Cum-Ex: Verfassungsschutz hatte Bedenken bei Chefaufklärer
Die Hamburger SPD ernannte einen treuen Genossen zum obersten Aufklärer in der Cum-Ex-Affäre. Nach Informationen von NDR und "Manager Magazin" äußerte der Verfassungsschutz wegen einer Russland-Connection Zweifel, ob der SPD-Mann Zugang zu geheimem Material bekommen sollte - vergeblich.
Im Sommer 2022 wurde Steffen Jänicke zum Arbeitsstableiter des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) bestellt, der die Cum-Ex-Affäre von SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz untersuchen soll. Jänicke ist Verwaltungsjurist, seit vielen Jahren in Hamburger Behörden tätig, außerdem engagiertes SPD-Mitglied.
Als Chefaufklärer im PUA muss er mit vertraulichen Informationen und klassifizierten Unterlagen umgehen, die im Safe liegen und im Arbeitsstab nur ihm und seinen Stellvertreter zugänglich sein dürfen. Die Voraussetzung dafür: Jänicke musste sich der üblichen Sicherheitsüberprüfung des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) unterziehen, Auskunft geben über seine Auslandsaufenthalte, seine Vermögensverhältnisse und familiäre Situation.
Verbindungen nach Russland?
Ein Routinevorgang. Etwa 500-mal im Jahr prüft der Hamburger Verfassungsschutz, ob Menschen vor Antritt einer sicherheitssensiblen Tätigkeit vertrauenswürdig genug sind, um Einblick in vertrauliche Dokumente bekommen zu können. In mehr als 99 Prozent der Fälle gibt der Verfassungsschutz nach eingehender Prüfung grünes Licht. Anders bei Jänicke. Bei ihm meldeten die Verfassungsschützer Sicherheitsbedenken an und teilten dies im Spätsommer 2022 der Bürgerschaftskanzlei mit. Es geht nach Informationen von NDR und "Manager Magazin" um familiäre Verbindungen nach Russland und Reisen dorthin. Jänicke ließ dazu eine Anfrage der Journalisten unbeantwortet.
Jänicke bekam Einblick in streng vertrauliche Dokumente
In der von SPD-Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit geführten Bürgerschaftskanzlei teilten die Beamten die Bedenken der Verfassungsschützer offenbar nicht. Rechtlich sind sie nicht an das Votum der Verfassungsschützer gebunden. Jänicke durfte seine Arbeit als Chefaufklärer aufnehmen und bekam Einblick in streng vertrauliche Dokumente des Untersuchungsausschusses, wie aus E-Mails hervorgeht, die NDR und "Manager Magazin" vorliegen. Ende September 2022 etwa informierte Jänicke die Obleute des PUA, dass nun Korrespondenzen zu einem geheim eingestuften Protokoll mit Aussagen von Olaf Scholz vorliegen: Dazu gebe es "ca. 140 E-Mails nebst Anlagen", heißt es in dem Rundschreiben an die Obleute des Untersuchungsausschusses.
"Dem weiteren Einsatz nicht entgegenstehend"
Weder die Abgeordneten noch die Mitarbeiter im Arbeitsstab wussten von den Sicherheitsvorbehalten des Verfassungsschutzes gegenüber Jänicke. Die Bürgerschaftskanzlei bestätigt NDR und "Manager Magazin" den Vorgang: "Die im Zuge des Überprüfungsverfahrens seitens des Landesamtes als mitwirkender Stelle geäußerten Hinweise wurden von der Bürgerschaftskanzlei als Dienstaufsicht führender und zuständiger Stelle als dem weiteren Einsatz Dr. Jänicke nicht entgegenstehend beurteilt." Weitere Details geben die Behörden mit Verweis auf den Personendatenschutz nicht bekannt. Dazu wolle man sich lediglich "für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschusses" äußern, teilt Johannes Düwel, Direktor der Bürgerschaftskanzlei, auf erneute Anfrage mit.
CDU-Obmann: "Das ist ein Vertrauensbruch"
Erst durch Anfragen von NDR und "Manager Magazin" erfuhren nun Ausschussmitglieder von dem Vorgang. "Es ist für mich völlig unverständlich, wieso wir nicht informiert wurden", sagte Richard Seelmaecker, Obmann der CDU im Ausschuss. "In einer solch brisanten Personalfrage eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses darf ein solcher Vorgang nicht verheimlicht werden. Das ist ein Vertrauensbruch. Außerdem darf nicht der Eindruck entstehen, dass hier aufgrund der Parteizugehörigkeit mit zweierlei Maß gemessen wurde."
Ebenso sieht es Norbert Hackbusch, Obmann der Linken, zu dem Umgang mit der Personalie: "Die Obleute hätten davon in Kenntnis gesetzt werden müssen, zumal damit die Arbeit des Arbeitsstabes beeinträchtigt, ja beschädigt wird."
Vertreter von SPD, Grünen und AfD äußerten sich auf Anfrage nicht. SPD-Bürgerschaftspräsidentin Carola Veith ließ die Anfrage von NDR und "Manager Magazin" unbeantwortet, warum die Abgeordneten über die Sicherheitsbedenken des Verfassungsschutzes nicht informiert wurden.
Wer wusste wann was?
Den Recherchen zufolge wusste der Ausschussvorsitzende Petersen von den Bedenken des Verfassungsschutzes bei seinem Arbeitsstabchef, bestreitet das aber gegenüber dem Ausschuss. Einen Fragenkatalog zu dem Thema beantwortete Petersen nicht, ebenso Bürgerschaftspräsidentin Veith. Dennis Gladiator (CDU) fordert gegenüber NDR und "Manager Magazin" eine lückenlose Aufklärung, "auch um die eventuell erforderlichen Konsequenzen zu ziehen". Sein Partei- und Ausschusskollege Götz Wiese spricht von einem "handfesten Skandal" und will wissen: "Warum wurden Sicherheitsbedenken des LfV verheimlicht?" Die Opposition aus CDU und Linke erwartet nun Antworten.