumzutransportieren. Das geht manchmal sogar über zwei Verteilungsstufen. Dann dauert es lange, bis so eine Probe von so einem peripheren Krankenhaus in einem zentralen Testlabor angekommen ist, wo diese Testung durchgeführt wird.

Probleme für kleine Kliniken

Im Moment ist das so, dass viele dieser Laborverbünde nur ein zentrales Testlabor haben, wo sie das durchführen. Die sind dabei, diese Kapazitäten auszuweiten, sodass sich eine generelle Kapazitätsfrage in den nächsten drei oder vier Wochen lösen wird, auch für Krankenhäuser in der Peripherie. Das Problem, dass die Proben transportiert werden und dass das zum Teil mehrere Tage dauert, lässt sich nicht lösen. Das werden wir auch während dieser Pandemie nicht mehr lösen können, der Zug ist abgefahren. Das ist etwas, das man aus der medizinischen Versorgung geopfert hat im Sinne von ökonomischer Effizienz.
Und das ist etwas, das in vielen Bereichen der Medizin in den letzten 15 Jahren stattgefunden hat, in den letzten zehn Jahren verstärkt. Das ist das InEK-System, die Fallpauschalenvergütung in den Krankenhäusern, die viele ganz kleine Krankenhäuser schon längst dazu gezwungen hat, aufzugeben. Und die andere Krankenhäuser dazu gezwungen hat, solche Dinge zu machen. Also zu fragen: Wo können wir sparen? Und der Laborbereich ist immer ein erstes Opfer dieser Sparüberlegungen. Denn der ist so gut quantifizierbar. Im Labor kriegt man ganz exakte Zahlen. Man weiß: So viele Teste haben wir gemacht, so viel kostet der Test, so viel sind die Verbrauchsmittel. Wenn wir jetzt rechnen: Was kann unser eigenes Labor da machen? Dann kommt man ziemlich schnell zu dem Schluss, so ein kleines Labor macht nicht nur keinen Gewinn, das macht sogar Verlust.

Ein großes Labor kommt und sagt: Lieber ärztlicher oder kaufmännischer Direktor, wir machen Ihnen mal ein Angebot. Wir übernehmen Ihre Laborleistungen zu folgendem Pauschalpreis. Alles andere ist unsere eigene Mischkalkulation. Dieser Pauschalpreis für Sie ist viel günstiger. Wir garantieren Ihnen, dass 80 Prozent aller Laboruntersuchungen in der gleichen Zeit passieren wie vorher. Und da greifen Krankenhausplaner dann zwangsweise zu. Sie müssen das tun, denn der Kostendruck ist so groß im Krankenhausmarkt. Das führt eben dazu, dass aber solche Spezialleistungen – die Virologie ist natürlich ein Fach, wo viel Spezialleistungen erbracht werden – in der Peripherie nur mit Zeitverzögerung möglich sind, weil Proben zusammen transportiert in zentrale Testzentren werden, die irgendwo in Deutschland sind.

Anja Martini: Kann man diesen Krankenhäusern auf dem Land einen Schnelltest anbieten oder sagen, wir haben eine Möglichkeit, eure kleinen Labore, die noch da sind, so schnell aufzurüsten, das ihr das selber testen können?

Christian Drosten: Es gibt zwei unterschiedliche Arbeitsrichtungen in der – wie Sie das beschreiben – Peripherie. Wir sagen „point of care testing“, also da, wo die Versorgung stattfindet, gleich zu testen. Die eine Version ist eine Hightech-Lösung und extrem teuer. Das ist, dass man kleine PCR-Maschinen baut, wo man eine Probe direkt reinstecken kann und man kein hoch ausgebildetes Laborpersonal braucht. Da kommt im Prinzip eine Probe rein und das Ergebnis raus. Die Maschine ist ein kleiner Kasten, der ist so groß wie ein Drucker. So etwas ist aber sehr teuer. Und die ersten solcher Maschinen sind gerade erst in der Lage, auf das neue Virus zu testen. Die Testchemie muss dafür angepasst werden. Solche Maschinen gibt es im Moment kaum.

