Stand: 15.10.2018 09:47 Uhr

Ermittlungen im Auftrag der Kunst

Provenienzforschung: Ein Finger wird über eine alte Inventarliste geführt © picture alliance / dpa Foto: Caroline Seidel
Das Durchforsten von Inventarlisten gehört zu den Nachforschungen, die klären sollen, woher ein Kunstwerk kommt und von wem es erworben wurde.

2012 stürmten Zollfahnder die Münchner Wohnung des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt. Was sie dort und in einem Haus in Salzburg fanden, galt als "Nazi-Schatz" - verschollen gegoltene Gemälde, wie zum Beispiel von Franz Marc, Max Liebermann oder Marc Chagall mit teils fragwürdiger Herkunft. Seit dem Fall Gurlitt sind die Provenienzforscher ins Rampenlicht geraten.

"Die Liebe zum Detail, Spuren verfolgen, Spuren auch mal sein lassen, wenn man merkt, es wird nichts. Ein gewisser Pragmatismus ist vonnöten" - wenn Petra Winter von ihrem Beruf erzählt, könnte man meinen, sie arbeitet an der Aufdeckung eines Mordfalls. Aber Petra Winter sitzt nicht in einem Kommissariat oder Polizeirevier, sie sitzt im Zentralarchiv der Staatlichen Museen Berlin. Sie ist Provenienzforscherin. Und wenn man so will, ist sie "Kriminalistin im Dienste der Kunst". Doch was macht man als solche eigentlich? "Es geht um die Herkunft", sagt Winter. "Wo kommt das Objekt her? Wer besaß es vor uns, also vor dem Museum? Und wenn es uns nicht gehört: Wem gehört es rechtmäßig? Wer sind die Erben?"

Verworrene Wege

Während sich der gemeine Kunstliebhaber an der Vorderseite eines Gemäldes erfreut, geht der Blick von Provenienzforschern wie Petra Winter erst einmal in eine andere Richtung. Sie interessieren sich vor allem für die Rückseite: "Es gibt alte Aufkleber von Inventarnummern oder andere Dinge. Wir schauen, ob wir Erwerbungsakten haben. Wir versuchen diese Informationen, sofern vorhanden, abzugleichen mit dem, was im Inventar des Museums steht. Und dann geht die Recherche weit über unser Archiv hinaus: Oft über die Vorbesitzer, also biografische Recherchen in anderen Archiven, wo wir versuchen, die Biografie von einem Vorbesitzer zu rekonstruieren. Die Wege können um die ganze Welt führen, aber auch in einer Stadt bleiben und trotzdem sehr verworren sein."

Eine faire Lösung finden

1933 beginnen die Nationalsozialisten, die jüdische Bevölkerung zu enteignen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges rauben sie mehr als 600.000 Kulturgüter aus ganz Europa, deportieren und ermorden die jüdischen Besitzer. Bis heute sind viele Eigentümer und Erben noch nicht identifiziert. 44 Staaten unterzeichneten deshalb im Jahre 1998 die sogenannte Washingtoner Erklärung. Sie verpflichteten sich, Kunst, die während der NS-Zeit insbesondere aus jüdischem Besitz beschlagnahmt wurde, als Raubkunst zu identifizieren - und "zu restituieren", das heißt den rechtmäßigen Erben zurückzugeben. Ziel der Provenienzforschung ist, eine faire Lösung zu finden. Wie kann die aussehen? "Das kann vielleicht bedeuten: Wenn es um mehrere Werke geht, geben wir einige Werke zurück und die anderen bleiben im Museum. Für beide Seiten sicherlich eine faire Lösung", erklärt Winter.

Devisenbeschaffung in der DDR

Der Kunstraub endete jedoch keineswegs mit der Befreiung Deutschlands von den Nationalsozialisten. In der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR ging er weiter. Unter anderem wurden Kunstobjekte von "Republikflüchtlingen" beschlagnahmt. Durch die von Alexander Schalck-Golodkowski geleitete, sogenannte "KoKo-Behörde" des DDR-Außenhandelsministeriums landete Beutekunst teilweise sogar in westlichen Museen. Durch zweifelhafte Kunstgeschäfte sollten maximale Gewinne, und somit begehrte Devisen, beschafft werden.

Aufmerksamkeit durch "Fall Gurlitt"

2012 kommt ein weiterer, spektakulärer Fall ans Tageslicht: In der Münchner Wohnung des 80-jährigen Kunstsammlers Cornelius Gurlitt wurde ein wahrer Schatz von Kunstwerken entdeckt - darunter etliche, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug vermutet wurde. Der "Fall Gurlitt" verhalf der Provenienzforschung zu großer öffentlicher Aufmerksamkeit. Denn er verdeutlichte: Die Bedeutung der Forschung wurde lange Zeit unterschätzt. In der Folge vervierfachte der Bund seine Fördermittel. Für Petra Winter ein wichtiges Zeichen: "Viele Museen sind einfach stellenmäßig so schlecht ausgestattet, dass das Tagesgeschäft gut läuft. Die Provenienzforschung aber erfordert einfach Zeit und auch ein gewisses Spezialwissen oder historisches Wissen und historische Methode. Damit kann man die Museen nicht alleine lassen."

Noch immer befinden sich in den europäischen Museen und Archiven bis zu einer Million Objekte aus Raubkunst- und Beutekunst, schätzen Experten. Weiterhin wartet also viel Arbeit auf Provenienzforscher wie Petra Winter, die Detektive im Auftrag der Kunst.

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Ein Mann steht vor Bildern in einem Museum. © Panthermedia Foto: anyaberkut

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