Ulrich Kühn © NDR Foto: Christian Spielmann
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AUDIO: NachGedacht: Klopp for Bundeskanzler (4 Min)

NachGedacht: Jürgen Klopp for Bundeskanzler

Stand: 30.08.2024 10:20 Uhr

Die gewohnte Art, Politik zu machen, scheint nicht mehr zu funktionieren. In den USA nicht - und in Deutschland vielleicht auch nicht. Ulrich Kühn hat eine Idee. 

von Ulrich Kühn

Was, wenn wir falsch lagen? Barack Obama hat diese Frage nach der ersten Trump-Wahl ausgesprochen. Ich finde, man muss sie regelmäßig stellen. Es passiert aber nicht. Das Vollgefühl, recht zu haben, ist zu schön. Leider kann es auch trügerisch sein. Warum? Weil es die Dinge im Vorhinein klärt. Fakten gehen durch den Filter: Was mein Rechthabergefühl füttert und wachsen lässt, hat Platz in meinem Denken. Was nicht, muss leider draußen bleiben. Wenn jemand mein Im-Recht-Sein-Gefühl mit störenden Tatsachen konfrontiert, wenn Dinge passieren, die mein Weltbild nicht vorsieht, werde ich unruhig. Zornig. Laut. Ich passe nicht meine Überzeugung dem Weltgeschehen an, ich erkläre lieber den zum Idioten, der mir das Unpassende nahebringen will. Bumm, Dummkopf, nimm das! Ich lasse mir doch mein Gefühl, vollkommen im Recht zu sein, nicht kaputtmachen. Leider ist vollkommenes Rechthaben auf Dauer eher selten. Fragen Sie mal die Päpste. Die filtern Fakten, dass es kracht, damit ihre Wahrheit noch irgendwie passt. Wollen wir etwa Tatsachenpapst spielen? Nur, damit unser Gefühlshaushalt stimmt?

Was, wenn wir falsch lagen? 

Okay, es ist menschlich, Papst unter dummen Schäfchen sein zu wollen. So menschlich, dass sogar die, die viel mehr Fakten auf ihrer Seite haben und es souverän ertragen könnten, wenn sie sich mal korrigieren müssen, Obamas Frage lieber nicht stellen: Was, wenn wir falsch lagen?

Nach grausamen Mordanschlägen wie in Solingen fällt das ganz besonders auf. Es gilt aber nicht nur dann. Seit Monaten trudelt die Republik wie in Paralyse auf die nächsten Landtagswahlen zu. Da waren diese riesigen Demonstrationen: Achtung, dort hinten, der Eisberg! Die Kapitäne fuhrwerkten am Steuer rum, konnten aber den Kurs nicht ändern. Allgemeines Schulterzucken, alle zurück in die Kabinen. Seitdem ein angestrengtes Normal. Der Eisberg? Wo noch mal? Na, hier, wir rammen ihn ja schon! Und hatten es längst kommen sehen. Hatten aber nicht die Kraft, den Kurs zu ändern.

USA: Gefühlspolitik als Antwort auf Gefühlspolitik 

Was also, wenn wir falsch lagen? Wenn die gewohnte Art, Politik zu machen, nicht mehr funktioniert? In den USA haben sie sich das gefragt. Die Diagnose der Demokraten: Das Trumpisten-Gefühl ist so stark, Vernunftpolitik dringt nicht mehr durch. Und unsere Leute vermissen was, sie wollen auch starke Gefühle. Strategische Ableitung: Wir geben sie ihnen! US-Demokraten beantworten Gefühlspolitik mit Gefühlspolitik. Kamala gleich Fröhlichkeit, Coach Walz gleich Bodenständigkeit. Zorn und Hass gegen Freude plus Family-Feeling. Taugt das für gute Politik? Wir wissen es bisher nicht. Erst mal ist es die Möglichkeit, vielleicht noch die Wahl zu gewinnen: als Bedingung für gute Politik.

In Deutschland haben sie das natürlich scharf beobachtet. Kann man sich was abgucken? Schon. Aber mit dieser Mannschaftsaufstellung? Scholz, Merz, Söder hier - dort Kamala und Tim. Ihr spürt den Unterschied, Demokraten?

Coach Klopp: Klarer Cleverle-Typ mit brauchbaren Ansichten

Ein anderer muss es machen. Ich meine das fast halb ernst: Jürgen Klopp muss ran. Vielleicht der Einzige, der Verlorengegangene über Gefühle zurückgewinnen kann: Coach Klopp! Ich bin kein Fan, aber seit er Bentley fährt, wirkt dieser Multi-Werbeträger richtig authentisch. Kerniger, klarer Cleverle-Typ mit brauchbaren Ansichten, weiß sehr genau, wie man seine Schäfchen ins Trockene bringt, öffentlich geweint hat er auch schon: Das mögen die Deutschen. Das Hochgewachsen-Bebrillte, das Blecken viel zu weißer Zähne, mal strahlend, mal furchteinflößend: passt. Ein nahbar-unerreichbarer Kumpel, der ein Bier mit mir trinkt. Klar beneide ich ihn, aber so, dass es fast nicht weh tut. Ein gutes Deutschen-Gefühl. Lass den Jürgen mal machen, der kriegt das schon irgendwie hin. Und übrigens ist er mein Freund.

Von den USA lernen heißt also: Klopp nominieren. Jetzt braucht es nur eine Partei, die das auch begreift. Und die er trainieren will. Frei ist er ja, der Coach Kloppo. So weit ist es also gekommen, dass man so was denkt.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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Ulrich Kühn, Claudia Christophersen und Alexander Solloch. © NDR Foto: Christian Spielmann

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 30.08.2024 | 10:20 Uhr

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