Kommentar: So wird das nichts mit der Verkehrswende!

Stand: 23.09.2023 08:40 Uhr

Eine neue Schnellstrecke der Bahn zwischen Hamburg und Hannover entlang der Autobahn 7 wird wohl erstmal nicht gebaut. Das ist ein schwerer Schlag für die Verkehrswende und ein Trauerspiel für den Norden, meint Oliver Wutke in seinem Kommentar.

von Oliver Wutke

Stellen wir uns doch einen Moment lang vor, die A7 wäre eine zweispurige Landstraße, auf der sich Lastwagen, Pendlerinnen und Urlauber drängeln. Klar, irgendwann käme jeder ans Ziel, notfalls auf Umwegen. Aber es wäre ein Mega-Stau. Um den zu beseitigen, kommt folgender Vorschlag: Wir bauen auf einigen Abschnitten eine dritte Fahrspur zum Überholen, hier und da eine Ortsumgehung und wir optimieren den Verkehrsfluss mit digitaler Ampelsteuerung. Klingt absurd? Ja! Aber bei der Bahn sieht so die Zukunft aus - für die 150 Jahre alte Strecke zwischen Hamburg und Hannover. Und ich meine: So wird das nichts mit der Verkehrswende!

Keine kürzere Fahrzeit in Sicht

Stichwort Deutschlandtakt: Da sollen die wichtigsten Bahnhöfe schnell miteinander verbunden werden und zur vollen und halben Stunde Anschlüsse in jede Richtung bieten. Eine attraktive Reisekette. Aber aus Hamburg und dem Norden wird man den Taktknoten in Hannover nicht nach 60, sondern wohl erst nach 90 Minuten erreichen. Mehr Fahrzeit als heute.

Mit dem Fehmarnbelt-Tunnel kommt mehr Verkehr

Stichwort Güterverkehr: Auch der soll auf die Schiene - aber da ist für langsame, schwere Züge kaum noch Platz. Das spürt Hamburgs Hafenwirtschaft heute schon. Und es wird noch enger, wenn mit dem Fehmarnbelt-Tunnel mehr Züge aus Skandinavien kommen.

An vollen Zügen ändert sich für lange Zeit nichts

Stichwort Pendlerinnen und Pendler: Die freuen sich gerade im Hamburger Umland über das günstige 49-Euro-Ticket. Aber sie stöhnen über volle und unpünktliche Regionalzüge. Und daran kann sich nun für lange Zeit nichts ändern.

Es gibt keine Alternativroute

Stichwort Zuverlässigkeit: Wenn irgendwo bei Lüneburg im Herbststurm mal wieder ein Baum auf die Oberleitung fällt, ist das Chaos perfekt. Es gibt keine Alternativroute. Fern- und Güterzüge fahren weite Umwege oder fallen ganz aus.

Strategie der Verzögerung

Das sind die Folgen, wenn sich Bürgerinitiativen und Lokalpolitikerinnen und -politiker, die rot-grüne Landesregierung in Hannover und die niedersächsischen SPD-Bundestagsabgeordneten mit ihrer Strategie durchsetzen, einen Streckenneubau weit in die Zukunft zu vertagen - möglichst bis St. Nimmerlein.

Armutszeugnis für den Norden

Und das ist auch ein Armutszeugnis für den ganzen Norden. Seit mehr als 30 Jahren wird über das Für und Wider unterschiedlicher Trassenplanungen gestritten - egal, wer gerade wo regiert. In dieser Zeit haben bayerische CSU-Staatsregierungen im Zusammenspiel mit CSU-Verkehrsministern im Bund viele Milliardenprojekte auf den Weg gebracht. Aber der Norden blockiert sich lieber selbst. Landesregierungen in Hannover leisten lautstark und mit Erfolg Lobbyarbeit gegen den Bahnneubau. In Hamburg und auch in Kiel wird dazu vornehm geschwiegen.

Das Ergebnis: Der Norden hängt sich ab. Mit einer Verkehrswende auf Landstraßen-Niveau.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Der Hamburg-Kommentar | 23.09.2023 | 08:40 Uhr

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