Heilige Patchworkfamilie nach Matthäus: Geburt der Gerechtigkeit
Maria, Josef, Jesus - ihre Geschichte wird an jedem Weihnachtsfest gelesen, oft jedoch in der Version des Lukas-Evangeliums. Matthäus erzählt die Geschichte von der Geburt Jesu ganz anders.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Lukasevangelium, 2. Kapitel, Verse 1-20
Josef und seine Frau Maria müssen deshalb von Nazareth nach Bethlehem gehen. Maria ist hochschwanger und bekommt ihr Kind in einem Stall. So erzählt es das Lukasevangelium.
Wer sich diese Situation einmal konkret vorstellt, kommt schnell zu dem Schluss, dass das keine Idylle ist. Alles ist schmutzig, stinkt und Maria wird große Angst gehabt haben, ihr erstes Kind unter solchen Bedingungen zur Welt zu bringen. Und dass Josef und sie das Wagnis auf sich genommen haben, sich dennoch auf den Weg zu machen, das zeigt, wie sehr sie unter Druck gestanden haben, an der Volkszählung teilzunehmen. Die Namen Augustus und Quirinius stehen für die römische Besatzungsmacht, unter der Judäa stand.
Eine Weissagung, Engel und königliche Magier aus dem Osten
Auch im Matthäusevangelium wird Jesu Geburt in weltpolitische Dimensionen eingebettet. Es erzählt zwar nichts von den schwierigen Umständen der Geburt, es bietet eine ganz andere Erzählung. Königliche Magier aus dem Osten, vermutlich aus dem benachbarten Parthien, haben die Weissagung erhalten, dass ein neuer judäischer König geboren wird. Parthien ist in dieser Zeit der Erzfeind Roms. Auf dem Grenzgebiet zwischen beiden Reichen kommt es immer wieder zu Spannungen, auch militärischer Art.
Herodes, der ein enger Verbündeter Roms ist, lässt sofort alle Kinder töten, auf die diese Weissagung zutreffen könnte. Josef wird rechtzeitig von einem Engel gewarnt, die junge Familie flüchtet nach Ägypten und kehrt erst nach dem Tod des Herodes zurück.
Die Weihnachtsgeschichte ist kein Tatsachenbericht
Dieser kurze Vergleich zeigt, dass das Matthäus- und das Lukasevangelium ganz unterschiedliche Geschichten erzählen. Wir haben es mit Legenden zu tun, in denen Engel wichtige Botschaften übermitteln, in denen eine junge Frau ein Kind zur Welt bringt, dessen Herkunft Fragen aufwirft und königliche Magier kostbare Geschenke bringen. Wir haben es mit Legenden zu tun, nicht mit Tatsachenberichten. Sogar die Frage, ob Jesus wirklich in Bethlehem geboren wurde, lässt sich historisch nicht beantworten.
Als Josef von der Schwangerschaft Marias erfährt und weiß, dass er nicht der Vater sein kann, will er sich von ihr trennen. Er geht ganz eindeutig davon aus, dass Maria von einem anderen Mann schwanger geworden ist. Nach den Bedingungen dieser Schwangerschaft fragt er nicht. Auch eine Vergewaltigung wäre kein Grund gewesen, sie zu schützen. Aber weil er ein gerechter Mensch ist, will er nicht, dass sie öffentlich gedemütigt wird. Deshalb nimmt er sich vor, sich ohne Aufsehen von ihr zu trennen.
Da spricht der Engel zu ihm: Josef, Nachkomme Davids, fürchte dich nicht, deine Frau Maria zu dir zu nehmen. Sie und das Kind, das von ihr geboren wird, sind von der heiligen Geistkraft erfüllt. Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Denn er wird sein Volk von der Macht des Unrechts befreien. Matthäusevangelium, 1. Kapitel, Verse 20-21
Über die Herkunft der Schwangerschaft Marias stellt das Evangelium keine Vermutungen an. Es spricht nicht eindeutig von einer Vergewaltigung. Es wäre auch zu verkürzt, die Geschichte Marias darauf zu reduzieren. Doch die Erzählung von der Geburt Jesu setzt eine Welt voraus, in der Frauen Gewalt erfahren. Sie rückt die in den Blick, die aus gesellschaftlicher Sicht ihre Ehre verloren haben. Oft aus Not - viele mussten sich prostituieren, um zu überleben oder wurden dazu gezwungen.
