Lena Bodewein © Lena Bodewein

Nachgedacht: An einem Tag, den es nicht gibt

Stand: 01.03.2024 00:00 Uhr

Gestern war der 29. Februar, kein alltägliches und noch nicht mal ein alljährliches Ereignis, sondern ein geradezu magischer Tag. Eine echte Chance für uns, findet Lena Bodewein.

von Lena Bodewein

Gestern, also, als ich diesen Text verfasst habe, war der 29. Februar. Ein extra Tag, ein spezieller Tag, an dem alles anders sein könnte. Weil es ein magischer Tag ist, den es eigentlich nicht gibt. In Schottland und England zählte der 29. Februar angeblich lange nicht als offizieller Tag - also galten auch keine offiziellen Vorschriften. Darum konnten Frauen sich unerhörterweise an dem Tag trauen, einen Antrag zu machen!

Einen Sprung wagen, das Unheil ausräumen!

Leap Day heißt er, nach dem Leap Year, also Schaltjahr. Aber Leap heißt auch Sprung - es ist also der Tag, an dem wir den Sprung wagen, etwas in die Hand nehmen, das wir und die anderen uns sonst nicht zutrauen oder uns nicht erlauben! Eine unvermutete Wahl treffen, unorthodoxe Schritte tun, und danach, so könnten wir es uns mal vorstellen, wäre alles anders, alles besser: An diesem magischen Tag werden lauter Entscheidungen getroffen und Handlungen vollbracht, die das Unheil ausräumen: Keine Hetze, keine rechtsextremen Parteien mehr, keinen Hunger und kein Leid auf der Welt, dafür Bildungsgerechtigkeit, soziale Gleichheit; ein Klima, das wieder im Lot ist, Tier- und Pflanzenarten, die nicht mehr aussterben, ein Tag, an dem es keinen Hass gibt.

Imagine all the people......

Verrückterweise gibt es so einen magischen Tag für uns alle: jeden Tag! An jedem Tag haben wir es in der Hand, die Welt zu einer besseren zu machen (uuuuhu, ich höre mich an wie John Lennon in "Imagine")

Es ist der Tag, an dem wir wählen gehen, weil wir auf keinen Fall Faulheit, Bequemlichkeit oder Gleichgültigkeit über uns gewinnen lassen.

Der Tag, an dem wir uns ehrenamtlich engagieren.

Der Tag, an dem wir Projekte gegen sexuellen Missbrauch unterstützen.

Der Tag, an dem wir das Maul aufmachen, wenn ein noch so kleines Unrecht in unserem Beisein geschieht.

Der Tag, an dem es uns gelingt, fast keinen Plastikmüll zu machen.

Der Tag, an dem wir endlich mal in Konferenzen Homer Simpson zitieren und laut "Laaaangweilig!" rufen.

Der Tag, an dem wir zur Erinnerung an einen geliebten Menschen lauthals dessen Lieblingslied singen, weinen und uns dessen nicht schämen.

Der Tag, an dem wir uns für Demokratie einsetzen.

... Living life in peace

SchaltJAHRE, so ein anderer Aberglaube, Schaltjahre sind Katastrophenjahre.

2024 - ein Wahljahr für die halbe Welt

Und in diesem Schaltjahr, 2024, ist ein Monsterwahljahr: Ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung, von Taiwan, Indien bis zu den USA, kann in diesem Jahr bei Parlaments- oder Präsidentschafts-, Unterhaus- oder Kommunalwahlen die Geschicke ihrer Länder bestimmen, und nicht nur ihrer eigenen: Nach wie vor und schon wieder hängen politisch-geographische Blöcke zusammen oder stehen gegeneinander - welche Richtung wo gewinnt und mehr Gewicht bekommt, das bestimmt über die globalen Machtverhältnisse. Alle die, die zu den Wahlurnen gehen, entscheiden damit auch darüber, wie entschlossen die Welt zur Rettung der Demokratie einsteht, wie entschlossen sie sich Extremismus und Populismus und allen anderen Ismen (schon wieder John Lennon, diesmal "Give Peace a Chance") entgegenstellt und darüber, wie ernsthaft sie das Klima schützen will.

Die Dinge jeden Tag in die Hand nehmen

Es ist also an uns zu verhindern, dass dieses Schaltjahr zu einem Katastrophenjahr wird. Und das können wir. Wenn wir jeden Tag wie einen Leap Day behandeln und die Dinge in die Hand nehmen.

So, das war jetzt so kitschig, ich komme mir schon vor wie einer dieser Sprüche, die manchmal von Teebeuteln baumeln: Sei die Veränderung, die du sehen möchtest!

Aber das darf ich: Es war der 29. Februar.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

 

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Ulrich Kühn, Claudia Christophersen und Alexander Solloch. © NDR Foto: Christian Spielmann

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 01.03.2024 | 10:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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