Streit um Islamunterricht in Niedersachsen
Seit Jahren steht an den niedersächsischen Grundschulen auch Islamischer Religionsunterricht auf dem Stundenplan. Das Fach soll, so heißt es, einen wertvollen Beitrag zur Integration liefern und Toleranz fördern. Über die Inhalte, die in diesem Unterricht vermittelt werden sollen, gibt es jedoch schon seit längerem Streit. Nun haben die Verhandlungen zwischen Kultusministerium und islamischen Verbänden offenbar einen neuen Tiefpunkt erreicht.
Gehört das Thema "sexuelle Vielfalt" für Grundschülerinnen und Grundschüler auf den Lehrplan? Das Land Niedersachsen hat dazu eine klare Meinung. "Es gab einen Landtagsbeschluss 2014, in dem gesagt wird, dass die Vielfalt sexueller Identitäten zukünftig im Unterricht berücksichtig werden muss", sagt Annett Abdel-Rahman, die als Landeskoordinatorin für das Fach Islamische Religion für das niedersächsische Kultusministerium arbeitet. Es gehe darum, dass Schülerinnen und Schüler nicht gemobbt oder ausgeschlossen würden, die zum Beispiel eine andere sexuelle Identität hätten als vielleicht die Mehrheit in der Klasse.
DITIB-Landeschef: "Homosexualität ist im Islam verboten"
Annett Abdel-Rahman hatte mit diesem Beschluss keine Probleme. Auch ein Imam, der von den muslimischen Verbänden für die Verhandlungen eingesetzt wurde, hatte keine Einwände. Ein Beirat aus Vertretern von Schura und Ditib lehnte das Curriculum allerdings ab - unter anderem unter Verweis auf diesen Passus. Homosexualität sei im Islam verboten, erklärt DITIB-Landeschef Ali Ünlu. Er sei kein Theologe, räumte er ein: "Deswegen brauche ich Rat von Gelehrten und den holen wir uns. Wenn es ein Inhaltsthema sein soll, dann ist es Sache der Religionsgemeinschaft; wenn es ein Bildungsauftrag sein soll, dann macht es die Regierung sowieso."
Und das hat das Kultusministerium nun auch vor: Das Curriculum soll an den Landtag übergeben werden, trotz der Widerstände der Islamverbände. DITIB-Geschäftsführerin Emine Oguz hat dafür kein Verständnis. Es sei für DITIB selbstverständlich, dass Menschen, egal welche sexuelle Orientierung sie haben, nicht diskriminiert werden sollen, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung. Sie sieht das Problem woanders. Muslime stünden oft unter Generalverdacht, von ihnen werde ein "fünffaches Lippenbekenntnis" zu demokratischen Werten verlangt, während dies bei anderen Religionsgemeinschaften und in anderen Lehrplänen nicht der Fall sei.
Staatskirchenrechtler: Diese Denkleistung kann man von Verbänden verlangen
In der Tat dürfe von Muslimen und muslimischen Organisationen nichts gefordert werden, was nicht auch von anderen Religionen oder Gläubigen verlangt werde, betont der Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig. Aber er fügt hinzu: "In der Tat würden wir ja feststellen können, dass es im katholischen und im evangelischen Bereich auch Gruppierungen gibt, die sagen, Homosexualität ist, theologisch gesprochen, Sünde, die aber zugleich in der Lage sind zu sagen, deshalb darf niemand verprügelt werden oder im politisch-gesellschaftlichen Kontext schlechter behandelt werden als alle anderen." Sie wüssten also die theologische Bewertung und die gesellschaftliche Praxis zu differenzieren. Und das, so Heinig, "ist eine Denkleistung, die man von den muslimischen Verbänden genauso verlangen kann."
Denn im Kern gehe es bei dem umstrittenen Passus gar nicht um die Frage, wie man Homosexualität bewerte, betont auch Annett Abdel-Rahman: "Es geht darum, dass ein ablehnendes, diskriminierendes Verhalten, das Mobbing, jemanden auszuschließen, der anders ist als ich das vielleicht für richtig halte, nicht in Ordnung ist. Es geht um ein Sozialverhalten, das wir in der Schule fördern wollen. Und das ist keine theologische Fragestellung."
Alles nur ein Missverständnis?
Abdel-Rahman spricht daher von Missverständnissen, die sehr ärgerlich seien - die aber Konsequenzen haben könnten. Denn das Vertrauen der Verhandlungspartner untereinander scheint beschädigt. Und der neue Lehrplan könnte sich so weiter verzögern. "Ich würde das sehr bedauern", sagt Abdel-Rahman. "Denn wir brauchen dieses Kerncurriculum wirklich sehr dringend für die Grundschule. Und diese Situation verunsichert alle Beteiligten. Es wäre schade, die eigentlich bisher gut gelaufene Arbeit zwischen Beirat und Kultusministerium noch mehr zu belasten."