Engel spricht nur mit Josef - und hat eine Zumutung parat
Das Besondere ist jedoch, dass es zunächst gar nicht um Maria zu gehen scheint. Der Engel spricht nur mit Josef, handelt mit ihm das Schicksal Marias und ihres Kindes aus. Das hat dem Evangelium lange den Ruf der Frauenfeindlichkeit eingebracht.
Doch es lohnt sich, hier noch einmal genau hinzuschauen: Ja, Josef steht im Zentrum, doch die Rolle, die er in dem Geschehen spielt, ist vermutlich keine, die er sich selbst ausgesucht hätte. Die Botschaft, die sich an ihn richtet, ist eine Zumutung: Er soll ein Kind akzeptieren, von dem er nicht weiß, wer es gezeugt hat. Er soll es als sein eigenes aufnehmen und auch Maria als Ehefrau, "denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist" - so sagt es ihm der Engel.
Zeugung Jesu: Der Heilige Geist war's nicht
Damit ist nicht gemeint, dass es vom Geist gezeugt wurde. Diese Vorstellung geistert bis heute durch die Auslegungsgeschichte. Doch im jüdischen Kontext war sie nicht vorstellbar. Geist, hebräisch "ruach", ist vom grammatischen Geschlecht weiblich. Noch Ende des dritten Jahrhunderts macht sich ein christlicher Text, das Philippusevangelium, über eine solche Annahme lustig: "Sie sagen, 'Maria ist schwanger geworden vom Heiligen Geist.' Sie irren sich! (...) Wann wäre jemals ein Weib von einem Weibe schwanger geworden?"
Josef geht ganz klar davon aus, dass es einen menschlichen Vater gibt. Maria und das Kind aufzunehmen, birgt somit auch für ihn die Gefahr, vor aller Augen als betrogener Ehemann dazustehen. Die Lösung, sie ohne Aufsehen wegzuschicken, wäre für ihn einfacher. Wenn er es nicht tut, muss er sich fragen: Wie reagieren die Leute in seiner Umgebung? Werden sie ihn verspotten? Auch heute gibt es viele abschätzige Bezeichnungen für Männer, die ein nicht von ihnen gezeugtes Kind großziehen. Biologische Vaterschaft gilt immer noch als zentraler Beweis von Männlichkeit.
Josef soll auf seine Privilegien verzichten
Und jetzt wird deutlich, dass sich die Worte des Engels nicht nur an ihn richten, sondern die ganze Gemeinschaft herausfordern. Maria und Josef sind in dieser Zeit übliche Vornamen, sie stehen für viele andere, die eine ähnliche Geschichte haben. Diejenigen, die das Evangelium aufschreiben, wollen Menschen aus ihren eigenen Reihen dazu ermutigen, Frauen wie Maria nicht auszustoßen und Männer wie Josef nicht zu verspotten. Sie fordern dazu auf, neu über Gerechtigkeit nachzudenken. Josef hätte das Recht gehabt, sich von Maria zu trennen, sie recht- und schutzlos ihrem Schicksal zu überlassen. Doch gerechtes Handeln wird vom Engel neu bestimmt: Josef soll auf sein Recht und seine Privilegien verzichten. Nur so kann Unrecht unterbrochen werden. Die Geburt des Kindes wird zur Geburtsstunde der Gerechtigkeit, sie wird zum Hoffnungszeichen für das ganze Volk.
In dem Namen, den Josef seinem Sohn geben soll, wird die Befreiung aller verheißen: Jesus. Die hebräische Wurzel "jascha", aus der der Name abgeleitet wird, bedeutet "retten": "Er wird sein Volk von der Macht des Unrechts retten". Und diese Rettung beginnt mit den mutigen Handlungen von Menschen, die der Gewalt nicht das letzte Wort lassen.
Frau, Mann und Kind finden durch göttliche Intervention zueinander
Diejenigen, die das Matthäusevangelium aufgeschrieben haben, weben ihre Erfahrungen von Heilwerden in eine Legende ein, in der eine Frau, ein Mann und ein Kind durch göttliche Intervention zueinander finden.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde daraus die Heilige Familie - jedes Jahr blicken wir neu auf sie, in den Krippen vor dem Weihnachtsbaum, im Fernsehen und in Predigten. Oft wird sie idealisiert, manchmal auch verkitscht. Menschen, die keine solche "Ideal"-Familien haben, die alleinerziehend sind oder in ganz anderen Beziehungskonstellationen leben, spüren besonders an den Feiertagen, dass ihre Lebensform oft nicht im Blick ist. Am zweiten Weihnachtstag steht als Predigttext ein Bild von Familie im Mittelpunkt, das das Matthäusevangelium vor allem ihnen schenkt: die heilige Patchwork-Familie.