Nachgedacht: Nofretete - schöne Frau mit kühner Sonnenbrille
Im November feiert die Künstlerin Isa Genzken ihren 75. Geburtstag. Die Berliner Nationalgalerie hat ihr aus diesem Anlass eine Ausstellung gewidmet, die jetzt schon läuft. Darunter ist ein besonderes Exponat zu sehen, über das gerade wieder mal diskutiert wird.
Zum Geburtstag schenkt man gerne Blumen. Isa Genzken beschenkt sich selbst und empfängt ihr Berliner Kunstpublikum schon vor den Toren der Nationalgalerie mit einer einzelnen, riesigen pinken Rose. Bei Rose fällt mir immer Lessings Emilia Galotti ein mit ihrer Opferklage: "Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert". Galotti ist verletzt, moralisch gebrochen, ihre letzten Stunden sind gezählt.
Von stürmischer Entblätterung kann bei Genzkens Rose nicht im Ansatz die Rede sein. Als acht Meter hohe Aluminium-Skulptur steht ihre Rose selbstbewusst, erhaben vor dem Kunsttempel von Mies van der Rohe. Ein Blickfang im Berliner Großstadt-Dickicht.
Isa Genzken hat sich in ihrer Kunst verschiedentlich mit Formensprache, mit korrespondierenden Materialien, mit Aktualitäten befasst. Nichts ist homogen, weder das Objekt noch das Thema. In ihren Skulpturen sprechen und mahnen Widerspruch, Dialektik und Provokation. Vor inzwischen elf Jahren war es eine besondere Gestalt, die Isa Genzken in ihr Oeuvre aufnahm: Nofretete, Frau des Pharaos Echnaton. Die Büste mit ebenmäßigem Gesicht, vollkommenen Zügen - ein Gesicht mit makellosen Proportionen, die Schönheit Ägyptens.
Isa Genzkens Nofreteten-Zyklus
Der Archäologe Ludwig Borchardt hatte die Originalbüste 1912 im ägyptischen Tell el-Amarna ausgegraben, sie überlebte Kriege und den Transport nach Deutschland, wo sie in Berlin, mittlerweile im Neuen Museum auf der Museumsinsel, ausgestellt ist. 100 Jahre nach dem archäologischen Fund nimmt Isa Genzken sich der Ikone an und gestaltet eine Plastik mit dem Titel: "Nofretete – Das Original (2012)". Genzkens schöne Ägypterin sieht auch makellos aus wie das Original und hat ein cooles Accessoire: Sie trägt Sonnenbrille.
Der Kühnheit nicht genug, fertigt Genzken nicht eine Nofretete, sie produziert viele Nofreteten: Nofretete mit gespiegelter, mit extravaganter, mit divenhafter Brille. Jede Frau, jede Büste wird inszeniert mit anderem Auftritt.
Genzkens Nofreteten in neuen Licht
Sich dieses Kunst-Modell anzugucken ist heute, im Jahr 2023, mitten in einer Debatte um Besitzrecht, Restitution und Rückgabe von Kunst und Kulturgütern, interessant. Das Nationalmuseum in Kairo meldet schon seit langem Bedarf und Ansprüche an, begründet mit der Herkunftsgeschichte, mit dem nicht zu unterschätzenden Identifikationspotential für Frauen, für Ägypterinnen und auch Ägypter, für Land, Kultur und Identität.
Immer wieder werden sie gestellt, die Fragen: Woher und wohin gehört Kunst? Wo kommt Kunst zur Geltung, wo zur Ruhe? Wo kann sie ihre Aura entfalten? Was soll und kann Kunst leisten? Wem gehört sie? Was legitimiert, auch moralisch, ihren Besitz? Die Antworten sind komplex und nie leicht. Solange aber Fragen gestellt werden, ist das Gespräch darüber nicht beendet. Gut so, denn über Kunst soll man reden - auch das ist ihr inhärenter Zweck. Genzkens Nofretete jedenfalls lässt innehalten, sie überrascht, amüsiert, provoziert. In jedem Fall regt sie Fantasie, Diskussionen und Debatten an, Debatten, die sonst allzu schnell festgefahren, verletzend und wenig innovativ sein können.