"Rassismus ist keine Meinung"
Der Hashtag #metwo hat es deutlich gemacht: Deutschland hat ein Problem mit Rassismus. Die stille Mehrheit darf dazu nicht schweigen.
Ein Kommentar von NDR Moderator Michel Abdollahi
Das Gefühl des Fremdseins hängt immer mit Erlebnissen zusammen. Es ist nicht so, dass ich dasitze und mir denke: Was bin ich fremd in diesem Land. Ganz im Gegenteil - bis dann aber wieder eine E-Mail kommt oder ein Tweet oder ein Kommentar auf der Straße. Immer wenn es heißt: "Warum machen Sie Ihre Arbeit nicht in Ihrem Land? Was maßen Sie sich an, über Deutschland zu urteilen?"
Als ich damals mit meinem Schild „Ich bin Muslim, was wollen Sie wissen" auf dem Hamburger Jungfernstieg stand, fragten mich viele, wann mein Rückflugticket geht. Das sind die Momente, in denen ich mich in Deutschland sehr fremd fühle.
Wenn selbst die Regierung Spalterei betreibt, tut das weh
Besonders schwer wird es, wenn dann auch noch Leute wie Horst Seehofer feststellen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Für mich bedeutet es: Ihr Migranten, ihr gehört nicht zu Deutschland. Wenn selbst die Regierung Spalterei betreibt, dann tut das schon ziemlich weh. Da wäre es nur fair, wenn der Bundesfinanzminister anschließend gesagt hätte: "Und eure Steuern auch nicht." Das hätte den Schmerz erträglicher gemacht. Wir waren immer Deutsche, wenn wir Erfolg hatten und Ausländer, wenn wir Fehler machten. Diese Differenzierung ist der wahre Grund für das Fremdsein.
Alltagsrassismus gibt es in Deutschland nicht erst seit gestern. Das Gefühl, fremd zu sein, wurde mir seit ich in Deutschland bin vermittelt, sei es in der Grundschule, als mich meine Lehrerin bat, nicht "ausländisch" zu sprechen oder wenn ich als "Türke" nicht in die Disco kam oder in einer Gruppe mit Bio-Deutschen als Einziger von der Polizei rausgewunken wurde.
Deutschland ist ein wunderbares Land
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Das Gefühl, nicht fremd zu sein wurde mir in überwältigender Form viel häufiger vermittelt und ich bin sehr froh, in Deutschland zu leben. Es ist ein wunderbares Land mit fantastischen Menschen. Ich bin mittlerweile selbst ein Teil davon.
Aber wenn man hart arbeitet und versucht, seinen Anteil zur Gesellschaft beizutragen und dann immer wieder - sei es auch nur partiell - abgelehnt wird, verfliegen manchmal die positiven Emotionen und man wird wütend und traurig. Die Debatte um Mesut Özil hat hervorgebracht, was sehr viele Ausländer und Migranten schon immer gesagt und gespürt haben: Deutschland hat ein Problem mit Rassismus, und Deutschland hat vor allem ein Problem mit seinen Dazugezogenen.
Wenn weiße Deutsche Rassismus erklären ...
Viele Migranten macht nämlich die Art und Weise, wie mit dem Thema umgegangen wird, wütend. Das ständige Reduziertwerden auf die Herkunft, die ständigen subtil mitschwingenden Beleidigungen. Es ist in letzter Zeit besonders schön zu beobachten, wie der weiße Deutsche dem vermeintlichen Ausländer zu erklären versucht, was Rassismus ist und was nicht. Man solle sich nicht so anstellen, man sei selber schuld, man dürfe sich auch nicht wundern - das sind nur einige Sätze, die mich jeden Tag erreichen. Wer kann das besser beurteilen als der weiße Deutsche, der dem Rassismus ja jeden Tag ausgesetzt ist?
Seit dem Erstarken der Neuen Rechten, seit Pegida und AfD auf der politischen Landkarte sichtbar wurden, ist die Toleranzschwelle, Menschen rassistisch zu beleidigen, deutlich gestiegen. In den letzten drei bis vier Jahren hat eine gewisse Enthemmung eingesetzt, die nicht tragbar ist. Und die immer schlimmer wird. Diese Form von Rassismus war immer schon da, aber sie ist jetzt salonfähig geworden. Sie hat ihren Weg in unseren Sprachgebrauch gefunden, in die Gesellschaft, in die Medien und letztendlich auch in den Bundestag. Es ist diese Entwicklung und die Ohnmacht davor, die diese Enthemmung so unglaublich gefährlich macht, da wir noch nicht wissen, wohin diese Entwicklung führen kann, wenn die stille Mehrheit weiter schweigt. Denn Rassismus ist keine Meinung.