Jazz – Round Midnight
Donnerstag, 22. Dezember 2022, 23:30 bis
00:00 Uhr
Eine Sendung von Michael Laages
Glückwünsche waren geplant: im November 1992, vor drei Jahrzehnten, hatte Wilfried Berghaus das erste Jazzkonzert angesagt im frisch renovierten "Kulturspeicher" mitten in der Altstadt und direkt am Handelshafen vom ostfriesischen Städtchen Leer. John Tchicais Ensemble kam aus Kopenhagen an die Ems.
Gleich neben der Stadtbibliothek wuchs seither einer der profiliertesten Konzertorte in Norddeutschland; gerade war dem "Kulturspeicher" zum dritten Mal der nationale Spielstättenpreis "Applaus" zuerkannt worden. Und was macht die Volkshochschule, verwaltungsrechtlicher Träger der Konzertreihe; was macht die Stadt? Beide "beenden" das Jazz-Leben in Leer zum 31. Dezember. Ein Skandal, weit über die Jazz-Szene hinaus.
Außergewöhnlich war (und bleibt bis Jahresende) das Profil der Serie - moderner als fast überall sonst: Hier gab es selten mal Appetithappen aus Bebop oder noch betagterer Stilistik, um das Publikum aus der Tradition in die Moderne herüber zu führen. Ausgerechnet in dieser kleinen ostfriesischen Stadt wechselten sich stattdessen immer die mutigen Erneuererinnen und Erneuerer ab, Konzert um Konzert und über die Generationen hinweg: von Peter Brötzmann oder Han Bennink über Ken Vandermark oder Roy Nathanson hin zu den Jungen. Sebastian Gille war gerade da im Herbst, auch Fabian Dudek oder Charlotte Greve mit dem "Lisbeth Quartett". Auch sie übrigens rühmt die Atmosphäre im "Kulturspeicher" - und hat überhaupt kein Verständnis für das nunmehr erklärte Desinteresse von Träger und Stadt.
Wird Leer die 10.000 "Applaus"-Geld zurück überweisen - weil ja kein "Verwendungsnachweis" mehr geführt werden kann? Das wäre neu. Für Wilfried Berghaus jedenfalls ist der Fall Leer "gegessen". Irgendwo in Niedersachsen, vielleicht nah beim Wohnort Oldenburg, wird er neu beginnen: mit konsequent modernem Jazz.