Stand: 15.10.2018 12:09 Uhr

Provenienzforschung für ein wenig Gerechtigkeit

Ein älterer Mann mit weißen Haaren und Anzug  Foto: Jens Wolf
Uwe Schneede war von 1991 bis 2006 Direktor der Hamburger Kunsthalle. Von 2015 bis 2017 war er im Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste.

Provenienzforschung gibt es mittlerweile an vielen deutschen und europäischen Museen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen herausfinden, ob sich in den Beständen der Häuser Raub- und Beutekunst befindet. Einer der Ersten, der eine solche Kunst-Detektivin angestellt hat, ist Uwe Schneede, ehemaliger Leiter der Hamburger Kunsthalle, und bis vergangenes Jahr wissenschaftlicher Gründungsvorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Warum haben Sie diese Art von Detektivarbeit für so wichtig erachtet?

Uwe Schneede: Es geht nicht darum, irgendwelche früheren Besitzer ausfindig zu machen, sondern es geht darum, die ursprünglichen Eigentümer von Kunstwerken und Objekten herauszufinden, denen diese Objekte während des Dritten Reichs entzogen worden sind. Die Provenienzforscherinnen und -forscher an den Museen und Bibliotheken wollen herausfinden, welche Objekte und Werke in ihren Sammlungen auf diese Art und Weise belastet sind. Das Ziel ist, ein wenig Wiedergutmachung zu erreichen. Es geht darum, die Werke, die zum Beispiel verfolgten Juden gehörten, deren Erben zurückzugeben, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Ein bisschen Gerechtigkeit wiederherzustellen, darum geht es am Ende in der Provenienzforschung.

Sie haben gerade die Erben angesprochen. Viele Menschen, denen damals von den Nazis ihre Kunstwerke abgenommen wurden, leben heute gar nicht mehr. Welche Bedeutung haben denn diese Werke für ihre Nachfahren? Ist sie noch so groß wie für die damaligen Besitzer?

Schneede: Jüdische Menschen wurden entweder deportiert und ermordet oder sie konnten flüchten. In beiden Fällen wurde ihnen ihr Eigentum und das Familieneigentum entzogen. Das heißt, die Überlebenden haben so gut wie keine Zeugnisse ihrer Familiengeschichte. Da kann jedes kleine, auf dem Markt unbedeutende und wertlose Werk, das bei den Großeltern an der Wand hing, von großer Bedeutung sein, weil es ein letztes Stück Familiengeschichte ist. Umso wertvoller sind die Stücke. Nicht pekuniär wertvoll, sondern innerhalb der Familiengeschichte von allergrößten Wert.

Kunstraub gab es ja auch in der DDR. Auch dort hat sich der Staat an Enteignungen von Kunst bereichert - bei sogenannten Republikfeinden. Was weiß man darüber mittlerweile? Wie viel Raubkunst ist da eingesammelt worden?

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Schneede: Was die Menge angeht, hat man noch keinen genauen Überblick. Man weiß, dass es verschiedene Aktionen gab. Zum Beispiel, dass den sogenannten Republikflüchtlingen ihr Eigentum genommen worden ist. Man weiß, dass 1962 in einer groß angelegten konspirativen Aktion Safes, die 25 Jahre lang nicht geöffnet worden sind, gewaltsam geöffnet wurden und der Staat sich den Inhalt angeeignet hat. Das war vermutlich zu einem großen Teil Eigentum von geflüchteten oder ermordeten Juden. Das alles gilt es aufzuarbeiten.

Diese Aufarbeitung hat eigentlich erst im vergangenen Jahr begonnen. Denn auch hier gilt es natürlich, zu versuchen, den Opfern etwas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Alle gesetzmäßigen Fristen für Inanspruchnahmen sind abgelaufen. Auch hier geht es im Grunde um eine moralische Verantwortung, um den Geschädigten etwas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Das Interview führte Janine Albrecht, NDR Info.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 15.10.2018 | 09:55 Uhr

Ein Mann steht vor Bildern in einem Museum. © Panthermedia Foto: anyaberkut

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