Kunst oder Kitsch? Besuch auf den Tattootagen in Hamburg
In vielen Ländern hat die kulturelle Praxis des Tätowierens eine lange Tradition. In Deutschland sind sie so richtig erst in den letzten Jahrzehnten in Mode gekommen. Mittlerweile ist etwa jeder fünfte Deutsche tätowiert. Aber ist das wirklich Kunst?
Überall zu sehen auf den Tatootagen in Hamburg: Nackte Haut! Auf schwarzen Liegen wird gestochen, was das Zeug hält. Nackte Oberkörper, Beine und jede Menge Arme. Aber auch die Menschen, die hier angezogen sind, lassen sich sehen: Viele Gesichter sind bunt mit Motiven geschmückt. Auch die Ohrmuscheln müssen dafür herhalten - zum Beispiel bei Sören Andersen. "Das sind Wikinger-Symbole", erklärt er. "Ein Wikinger-Kompass in dem einen und ein Schutz-Symbol in den anderen. So läppert es sich, da kommt eins zum anderen."
Auch den Schmerz der Nadeln muss man mögen
Sören Andersen ist an vielen Körperteilen tätowiert. Jetzt liegt er unter den erfahrenen Händen von Mikey Ink vom Hamburger Tattoostudio "Blood in blood out" - und lässt sich noch ein großes Bild stechen. Zu sehen ist vor allem viel Schwarz mit Graunuancen. Zu erkennen ist eine schwere Kette. Das muss man mögen - auch den Schmerz der vielen Nadeln. Sören Andersen hält das mit stoischer Gelassenheit aus - wer schön sein will, muss eben leiden. Und auch ein bisschen Geld in der Tasche haben, denn die vielen Kunstwerke auf seiner Haut, die kosten Tausende Euro. "Irgendwie zwischen 15 und 18, würde ich tippen", sagt Andersen. "Es kommt ja auch etappenweise, dann geht das."
Momentan sind besonders viele, aber kleine Tattoos Mode
Bei den Tätowiermotiven gibt es auch eine regelrechte Mode - und die ändert sich. Cynet Cegü gehören sechs Tattoostudios. Momentan sind besonders viele, aber kleine Tattoos angesagt. "Das ist irgendwie ein Trend geworden, weil ganz viele musikalische Künstler jetzt kleine Tattoos haben - Small Tattoos sagen wir dazu", sagt Cegü. "Was immer gefragt ist: Realistik, Portraits - und was sehr viel verlangt wird, dadurch dass in den Jahren ja viel tätowiert worden ist, sind Cover Ups, Übertätowierungen."
Von üppigen Blumen, Ornamenten - sogenannten Tribals - über filigran gestochene Symbole bis hin zu großen, einfach schwarzen Flächen, Namen, Geburtsdaten oder Landkarten - es gibt kaum etwas, was man sich nicht in die Haut stechen kann.
Vorlagen der Motive werden am Computer entwickelt
Natalie Bade liegt in Unterhose und T-Shirt auf einer Bank und lässt ihr Bein für die Ewigkeit mit einem sehr persönlichen Motiv bemalen: ihrem verstorbenen Hund. Damit liegt sie voll im Trend. Gestochen wird der seelige Ridgeback von Tätowiererin Mia Kyprianides. Sie hat nur zwei Fotos von dem Tier als Vorlage neben das Bein gelegt. "Ich habe nur diese Vorlage", sagt sie. "Einmal in Farbe, einmal in Black and Grey." Das ist schon beeindruckend: Der Hundekopf auf dem Bein sieht wirklich genauso wie das Original auf dem Foto aus. Für die Tätowiererin ist ihre Arbeit schon auch Kunst.
Obwohl sie Kunst studiert hat, zeichnet sie nicht selbst, sondern entwickelt die Vorlagen ihrer Motive - die Linien heißen Stencils - auf dem Computer. "Das wird alles vorher auf dem Tablet vorbereitet. Das ist quasi Malen nach Zahlen", sagt Kyprianides.
Tattoo-Kunst ist eher Kunsthandwerk
Ob das wirkliche Kunst ist, das sei dahin gestellt. Auch wenn die meisten hier ihre Tätigkeit als Kunst betrachten - die Bezeichnung Kunsthandwerk ist wohl deutlich treffender. Denn die Stencils, also die Vorlagen am Computer zu erstellen - das hat kaum etwas mit Kunst zu tun. Und das Stechen der Motive - das ist schlicht ein erlernbares Handwerk. Die Bilder sind beliebig zu reproduzieren, wenn erst einmal eine Vorlage da ist. Und: trotz sehr real und professionell gestochener Bilder: Viele der Motive - wenn auch nicht alle - fallen eindeutig unter die Kategorie Kitsch. Und ob man es als Kunst bezeichnen kann, wenn sich Jemand Zahlen ins Gesicht tätowiert - nun ja.
Organisatorin der Tattootage hat "Mittelklassewagen am Körper"
Organisiert hat diese Tattootage übrigens Christina Stürck, selbst Tätowierkünstlerin unter dem Namen Tina Hundertfarben. Bei Christina Stürck sieht man nur die Tattoos im Gesicht, aber das ist sozusagen nur die Spitze des Eisbergs. "Ich glaube, dass ich einen Mittelklassenwagen am Körper habe, vom Preis her", sagt sie. "Aber ich habe ja auch viel Körper, da passt auch viel drauf. Ich sehe nackt sehr spannend aus, könnte man sagen!"
Ist das Kunst oder kann das weg? Diese Frage stellt sich bei den Hautbildern auf jeden Fall nicht wirklich - sie sind eigentlich für die Ewigkeit gemacht, egal ob Kunst oder Kitsch. Man muss das nur mögen. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten!