Umnutzung statt Neubau: In Hamburg werden Büros zu Wohnraum
Im Hamburger Stadtteil Bergedorf werden schon jetzt leer stehende Bürogebäude zu Wohnraum umgebaut. Das ist mit einigen Hürden verbunden, aber trotzdem voller Potenzial, um der Wohnungsnot beizukommen.
"Schatz, wir ziehen ins Büro!" - was erst mal klingt wie ein Witz, könnte in Hamburg für einige Menschen bald Realität werden. Denn in der Hansestadt stehen fast 750.000 Quadratmeter Büroflächen leer. Gleichzeitig fehlen über 50.000 Wohnungen. Ein riesiges, brachliegendes Potenzial, das im Hamburger Stadtteil Bergedorf bald genutzt wird. Der Architekt Holger Diesing betreut vor Ort ein Projekt, das ein leer stehendes Bürogebäude zum Wohnhaus werden lässt. Ihn kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen: "Hier sind wir im ehemaligen Eingangsbereich unserer alten Verwaltung", erklärt er bei der Führung. Das mit Backstein verkleidete Gebäude, Baujahr 1961, war bis vor wenigen Jahren sein Arbeitsplatz. Es ist die ehemalige Firmenzentrale der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille.
Gemeinschaftliches Wohnen in Clustern
Im leeren Bürohaus geht es vorbei an ausgedienten Furnierschränken, vor den Fenstern hängen noch Lamellenjalousien. Auf dem grauen Teppichboden sieht es an einer Stelle aus wie nach einer Konfettiparty, da ist wohl mal ein Locher ausgekippt. Aber nun entsteht hier etwas Neues: "Wir stehen quasi gerade im zukünftigen Badezimmer. Hier werden die privaten Zimmer sein. Und zur lauten B5 werden dann die Aufenthaltsräume sein. Küche, Wohnzimmer, Medienraum und dergleichen, also die Räume die man gemeinschaftlich nutzt", erzählt Diesing. Noch braucht es etwas Fantasie, aber schon bald sollen hier 32 ganz besondere Wohnungen nach dem "Cluster-Prinzip" entstehen: Jede Wohneinheit hat ein eigenes Schlafzimmer und Bad - der Rest wird geteilt.
Perfekte Wohnform für zukünftige Mieter
Künftige Mieter für das besondere Haus gibt es auch schon. "Willkommen im neuen Zuhause", ruft Holger Diesing, als Gunda Mahmens den Raum betritt. Sie wird hier nicht selbst einziehen, aber ihre Klienten. Sie arbeitet für die Hamburger Stiftung "Das Rauhe Haus" und betreut Menschen mit Behinderung. Für die sei das Konzept "Gemeinschaftliches Wohnen" ideal: "Wir haben viele Klienten, die eigentlich alleine leben möchten, aber durch die Gemeinschaft Unterstützung erfahren. So haben sie Nachbarn, die sie gut kennen, die auch ihre Besonderheiten kennen."
Umnutzung ist nachhaltiger als Neubau
Das Projekt sollte sogar zum Vorbild werden, findet Thomas Krüger, leitender Stadtplaner an der HafenCity Universität Hamburg: "In den Städten gibt es wenige freie Flächen, eigentlich fast gar keine mehr. Das Potenzial der leer laufenden Büroflächen bietet sich ja geradezu an." Ein wichtiger positiver Nebeneffekt sei außerdem die Einsparung von CO2. Eine vorhandene Substanz umzunutzen sei immer nachhaltiger, als neue zu produzieren. Im Fachjargon spricht man hier von "grauer Substanz".
Auch in Bergedorf soll möglichst viel wiederverwendet werden. So werden etwa Klinkersteine aus der rückseitigen Hausfassade für die Dachaufstockung genutzt. Ein weiteres wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist Cradle to Cradle, also die Idee der Kreislaufwirtschaft.
Potenzial ist da, aber auch einige Hürden
So einfach die Idee der Umnutzung generell klingen mag: Eine Art Befreiungsschlag für den überhitzten Hamburger Wohnungsmarkt dürfte dennoch ausbleiben. Von den fast 750.000 Quadratmetern Bürofläche, die in der Hansestadt leer stehen, dürfte sich realistischerweise laut Krüger nur ein Teil umnutzen lassen: "Das Potenzial ist sicher nicht so groß wie die Leerstände, aber ich würde mal schätzen so 20 bis 30 Prozent", sagt Thomas Krüger.
