Stand: 02.09.2015 12:00 Uhr

Sunniten und Schiiten in Deutschland

von Reiner Scholz

Sunniten und Schiiten leben als gläubige Muslime seit Jahrhunderten vielerorts friedlich nebeneinander. Der gegenwärtige Krieg und der Terror im Nahen Osten offenbaren in der Region aber auch gefährliche Rivalitäten. Die Gewalt im Nahen Osten beschäftigt Muslime weltweit. Auch in Deutschland leben Sunniten und Schiiten Tür und an Tür. Welche Auswirkungen hat der Krieg im Nahen Osten auf das Zusammenleben der Muslime hierzulande?

Die Sunna und die Schia sind die beiden großen Hauptströmungen des Islam. Mehr als 85 Prozent der Muslime weltweit sind Sunniten. Auch in Deutschland leben mehr Sunniten als Schiiten. Theologisch sind die Unterschiede nicht besonders groß, gemeinsame Gebete in den Moscheen sind keine Seltenheit. Und dennoch schmerzt die Spaltung des Islam in der Erbfolge Mohammeds vor 1500 Jahren viele Gläubige wie eine immerwährende Wunde.

Katajun Amirpur © Georg Lukas Foto: Georg Lukas
Katajun Amirpur ist Professorin an der Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg und Schiitin.

Katajun Amirpur, Professorin an der Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg und Schiitin, erklärt die Gründe der Spaltung: "Im Grunde geht es um eine Frage, die aus der Anfangszeit des Islams stammt, nämlich die Frage, wer der legitime Nachfolger des Propheten ist. Diejenigen, die heute Sunniten genannt werden, gehen bis heute davon aus, dass der Prophet keine Regelung getroffen habe, dass er nicht gesagt hat, wer ihn in dem weltlichen Amt nachfolgen sollte. Diejenigen, die heute Schiiten genannt werden, sagen, der Prophet habe ganz eindeutig an einer bestimmten Stelle formuliert, dass sein Cousin und Schwiegersohn Ali ihm als Kalif nachfolgen soll."

Konflikte sind bis nach Norddeutschland zu spüren

Schiiten und Sunniten lebten und leben in der Regel seit Jahrhunderten vielerorts ohne Probleme nebeneinander. Zuweilen aber wurde und wird die Religion als Mittel der Macht politisch instrumentalisiert. Das gilt derzeit auch für den Kampf um die Vorherrschaft in Syrien. Saudi-Arabien, ein sittenstrenges sunnitisches Land und der Iran, ein schiitischer Staat unterstützen in der Region rivalisierende Kräfte. Der Konflikt im Nahen Osten sei gewissermaßen auch bis nach Norddeutschland zu spüren, sagt Firous Vladi, ein Schiit, der den Dachverband Schura in Niedersachsen mitgegründet hat: "Wir hatten neulich fünf schiitische Moscheen in den Landesverband Schura mit aufgenommen. Und das Ganze muss ja von der Mitgliederversammlung mit Mehrheit beschlossen werden, und da sah ich, dass das nicht so ganz einstimmig war. Da merkte man schon, das fängt an zu bröckeln, die Harmonie ist beschränkt, zunehmend beschränkt." Firous Vladi ist überzeugt: In Deutschland, wo die Muslime bislang friedlich zusammen leben, ist die Situation angespannter als früher. So gebe es viele Syrer, die derzeit in großer Zahl nach Deutschland kämen, zumeist Sunniten, die häufig Opfer theologisch aufgeladener Gewalt geworden seien. Und es gebe die Missionierungserfolge sunnitischer Salafisten, die in den Schiiten Häretiker sehen würden, die noch gefährlicher seien als Ungläubige oder Christen. "Die Aussage ist dann", so Vladi, "wer den Glauben verändert, fällt vom Glauben ab, das sind Ungläubige, und weil sie gerade innerhalb des Islam vom Glauben abfallen, müssen sie verfolgt werden."

Ein Hamburger Beispiel für den Dialog

Mustafa Yoldas © dpa Foto: Christian Charisius
Mustafa Yoldas meint, dass vielleicht gerade in in westlichen Ländern der Dialog zwischen Schiiten und Sunniten leichter zu führen sei.

An der Außenalster in Hamburg befindet sich die schiitische Imam-Ali-Moschee, eine zentrale Institution des schiitischen Islam in Europa. Mit ihr habe sich in der Hansestadt ein vorbildlicher innerislamischer Dialog entwickelt, sagt Mustafa Yoldas, der selbst Sunnit ist: "Wir haben uns auf einen Konsens in theologischen Fragen geeinigt und zwar auf die fünf Grundsäulen des Islams und auf die sechs Glaubensbedingungen des Islams. Und wir haben versucht, Politik aus dem innerislamischen Diskurs rauszuhalten. Es ist wirklich etwas, was ungewöhnlich ist, dass Sunniten und Schiiten auf diese Weise so friedfertig und vertrauensvoll zusammenarbeiten." Der Vorsitzende des Dachverbandes Schura in Hamburg träumt sogar von einer noch intensiveren Zusammenarbeit: "Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir auch über eine Versöhnungskultur miteinander diskutieren. Es ist viel Leid in der Geschichte passiert zwischen Sunniten und Schiiten, aber es ist nie zu einer Aussprache, zu einer Versöhnung gekommen." Vielleicht sei ein solcher Dialog gerade in westlichen Ländern, wo keine muslimische Gruppe eine Hegemonie beanspruchen kann, leichter zu führen, sagt Yoldas. Und vielleicht könne er sogar auf die muslimischen Kernländer zurück wirken.

Die Sendung zum Nachhören
Mikrofon im NDR Kultur Sendestudio © NDR Online Foto: Mathias Heller
4 Min

Sunniten und Schiiten in Deutschland

Wie viel Islam gehört inzwischen zu Deutschland und welche Bedeutung hat der Tag der Deutschen Einheit für die in Deutschland lebenden Muslime? 4 Min

Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 04.09.2015 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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