Die Geister der iranischen Vergangenheit: Kinofilm "Shahid"
Gleich zwei Filme von iranischen Regisseurinnen sind gerade im Kino zu sehen. Neben dem Sportdrama "Tatami" läuft auch "Shahid", ein Mix aus Dokumentar- und Spielfilm - ernst und politisch, aber gleichzeitig urkomisch.
Der Anfang ist bedrohlich: Auf dem Parkettboden einer Wohnung liegt eine junge, nackte Frau. Um sie herum tanzen schwarze Schatten - allmählich werden sie als Männer erkennbar, in langen fließenden Gewändern mit schwarzen Turban-ähnlichen Kopfbedeckungen. Die Frau steht schließlich auf, schiebt sich durch die Männer, geht in die Küche, um Frühstück zu machen.
"Mein Background lässt mich nicht in Ruhe. Ich fühle mich immer verfolgt, ich habe immer diese heftigen, schweren Schatten in meinem Alltag hinter mir", erzählt Regisseurin Narges Kalhor. Sie kommt aus einer einflussreichen Familie. Als sie aus dem Iran floh, war ihr Vater enger Berater des dortigen Regimes. In ihrem Film "Shahid" erzählt sie von den Auswirkungen, die ihre Herkunft und die Flucht bis heute auf sie haben.
Bitterernstes Drama und aberwitzige Komödie
"Diese Trauer, diese heftige Verbindung, die uns verfolgt, wollte ich visualisieren", erklärt Kalhor. "Es ist so schwierig, so etwas überhaupt zu zeigen." Das klingt nach Problemfilm - aber "Shahid" ist das komplette Gegenteil. Der Film ist ein wilder Mix: bitterernst und gleichzeitig aberwitzig komisch. Manchmal erinnert er an ein Musical, dann wieder an einen Traum; er ist Spielfilm und auch dokumentarisch. Deswegen ist es nur konsequent, dass darin auch Narges Kalhor zweimal vorkommt: als Regisseurin hinter der Kamera und als Hauptfigur, gespielt von einer Schauspielerin. "Mir ist diese Katharsis sehr wichtig: dass man lacht, Mitgefühl hat, man kann auch weinen, aber man geht erleichtert aus dem Kino raus. Unser Leben ist krass, heftig, aber wir brauchen kein Mitleid von den anderen."
"Shahid": Ein ungewollter Ehrentitel
Der Ausgangspunkt des Filmes ist ganz einfach: Narges Shahid Kalhor, so heißt sie vollständig, will ihren Namen ändern. Deshalb ist das Einwohnermeldeamt der erste Anlaufpunkt. Aber warum will Narges Kalhor nicht mehr "Shahid" heißen? Das muss sie einem Psychologen erklären. Denn nur wenn ein scheinbar unauffälliger Name zur unerträglichen Last wird, darf man ihn ändern.
"Ein 'Shahid' ist ein Märtyrer, jemand, der tot ist. Hier nennen mich alle Frau Shahid, weil's einfacher auszusprechen ist, aber ich lebe noch. Ich will nicht 'Frau tot' sein." Filmszene
Der "Shahid", der Märtyrer in der Familie, war der Urgroßvater der Regisseurin. Er starb im iranischen Freiheitskampf Anfang des 20. Jahrhunderts. Seitdem trägt die Familie den Märtyrer als Ehrentitel im Namen.
Islamische Glaubensüberzeugungen als Machtstrukturen
Narges Kalhor setzt sehr plastisch um, wie lästig das ist: Der symbolische Urgroßvater und seine Kumpel tanzen um sie herum, sobald sie aus der Haustür tritt. Schwarze Gewänder und übertriebene Posen vor Altbauidylle und Kopfsteinpflaster. Der Film taucht immer tiefer ein: in die Familiengeschichte, in die iranische Geschichte. Kalhor erlebt Politik und auch islamische Glaubensüberzeugungen vor allem als Machtstrukturen, in denen Männer über Frauen bestimmen: "Ich hätte so gerne in einem neuen Land mit einer anderen Familie bei null anfangen, aber das geht nicht."
Den Namen "Shahid" ist Narges Kalhor im realen Leben übrigens immer noch nicht los. Aber auch durch ihren Film hat sie damit ihren Frieden geschlossen. Und die 2.500 Euro, die die offizielle Änderung kosten würde, sagt sie, investiere sie lieber in einen Führerschein.