Neue Testverfahren

Und es wird garantiert eine andere Entwicklung geben, die das auch etwas einholen wird. Da muss ich auch sagen, zum Glück. Das werden Antigen-Tests sein. Also Tests, die nicht die Nukleinsäure des Virus nachweisen, sondern dessen Proteine. Und diese Teste werden vom Format so aussehen wie ein Schwangerschaftstest. Man macht einen Rachenabstrich und tut den in eine Lösung, damit das flüssig wird. Diese Flüssigkeit tut man auf so ein Feld, wie den Urin beim Schwangerschaftstest. Dann kriegt man am Streifen, der angezeigt wird, positiv oder negativ. Diese Tests funktionieren bei manchen Infektionskrankheiten gut, bei anderen funktionieren die weniger gut. Wir müssen hier uns überlegen: Wie ist die Chance, dass sie bei diesem Virus gut funktionieren? Da ist die gute Nachricht aus dem Labor: Was wir hier so sehen an Viruskonzentration in den Abstrichproben, ist enorm. Das macht mich optimistisch für diese Antigen-Tests. Ich glaube, dass diese Antigen-Tests eine große Chance haben, eine gute Sensitivität zu leisten. Die werden nie so sensitiv sein wie die PCR. Wir werden immer einzelne Patienten haben, die wenig Virus in ihrem Rachen haben, etwa weil sie schon in der zweiten Krankheitswoche sind, wo das Virus im Rachen weniger wird und sich mehr in die Lunge verlagert. Da werden diese Tests dann falsch negativ sein. Also der Patient hat die Krankheit, aber der Test sagt negativ.

Aber die klassische Testsituation ist der Beginn der Symptomatik. Und zu dieser Zeit, das wissen wir aus eigener Laborerfahrung, haben Patienten, egal welcher Altersgruppe, sehr viel Virus im Rachen. Das macht mich sehr optimistisch, dass diese Tests, die darauf angewiesen sind, dass viel Virus in der Probe drin ist, gut funktionieren und gut empfindlich sein werden, um dieses Virus in der Anfangsphase der Krankheit nachzuweisen.

Meine Schätzung ist, dass die ersten Firmen – typischerweise in Asien, die sind sehr schnell mit der Entwicklung solcher Sachen – die ersten solcher Tests vielleicht in ein, zwei Monaten schon auf dem Markt bringen. Die werden sofort vergriffen sein. Aber es wird nicht so schwer sein, diese Tests in großer Menge zu produzieren. Ich hoffe, dass bis zum Mai, Juni solche Tests bestellbar und verfügbar sind. Das wird die ganze Testsituation in Deutschland und in allen Ländern drastisch ändern und eine große Erleichterung in dieser Testsituation bringen.

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Anja Martini: Das heißt also für die kleinen Kliniken: Durchhalten und weiterhin das Zentrallabor nutzen?

Christian Drosten: Ja, genau, das kann nicht anders gehen. Ich will noch eine Sache ganz kurz sagen. Es sind im Moment so ein paar verwirrende Meldungen unterwegs, dass schon Schnelltests existieren, dass man die schon kaufen kann – da wird schon Werbung für gemacht. Diese Tests sind keine Antigen-Tests, keine Tests auf das Virus, sondern das sind Tests auf Antikörper, also auf unsere Immunreaktion gegen das Virus. Diese Tests können erst allerfrühestens am Ende der ersten Krankheitswoche positiv werden. Sie sind nicht austauschbar gegen die PCR. Die können nicht das leisten, was die PCR leistet.

Anja Martini: Uns erreichen immer wieder viele Hörerfragen. Eine davon ist: Keine Konzerte besuchen, Großveranstaltungen meiden, die Kinder nicht zu Oma und Opa bringen. Diese Einschränkung dieser Art für zwei bis drei Wochen. Das ist alles okay, und das kann man auch schaffen. Aber wie lange wird es denn in Wirklichkeit dauern? Herr Drosten, das ist eine Frage, die wir ganz oft gestellt bekommen. Gibt es da eine Prognose?