Das Problem: Alte Bürogebäude stehen oft in unattraktiven Lagen, ein Umbau ist aufwendig und teuer. Das Ganze ist quasi noch Neuland, die Statik bei Bürogebäuden ist zudem anders als bei Wohnhäusern. Auch ist der ganze Prozess mit viel Papierkram verbunden, weil die Genehmigungsverfahren komplizierter sind. Ein weiteres Problem sind laut Krüger aber auch die zu hohen technischen Standards in Deutschland. Diese zu senken, sei eine Grundvoraussetzung für die Machbarkeit solcher Umnutzungsprojekte. Die gute Nachricht: Der Senat hat das Thema schon auf dem Zettel.
Hamburger Senat steht voll dahinter
Rückenwind gibt es aber trotzdem. Denn die Potenziale der Bestandsnutzung haben sich längst auch in der Hamburger Politik rumgesprochen. Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) wirbt regelrecht dafür: "Wir sind vor allem darauf angewiesen, dass es Bauherren gibt, die leer stehende oder umzunutzende Büros haben. Die unterstützen wir natürlich auch mit unserer Wohnungsbaukoordination, auch in der genehmigungsrechtlichen Frage. Wer da Probleme hat, der möge zu uns kommen, wir versuchen diese Projekte gangbar zu machen."
Übergangswohnen im Bürohaus
Ein sogenanntes Übergangswohnen in Bürogebäuden wird allerdings schon seit einer Weile praktiziert. Im Hamburger Stadtteil St. Georg entsteht gerade eine Anlaufstelle für wohnungslose Suchtkranke - dazu gehören auch Übernachtungsplätze. Das Haus entsteht im Auftrag der Sozialbehörde, Eigentümer ist das Städtische Unternehmen Fördern & Wohnen. Allerdings sieht Christine Tügel von der Jugendhilfe e.V. in dem geplanten Angebot keine Vergleichbarkeit zu Vorhaben, die wirklich neuen Wohnraum schaffen: "Das Ziel der geplanten Übergangseinrichtung ist es, die Menschen zu stabilisieren und sie perspektivisch in weiterführende Hilfen zu vermitteln und von dort aus in eigenen Wohnraum. Denn eines ihrer größten Probleme stellt oft die Wohnungslosigkeit dar." Diese Art der Übergangswohnens in Bürogebäuden sei außerdem nicht neu: "Schon seit 2003 nutzen wir in der Nähe zum Hauptbahnhof ein ehemaliges Bürohaus, das auch Übergangswohnplätze anbietet. Neu ist die Nutzung von Bürogebäuden daher eher im Bereich, in dem es um echte Mietverhältnisse geht", sagt sie.
Kaum Kostenersparnis - und trotzdem positive Bilanz
Unabhängig vom sozialen Aspekt stellt jede Form der Weiternutzung einen Vorteil gegenüber einem Neubau dar. Entscheidend sind dabei nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern auch, ob ein Angebot entstehen kann, das zu den zukünftigen Bewohnern passt. Denn ob es am Ende möglich ist oder nicht, hängt von den Mietern ab. Wenn sich etwa mehrere Menschen gemeinschaftliche Räume wie die Küche teilen, ist der Umbau weniger kompliziert, als wenn eine Wohnung vollausgestattet sein muss. Genau wie beim Cluster-Wohnen der Baugenossenschaft Bergedorf Bille.
Für Projektleiter Holger Diesing geht die Rechnung aller Nachteile zum Trotz auf - wenn auch knapp. "Günstiger wird's nicht, indem wir hier das Gebäude erhalten und Umbau machen. Wir haben das auch untersucht, und ein Neubau wäre ungefähr preisgleich. Wenn wir umbauen, haben wir natürlich noch ein erhöhtes Risiko über das sogenannte Unvorhergesehene." Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit lohnt sich der Weg allemal. Schließlich werden für einen Neubau viel mehr Ressourcen verbraucht und er produziert auf lange Sicht auch wieder Sondermüll in Form von Bauschutt, der ein erhebliches Problem für die Umwelt darstellt - und dessen Entsorgung auch teuer werden kann.