Anne-Sophie Mutter und Pablo Ferrández spielen Brahms
Die gegenwärtigen Krisen haben in der Musikwelt einiges verändert - auch Anne-Sophie Mutter nimmt diese Krisen, wie Krieg, Klima oder die Pandemie sehr ernst.
Anne-Sophie Mutter und Pablo Ferrández, vielversprechender Newcomer der Klassik, haben Brahms Konzert für Violine, Cello und Orchester op. 102 gemeinsam eingespielt, zusammen mit der Tschechischen Philharmonie und dem Dirigenten Manfred Honeck. Das Werk von Brahms wird dabei mit Clara Schumanns Klaviertrio op. 17 kombiniert, mit Mutters langjährigem Partner Lambert Orkis.
Johannes Brahms und Clara Schumann gehören für Anne-Sophie Mutter künstlerisch unbedingt zusammen. Clara, als Komponistin in einer Männerwelt unterwegs, wurde oftmals und lange Zeit übersehen. "Beide bewunderten sich künstlerisch und Johannes Brahms fragte sie oft um Rat", so schreibt Anne-Sophie Mutter im Booklet der neuen bei Sony erschienenen CD.
Anne-Sophie Mutter hat sich neben ihrer eigenen Konzerttätigkeit seit Jahren die Förderung von musikalisch Hochbegabten auf die Fahnen geschrieben, darunter auch Pablo Ferrández, Cellist und Mitglied der Anne-Sophie Mutter Stiftung. Die Stipendiat*innen dieser Stiftung werden nach ihren individuellen Bedürfnissen unterstützt. Dies ist Mutter ein großes Anliegen, für das sie sich viel Zeit nimmt.
Sie sind das ganze Jahr in der ganzen Welt unterwegs. Ist Hamburg eine Stadt, die sie gerne bereisen?
Anne-Sophie Mutter: Ja, ich bin wahnsinnig gerne in der Elphi. Ich glaube, dieses Jahr auch schon zum dritten Mal, also auf jeden Fall mindestens zum zweiten Mal. Ich kann gar nicht abwarten, nächsten Sommer wieder zu kommen. Ich habe hier unfassbar viele unterschiedliche Programme gespielt, von Bach über einen Quartettabend und jetzt das Brahms-Doppelkonzert mit Pablo Ferrández. Es ist ein wunderbarer Saal, der zu einer Renaissance Real der deutschen Kultur geführt hat. Auch international ist die Bedeutung der Elphi absolut riesig. Man sieht Hamburg mit diesem herrlichen Saal, der sowohl innen als außen singulär ist - ein Flaggschiff deutscher Kultur, so wie wir vielleicht das Sydney Opera House wahrnehmen.
Sie haben diesen Monat eine neue CD zusammen mit Pablo Ferrández herausgebracht, darauf sind Stücke von Johannes Brahms und Clara Schumann. Zwischen beiden gibt es eine enge Verbindung. Welche Idee steckt hinter dem Programm dieser neuen CD?
Mutter: Dahinter steckt diese unglaublich befruchtende Freundschaft zwischen dem ganz jungen Johannes Brahms und der schon früher geborenen Clara Schumann. Es ist eine Beziehung, die für Johannes Brahms absolut prägend war und die Clara Schumann, gerade auch in Zeiten, als ihr Mann Robert immer wieder in die psychiatrische Anstalt musste. Er hat eine sehr fragile Gesundheit. Johannes Brahms hat auf die sieben Kinder aufgepasst, stand Clara bei und das war eine lebenslange, sehr intensive Beziehung.
Retrospektiv wird darüber spekuliert, warum wurde aus den beiden kein Paar, als Robert dann verstarb. Ich denke, wenn man so hochbegabt ist wie Clara Schumann und das ganze Leben dem Ehemann und den Kindern widmet, Hausfrau für den geliebten Mann und Komponisten ist und fast schon eine Gebärmaschine wird - und das war im 19. Jahrhundert mit gewaltigen gesundheitlichen Risiken für Frauen verbunden, zu entbinden - dann war dieser Verlust von Robert sicher für sie traumatisch.
Das Leben als Witwe, als konzertierende Pianistin, endlich auch als arriviertere Komponistin - das war ein Befreiungsschlag. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie dachte: 'Nein, jetzt nicht schon wieder einen Mann, jetzt will ich mal mein Leben leben und mich verwirklichen.' Sie hatte als Frau ein schwieriges Leben im 19. Jahrhundert, aber sie hatte auch die privilegierte Stellung im Kreis der Komponisten, sehr geliebt und bewundert zu sein. Ich denke da an Mendelsohn, an Wagner, an Liszt und viele große Kollegen, die sie unterstützt haben und gefördert haben. Es war sicher ein sehr reiches und aufregendes Leben.
Wie nehmen Sie das wahr: Gibt es beim Publikum und vielleicht auch in der Musikindustrie für Komponistinnen ein großes Interesse an dieser Zeit? Wie ist das?
Mutter: Es gibt sicherlich ein größeres Interesse an Kompositionen, die nicht von weißen Männern geschaffen wurden. Wir leben aber in der klassischen Musik in einer Blase und das zeigt sich auch in der musikalischen Ausbildung, die wir in Europa erfahren. Die klassische Musik ist sehr westlich geprägt, aber wir wissen über traditionelle indische Musik sehr wenig. Es spielt sich alles in eingefahrenen Gewässern ab und gerade auch Post-Corona ist spürbar.
Einerseits gibt es diese Öffnung zu Diversität. Das ist jetzt ein sehr modernes Wort geworden, hoffen wir mal, dass es nicht bei dem modernen Wort bleibt, sondern dass wir das wirklich leben werden, auch in der Musik. Denn auch da gibt es Rassismus. Das sehe ich immer wieder, wenn Solisten besetzt werden, wenn ich mit Agenturen spreche. Da gibt es sehr viele Vorbehalte und sehr viel fest eingefahrene Denkweisen und da muss viel passieren.
Wir Künstler sind 'ready to go', aber die Veranstalter und Agenturen haben Post-Corona, auch einen extrem schweren Stand. Wir sind von der Politik alle weitestgehend im Stich gelassen worden. Da kam zu wenig, viel zu spät. Es gibt viele Künstler, beispielsweise auch Fotografen, eben die ganzen Freischaffenden, von Tänzern, Sängern bis hin zu Bühnenbildnern, die mussten ihren Beruf verlassen. Wir haben dadurch sehr viel Diversität verloren. Das wächst auch nicht nach, das ist wie mit einem Wald, da kannst du nicht mit dem Finger schnippen und dann ist der Künstler wieder da. Der hat sich in der Corona-Zeit komplett aufgebraucht. Um diesen wunderbaren Garten der Kunst, der so vielfältig ist, zu erweitern, braucht es natürlich auch eine Menge neugieriger Künstler, aber auch Veranstalter und ein Publikum, das Post-Corona auch wieder neugierig ist auf anderes und sich nicht unbedingt nur mit Tschaikowski, Mahler und Schostakowitsch abspeisen lässt.
Das Gespräch führte Beate Scheibe.