Christian Drosten: Na ja, also das können auch die besten epidemiologischen Modellierer nur immer beantworten mit einer Aussage, wo man sagt, diese Aussage ist mit Sternchen. Die Fußnote an dem Sternchen heißt, das sind alles nur Modellrechnungen. Die Natur lässt sich nicht berechnen in jedem Detail. Das sind hier auch Effekte, wo man einfach keine direkte Kausalität in solche Modelle einrechnen kann.

Aber es gibt Szenarien. Ich nehme mir hier die akademische Freiheit raus, auch mal zu sagen, was ich für das wahrscheinlichste Szenario halte – im Moment. Ich update das, ich lese immer parallel, und ich schaue auch, was Modellierer machen. Ich würde im Moment schätzen, dass wir schon in eine kontinuierliche Welle reinlaufen, dass das jetzt immer mehr werden wird. Und dass das vielleicht keine so aggressive Welle sein wird, die in drei, vier Monaten die ganze Bevölkerung durchinfiziert, und dann ist es vorbei. Sondern dieses Virus könnte sich nach neuesten Zahlen etwas langsamer verbreiten als die Influenza. Das würde bedeuten, wir würden über den Sommer ein Anwachsen der Fälle bekommen, das würde im Herbst so bleiben und vielleicht sogar auf den Winter hin noch mal stärker anwachsen und dann aber irgendwann ausschleichen.

Es könnte auch sein, dass es gar nicht so stark anwächst und uns dafür aber zwei Jahre begleiten wird. Auch dann würden wir spüren, dass wir in der Intensivmedizin ein Versorgungsproblem bekämen. Das heißt also nicht, dann ist alles nur halb so schlimm, sondern auch dann haben wir ein Problem. Was wir hier besprechen, ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Jetzt muss man aber wieder differenzieren. Es gibt Maßnahmen, die sind nur jetzt am Anfang des Geschehens nützlich und sinnvoll, später braucht man damit nicht mehr zu arbeiten.

Welche Maßnahmen helfen jetzt?

Und diese zwei Hauptmaßnahmen, die auch die Politik im Moment diskutiert, sind „social distancing“, also keine Veranstaltungen mehr, und das Schließen von Schulen. Diese beiden Maßnahmen werden nur jetzt am Anfang der pandemischen Welle einen wirklichen durchschlagenden Erfolg haben, indem sie die pandemische Welle auch längerfristig verzögern und die Zahl von Patienten im Gipfel der Welle absenken. Und das ist etwas, das wir jetzt machen müssen.

In dieser amerikanischen Studie hat man das für vier Wochen gemacht, und viele Modellrechnungen gehen auch von etwa vier Wochen aus. Ich muss zugeben, ich weiß aus dem Kopf nicht so genau, wenn wir nächste oder übernächste Woche anfangen und dann noch die Osterferien dranhängen, ob das dann vier oder fünf Wochen sind – aber das wäre ein Zeitfenster, da kann man sich jetzt mal daran festhalten. Ich glaube, dass die Osterzeit und die Woche danach, wo dann noch Osterferien sind, dass das genau die Zeit ist, nachzudenken: Wo sind wir jetzt? Wo stehen wir? Ist es jetzt schon so schlimm, dass wir ohne Überlegen sagen, dass wir das, was wir jetzt haben an Schulschließung und so weiter, auf jeden Fall drei Wochen verlängern? Es kann sein, dass wir dann in dieser Situation sind. Oder es könnte auch sein, dass wir dann sagen: Na ja, bis jetzt ist eigentlich ganz gut gegangen.

Einschränkungen – wie lange?

