Islam: Berichterstattung nicht grundsätzlich negativ
Ein Kommentar von Canan Topçu
Ist die Berichterstattung über den Islam in den deutschen Medien zu negativ? Unser Gastautor Said Rezek hat in seinem Beitrag diese These vertreten und die muslimische Bloggerszene als alternativen Ansatz dargestellt. Die muslimische Publizistin Canan Topcu meint dagegen, dass dieses Narrativ nicht stimmt.
"Die Medien berichten schlecht über Muslime und den Islam" - diesen Satz bekomme ich oft zu hören, wenn ich beruflich und auch privat mit Muslimen zusammenkomme. Meist reagiere ich gelassen und lasse mich auf Diskussionen ein. Ich versuche herauszubekommen, woraus genau sich diese Meinung speist. Und ich erkläre, warum ich anderer Ansicht bin.
Manchmal führt dieses Thema auch zu einem heftigen Streit - wie unlängst in einem Medienworkshop mit einer Gruppe von jungen Leuten - vor allem Muslime. Ich hatte den Auftrag, über Abläufe in Redaktionen zu informieren und Einblicke in die Arbeit von Medienschaffenden zu geben. Dieser Workshop ging - um es lapidar auszudrücken - komplett in die Hose. Weil ich nicht die Erwartung der Teilnehmenden erfüllte und einstimmte in ihren Kanon der Klage. Ich widersprach nämlich der vorherrschenden Meinung, "die Medien" berichteten schlecht über Muslime und seien verantwortlich für negative Einstellungen gegenüber Muslimen.
Man sieht nur das, worauf man den Blick fokussiert
Sicher, es gibt Medien und Journalisten mit einer Agenda: islamkritisch bis -feindlich zu berichten. Fakt ist aber auch, dass nicht jede kritische Berichterstattung unberechtigt ist.
Wie bei allem gilt es auch bei der Medienkritik zu differenzieren und nicht alle Medien und alle Medienschaffenden in einen Topf zu werfen. Da gilt es erstmal zu hinterfragen, ob der Tenor des Beitrags gerechtfertigt ist. Ob nicht auch unliebsame Wahrheiten aufgegriffen werden und deswegen bei Muslimen Missmut und Ärger entsteht.
Die insbesondere in muslimischen Communities vorherrschende Auffassung, das Islambild in den Medien sei grundsätzlich negativ, klischeebehaftet sowie auf Terror und Gewalt fokussiert, teile ich nicht. Um das hartnäckig kolportierte Narrativ zu entkräften, fehlt es leider an seriösen Studien, die einzelne Medien und Ressorts unter die Lupe nehmen. Meiner Ansicht nach verstärkt diese Meinung jedoch die Opferhaltung, und sie ist auch auf eine selektive Wahrnehmung zurückzuführen. Man sieht nur das, worauf man den Blick fokussiert.
Die Medienlandschaft verändert sich permanent
Wer mangelnde Differenzierung kritisiert, sollte selbst in seiner Kritik differenzierter sein. Die Berichterstattung über Muslime und über den Islam als Religion als negativ zu bewerten, übersieht einiges. Zum einen gibt es nicht "die" Medien; die Medienlandschaft verändert sich gerade durch die Digitalisierung permanent. Um welche Medien und welche Beiträge handelt es sich konkret? Print oder Online-Medien, öffentlich-rechtliche oder private Sender? Welches Ressort? Welches journalistische Format? Welche Sendung?
Die Berichterstattung hängt - grundsätzlich - nicht nur allein von der Intention der jeweiligen Journalisten und Redakteure ab, sondern auch von den Arbeitsbedingungen und dem Zeit- und Konkurrenzdruck; darauf haben Medienschaffende so gut wie keinen Einfluss. Zudem sind Abläufe in Redaktionen weitaus komplizierter als von vielen angenommen wird, und Entscheidungen erfolgen nach Regeln, die von außen nicht immer erkennbar sind. Da spielen etwa Relevanz und Nachrichtenwert eine wichtige Rolle - und Aktualität ist ein weiteres Kriterium.
Die Berichterstattung hat sich ausdifferenziert
Trotz erschwerter Arbeitsbedingungen hat sich gerade im vergangenen Jahrzehnt in klassischen Medien die Berichterstattung ausdifferenziert: Quer durch alle Ressorts und journalistischen Formate entstehen Beiträge, die die vielfältige Lebenswelt von Muslimen abbilden.
Damit die Sichtweisen von Muslimen einfließen und differenzierte Betrachtungen zu lesen, zu hören und zu sehen sind, braucht es aber keineswegs muslimische Medienschaffende, wie so manche Kritiker fordern. Vielfalt in den Redaktionen ist gut und wichtig, weil es hilft, die Perspektive zu erweitern; aber diese Forderung darf nicht mit der Annahme verbunden sein, "weiße deutsche" Medienschaffende hätten Bretter vorm Kopf und kein Gespür für Themen und Perspektiven von Muslimen. Journalistische Kompetenz ist vor allem verbunden mit grundsätzlichen Eigenschaften, nämlich mit Empathie, Neugier und Gespür für Themen, mit guter Allgemeinbildung und mit journalistischem Handwerkszeug.