"Grüne Dächer" als Hilfe bei Starkregen
Aus dunklen Wolken schüttet es ununterbrochen. Starkregen verwandelt schmale Straßen innerhalb von Minuten in wilde Bäche. Die Berichte über schwere Unwetter und deren Folgen häufen sich auch in Norddeutschland - zuletzt Mitte Juni. Angesichts von Millionenschäden überlegt man in den Rathäusern, wie Straßen und Häuser besser gegen Starkregen geschützt werden können. Eine Idee ist der verstärkte Einsatz von Gründächern, damit Städte wie eine Art Schwamm funktionieren. Die NDR Info Perspektiven berichten über verschiedene Ansätze.
Wenn innerhalb von sechs Stunden mehr als 35 Liter Regen pro Quadratmeter fallen, spricht der Deutsche Wetterdienst von Starkregen der Stufe zwei und ruft eine Unwetterwarnung aus. Fällt mehr, ist von "heftigem" oder gar "extrem heftigem Starkregen" die Rede. Generell habe die jährliche Niederschlagsmenge seit Beginn der Wetteraufzeichnung um rund 15 Prozent zugenommen, heißt es etwa im "Klimareport Niedersachsen". Außerdem regne es verstärkt im Herbst und Winter. Seit den 1950er-Jahren kommen die Starkregen-Ereignisse immer häufiger vor.
Versiegelte Flächen verschlimmern die Lage
Der Deutsche Wetterdienst erklärte kürzlich, man habe die Gefahr von Starkregen bisher unterschätzt. Auch in Landkreisen Norddeutschlands müsse mit einer deutlich höheren Starkregen-Wahrscheinlichkeit gerechnet werden als bisher angenommen. Gleichzeitig bleibt ein Problem, dass sich plötzliche, sintflutartige Regenfälle nach wie vor nur sehr schwer und nicht hinreichend ortsgenau vorhersagen lassen.
Besonders betroffen sind vor allem Städte und dicht bebaute Siedlungen - also Gegenden, wo viel Fläche versiegelt ist und große Niederschlagsmengen nicht so schnell abfließen können, oder wenn veraltete Kanalisationen mit den extremen Wassermassen nicht fertig werden. Begradigte Flüsse und zugebaute Ufer verstärken das Problem. Straßen werden überflutet, vollgelaufene Keller sind die Folge. Viele Kommunen scheinen auf die zunehmende Starkregengefahr nicht vorbereitet zu sein.
Kräuter, Moose und Sedum
Viele Kommunen suchen daher nach Lösungen. Mehr Natur in den Städten zulassen ist eine Idee. Wie ein Schwamm sollen Städte das Regenwasser aufsaugen. So können spezielle Gründächer helfen, mit extrem starkem Regen fertig zu werden.
Im Norden Hamburgs gibt es ein solches Dach bereits: Das grün-braun überwachsene Flachdach eines Mehrfamilienhauses ist eines von vier Dächern, das der Diplom-Geoökologe Michael Richter mit seinen Kollegen von derHafencity Universität Hamburg wissenschaftlich begleitet. Wer üppige Vegetation erwartet, wird enttäuscht. Maximal kniehoch stehende Kräuter, Moose und mediterran anmutende Gewächse am Boden wechseln sich ab. "Das sind Sedum-Arten. Sie ähneln den Kakteen, da sie ebenso dicke Blätter haben und viel Wasser darin speichern können", erklärt Richter. Meist wachsen sie auf Extensivgründächern, dem einfachsten Typ von Gründach.
Oase für Insekten und natürliche Klimaanlage
Bei dieser am häufigsten umgesetzten Gründachform ist die Substratschicht, auf der die Pflanzen wachsen, nur maximal zehn Zentimeter dick - das ist jedoch genug, um bei Unwetter wie ein Schwamm große Wassermassen aufnehmen zu können. Alles, was das Dach nicht speichern kann, fließt zeitlich verzögert ab. "Es ist ja dafür da, dass in Zukunft weniger Wasser in die Kanalisation geht, die Kanalisation seltener überfordert ist mit den Regenmassen und es seltener zu Überflutungen kommt", erklärt Richter weiter.
Zugleich kühlt das verdunstende Regenwasser die Luft. Gründächer funktionieren also als natürliche Klimaanlagen. Weitere Nebeneffekte: Pflanzen produzieren Sauerstoff, sie binden Feinstaub, können Stadtlärm dämpfen und bieten bedrohten Insektenarten Lebensraum.
Schwammsiedlungen bisher Zukunftsmusik
Wie Gründächer möglichst zum Normalfall in Deutschlands Kommunen werden können, erforschen Michael Richter und seine Kollegen vom Fachgebiet "Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung". Dabei denken sie längst über die Dachrinne hinaus. Künftig sollen ganze Städte als Schwamm funktionieren, mit gering versiegelten Straßen, flutbaren Multifunktionsflächen, mit ausgeklügelten Vegetationskonzepten und intelligenten Regenwasserrecyclinganlagen. In Berlin, auf dem Gelände des Tegeler Flughafens etwa, soll in einigen Jahren der Prototyp einer "Schwammsiedlung" entstehen. Theoretisch machbar scheint vieles - andere Länder wie China gelten als Vorreiter. Doch allein beim Ausbau von Gründächern gebe es noch "Luft nach oben", räumt etwa die Hamburger Umweltbehörde selbstkritisch ein.
Mehrkosten trägt der Mieter
In der Hansestadt gibt es nach offiziellen Angaben rund 120 Hektar Gründachfläche, bei einem Zuwachs von 17 Hektar in den vergangenen fünf Jahren, in den meisten Fällen durch Neubauten. Wie andere Städte auch, fördert Hamburg solche klimaangepassten Dächer und macht sie zugleich in neuen Bebauungsplänen zur Pflicht.
Carsten Venus vom renommierten Architektenbüro Blauraum sitzt auch im Vorstand der Hamburgischen Architektenkammer. Er lobt das Ziel, fordert allerdings mehr Ehrlichkeit, was die zusätzlichen Kosten angeht. "Im Wohnungsbau verarbeiten wir mittlerweile die Mehrkosten des Klimawandels. Sie werden natürlich in der Miete, im Kaufpreis auf die Bewohner, auf die Allgemeinheit verteilt."
Zusätzliche Baukosten wirken abschreckend
Dies stehe dem politisch geforderten Anspruch vom preiswerten Wohnraum entgegen, klagt Architekt Venus. Um wie viel die Baukosten allerdings tatsächlich steigen, hängt vor allem von der Gebäudegröße und dem geplanten Gründachtyp ab. Die Umweltbehörde in Hamburg spricht von zusätzlichen Baukosten zwischen 25 und 50 Euro pro begrüntem Quadratmeter bei einem einfachen Extensivdach. Die Folge: Häufig werden bislang nur die kostengünstigeren Minimallösungen realisiert, so der Geoökologe Richter von der Hafencity Universität, und Altbaudächer würden noch viel zu selten bepflanzt, obwohl Gründächer doch viel länger hielten als Ziegel- oder Bitumendächer.