"Saras Stunde" - Über Frauen in Saudi-Arabien
Bis zum 17. Dezember finden in Hamburg die Kulturwochen Mittlerer Osten statt. Die Veranstaltungsreihe der Nordkirche und der Landeszentrale für politische Bildung will neue Perspektiven auf eine Region bieten, die zerrissen ist durch Kriege, meist gescheiterte Revolutionen und dem Wiedererstarken der Diktatoren. Bei der Veranstaltung "Saras Stunde" ging es um Saudi-Arabien - ein Land, das sich gerade in einer Phase der Öffnung befindet - oder etwa nicht?
Zweimal Sara, zweimal Widerstand, einmal erfunden, einmal ganz real - Veranstalterin Pastorin Hanna Lehming freut sich: "Für mich war die Begegnung von Fiktion und Realität besonders spannend. Das ist eine Besonderheit, dass ein Schriftsteller die Geschichte einer Frau in Saudi-Arabien erfindet und auf einen Journalisten trifft, der die Schicksale von saudischen Frauen, die geflohen sind, selbst recherchiert hat."
Fiktion und Wirklichkeit kommen zusammen
Najem Wali, ein in Deutschland lebender irakischer Schriftsteller, ist der Autor. Sein 2018 erschienener Roman "Saras Stunde" handelt von einer mutigen Frau in Saudi-Arabien, die sich gegen das Patriarchat auflehnt. In Gestalt ihres fanatischen Onkels, Chef der allmächtigen Religionspolizei. Ihr Freiheitsdrang wird durch die Arbeit ihres Vaters auf einer Militärbasis der US-Truppen im Osten des Landes geweckt.
Der Hamburger Journalist Marc Röhlig hat über eine reale Saudin recherchiert. Um sie zu schützen, hat er ihr in seinen Texten einen neuen Namen gegeben und vorher um ihre Erlaubnis gebeten. "Und dann ist mir eingefallen, dass ich erst vor ein paar Wochen diesen wunderbaren Roman 'Saras Stunde' gelesen habe - warum also nicht Sara?"
Walis Reaktion auf seiner Website: "Endlich hat sie es geschafft. Meine Sara flieht." Fiktion und Wirklichkeit kommen zusammen. Die "echte" Sara ist 27 Jahre alt. Verbotenerweise hat sie sich über eine App auf dem Handy ihres Vaters eine Reiseerlaubnis im Internet besorgt. Bis sie ihren Flug nach Weißrussland buchen konnte - einem der wenigen Länder, in die Saudis ohne Visum reisen könnten, unterstreicht Marc Röhlig. Der Flug machte einen Zwischenstopp in Frankfurt. Dort sei sie ausgestiegen, habe Asyl beantragt.
"Es gibt wunderbare Kämpferinnen"
Beide Autoren sitzen auf dem Podium des leider nur mäßig besuchten Tschaikowsky-Saales in Hamburg. Dass hier zwei Männer über Frauenschicksale sprechen? Diese Schieflage ist Hanna Lehming bewusst. Aber Najem Wali schreibt lieber über Frauen als über Männer: "Es kommt vielleicht daher, weil ich 13 Tanten habe."
Die beiden Saras stehen stellvertretend für Frauen im heutigen Saudi-Arabien, die Widerstand gegen die Doktrin der herrschenden Männer leisten. Und es tut sich was in der ganzen Region, sagen sie. Selbst die Tochter eines Emírs aus Dubai habe schon versucht zu fliehen, mit ihrer Yacht über den Indischen Ozean. Von Söldnern aufgegriffen, würde sie jetzt sediert wie eine Trophäe im Palast des Emirs vorgeführt.
"Frauen werden dort natürlich unterdrückt, aber es gibt wunderbare Kämpferinnen", so Wali. Seine Romane werden, sagt er, ohne Koketterie, trotz Verbots in Saudi-Arabien unter der Hand gelesen, seien Kultromane. "Saras Stunde" beginnt damit, dass Sara als Mann verkleidet heimlich ans Sterbebett ihres verhassten Onkels tritt.
"Da war er, lag dort in seinem Bett, und nichts trennte sie mehr von ihm als ein durchsichtiges, weißes Stück Stoff." Leseprobe
Saras Stunde wird zum Moment der Rache.
"Diese Reformen sind PR-Kampagnen für den Westen"
Und die Wirklichkeit? Es gebe Frauen, die ihre Abaya verkehrt herum anziehen, das schwarze Überkleid, erzählt Marc Röhlig. Die nach außen sichtbaren Nähte zeigten: "Ich bin nicht einverstanden."
Den offiziellen Reformkurs von Kronprinz Bin Salman halten Röhlig und Wali für reine PR. Erfreulich deutliche Worte: "Es gibt keine Reformen; diese Reformen sind PR-Kampagnen für den Westen", betont Wali. Dass Frauen jetzt den Führerschein machen könnten? Für Marc Röhlig ein seltenes Privileg nur für Reiche: "Die Preise für Führerscheine gehen plötzlich in die Höhe."
Noch am Tag, als diese "Reform" in Kraft trat, seien neun bekannte saudische Frauenrechtlerinnen festgenommen worden. Bis heute säßen sie im Gefängnis. Eine Frage steht im Raum, sie kommt am Ende aus dem Publikum: "Aber auch die Männer müssen sich nicht so glücklich fühlen, oder?" Najem Wali hat eine klare Antwort: "Wenn die Frauen nicht frei sind, dann sind die Männer auch nicht frei."