Das wird natürlich auch immer eine Überlegung sein. Dann wird es wieder kontrovers. Dann wird es Kreise geben, die sagen: Was wollt ihr eigentlich? Ihr habt uns jetzt so einen großen Wirtschaftsschaden gemacht, hier mit Schulschließungen und den ganzen Veranstaltungen, die abgesagt werden, und es ist nichts passiert. Also jetzt mal zurück ins Alltagsleben. Und andere werden sagen: „There is no glory in prevention.“ Also, wer was verhindert hat, der kriegt dafür keinen Dank, denn es ist nicht zu sehen, was man verhindert hat. Aber lasst uns das anerkennen und sagen: Okay, in Anerkennung der Situation, ohne Schuldzuweisungen, werden wir jetzt langsam wieder erstes Sozialleben aufleben lassen und zulassen. In der Zeit nach Ostern werden wir diese Richtungsentscheidung wieder machen müssen. Ich sage da „wir“, aber es muss letztendlich die Politik machen, und nicht irgendwelche wissenschaftlichen Ratgeber, die natürlich immer auch eine Stimme haben sollten. Das ist wichtig.

Ich muss auch noch mal sagen, die Politik ist da im Moment hervorragend interessiert. Ich finde das wirklich gut. Also zum Beispiel, was der Gesundheitsminister im Hintergrund macht. Der fragt wirklich überall rum nach Rat, ganz aktiv. Auch bei mir. Aber ich weiß, auch bei vielen anderen, schon längst nicht nur bei Medizinern. Und es ist wichtig, denn wir Mediziner haben ja auch einen eingeschränkten Blickwinkel. Und es ist nicht nur der Gesundheitsminister. Es wird jetzt natürlich auch Chefsache, wie immer gesagt wird. Die Kanzlerin muss das steuern. Aber das betrifft auch den Innenminister, den Finanzminister, den Wirtschaftsminister. Und das ist natürlich auch wichtig im Bereich Bildung. Das Bildungs- und Forschungsministerium ist ja nicht nur ein Forschungsministerium, sondern auch das Schulministerium. Alle die sind natürlich involviert, und das muss man wirklich noch mal sagen: Es hat keinen Gesundheitsminister, und auch die anderen genannten Ministerien, in der Bundesrepublik bis jetzt gegeben, die mit so einem medizinischen Problem arbeiten mussten. Diese Herausforderung hat es in der Geschichte der Bundesrepublik nicht gegeben. Darum ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen.

Große Herausforderung für die Politik

Es ist eine Sache, die mir in den letzten Tagen so deutlich vor Augen steht, dass wir den politischen Journalismus jetzt ein Stück weit zurückfahren müssen und den Wissenschaftsjournalismus und den inhaltlich gerichteten Journalismus vortreten lassen müssen. Das ist im Moment wichtig, denn sonst wird zu viel öffentliche Zeit und öffentliche Aufmerksamkeit verschwendet. Es ist jetzt nicht die Zeit, irgendwo zu fragen: Wie ist es denn jetzt mit dem Parteitag? Wird er denn stattfinden? Und was macht das Fußballspiel da? Und da immer in so einer Intention, einen Politiker in Verlegenheit zu bringen. Darum geht es doch gar nicht. Es geht doch jetzt darum, die Herausforderungen und Schwächen des deutschen Systems in den Griff zu kriegen.

Wir haben ja jetzt nicht viel Zeit. Wir haben jetzt dieses föderale System mit einer Entscheidungsschwäche in der Peripherie, wo zum Beispiel in Gesundheitsämtern oder in Bürgermeisterämtern Personen stehen, die ein begrenztes Budget haben und die plötzlich regresspflichtig werden. Die sich einfach nicht trauen, eine Millionen-Veranstaltung abzusagen, Millionen Euro, wo sie genau wissen: Der Veranstalter wird kommen und uns verklagen. Und wir haben gar nicht so viel in der Kasse, und das müssen wir jetzt irgendwie lösen. Und natürlich muss das die Bundespolitik lösen. Natürlich muss dafür ganz viel Geld in die Hand genommen werden, und zwar so richtig schnell. Also wir brauchen nach meinem Gefühl diese Woche einen Sonderfonds für Entscheidungsträger in den Kommunen in den Bundesländern. Die sind manchmal in einer rechtlichen Verantwortung, wo man einfach sagen muss: Ich bin hier nur der kleine Landrat. Ich hab gar kein Geld, um solche Entscheidungen hier durchzuziehen. Und da braucht unbedingt so ein Landrat oder so ein Bürgermeister Hilfe von der Bundespolitik, und das schaffen nur mehrere Ministerien zusammen.

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